Die aktuelle Krise Irlands ist vornehmlich eine spirituelle Krise, meinen manche. Das Inselvolk findet nach den wüsten Celtic-Tiger-Jahren seine Zugänge zu den inneren Quellen, zu Glück, zu Fürsorglichkeit, Veantwortlichkeit und achtsamer Behutsamkeit völlig verschüttet. Blockiert vom Geröll der Gier, der Ichbezogenheit („Me-feinism“) und Rücksichtslosigkeit.
Einer, der auch so denkt, ist der irische Sänger Damien Rice. Der Meister der melancholischen Ballade schreibt heute in einem Gastbeitrag für die Irish Times, wie er sich eine Erneuerung des Landes vorstellt; Rice meint, dass der Anfang im Inneren der Menschen liegt, sie müssen sich mit der Magie des Landes wieder verbinden. Im Wechsel der Perspektive hin zu positiver Kreativität und mütterlicher Fürsorge sieht der singende Poet Chancen für die Heilung der gerissenene Wunden.
„The question is, do we care enough? If not for ourselves, can we at least find the motivation to do it for our kids? We can clean up our rivers and beaches and bring back the salmon. We can replant the forests we’ve torn down. We can become leaders in green energy production, and boost our economy like we did with computer chips. We can open our eyes and see that petrochemical fertilisers and genetically engineered products are damaging our natural habitat and poisoning people, and instead invest in large-scale organic growing and permaculture like they have in the Netherlands.“
Rice erntet in Leser-Reaktionen natürlich prompt Spott und Hohn, wird gar der „Hirnlosigkeit“ bezichtigt. Der morgige Patrick’s Day, eigentlich ein „Gedenktag“, ist vielleicht dennoch ein guter Anlass, über das Verhältnis von innerer und äußerer Welt nachzudenken. Dazu muss man sich nicht grölend in eine Parade einreihen. Die Symbolfigur Patrick verkörperte für Irland immer auch etwas anderes als nur Party. Was der gute, alte Paddy denken würde, wenn er in diesen Tagen noch einmal von England auf die Nachbar-Insel übersetzen würde, wie damals im 5. Jahrhundert?
Nach der Lektüre von Rices und Kiberds Artikeln bin ich – egal ob sie nun im Detail recht haben oder nicht – schon beeindruckt. Es scheint sich im irischen Volk eine Bewegung zur Veränderung von unten nach oben zu entwickeln, weil die Frauen und Männer, die oben sind, so passiv bleiben. Natürlich fehlen denen "unten" oft die Mittel und Wege, Veränderungen einzuführen, aber ich würde das nicht überschätzen. Manchmal kann auch viel durch "einfach machen" erreicht werden. Vielleicht findet hier eine völlig neue Art von Demokratisierung statt; ich hoffe jedenfalls, dass diese Menschen zäh und einfallsreich sind und an ihrer Stelle, d.h. vor Ort etwas bewirken können. Es gefällt mir, dass die Presse ihnen ein Forum gibt.
Eine ähnliche Bewegung kann ich in Deutschland nicht feststellen. Mag daran liegen, dass ich hier keine Tagespresse lese. Ich fürchte aber eher, dass es so eine Bewegung gar nicht gibt, weil im Großen und Ganzen die Wirtschaftskrise bisher relativ glimpflich abläuft und von vielen irgendwie ignoriert und verdrängt werden kann. Es herrschen nicht genug Verzweiflung und Leidensdruck, die zum gemeinsamen Handeln motivieren könnten. Das Wirtschafts- und vor allem das Bankenleben läuft wohl weitgehend wieder wie vor dem Einbruch – noch wurde nicht wirklich etwas gelernt, weder beim Staat noch bei den Bonus-Zahlern und -Empfängern. Im Moment sieht's so aus, als wenn wir hier erst einen zweiten, wirklich tiefen und schmerzhaften Absturz erleben müssen, bevor sich ernsthaft was tut. Dass sich die Regierung inzwischen mit inner-koalitionärem Hickhack die Zeit vertreibt, macht viele wütend, treibt aber keine/n auf die Straße oder in eine wie auch immer geartete Aktion vor Ort.
Irgendwie sind diese Leserreaktionen typisch irisch oder auch typisch menschlich. Da spricht einer viel Wahres und man möchte sich nicht damit auseinander setzen. Es ist leichter weiterhin rücksichtslos mit Natur und Menschen umzugehen, sein eigenes, eigentlich so schönes Land, weiter mit Füßen zu treten. Ichbezogen, nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu leben und die Menschen die einen anderen Weg aufzeigen wollen, verlachen und beleidigen.
Gott sei dank gibt es auch Menschen die das anders sehen und vielleicht können diese etwas bewegen.
Der "spirituelle" Weg wird nicht das Allheilmittel aus der Krise sein, aber ein guter Anfang.