Windturbinen im Schwarzwald

Als ich vor 20 Jahren von Deutschland nach Irland zog, war das Leiden an der fortschreitenden Naturzerstörung in Mitteleuropa mein wichtiger Antrieb. An der Atlantikküste fand ich eine Wahlheimat, der durch glückliche Umstände noch Aufschub gewährt wurde (und wird).

Ich bin mir heute nicht mehr völlig sicher, ob es richtig war, das persönliche Glück vor den Kampf für die Natur in der Heimat meiner Kindheit und Jugend zu stellen. Sicher bin ich mir, dass dieser Kampf ein vergeblicher gewesen wäre. Ich halte mich gerade drei Wochen in Deutschland auf. Was ich hier an Veränderungen sehe, lässt mich verstehen, warum so viele Menschen, die uns in Irland besuchen, ihre Zeit am Atlantik als eine Zeit des Glücks in einer wenig zerstörten Gegenwelt erleben.

 

Einige aktuelle Beobachtungen in der alten Heimat im Südschwarzwald:

:: Der Raum der Natur wird weiter und weiter beschnitten. Der Flächenfraß kennt keine Grenzen. Der Fort-Schritt schafft fortschreitende Zerstörung. Letzte freie Flächen, auf denen wenigstens Kulturlandschaft einigermaßen ungehindert gedeihen könnte, verschwinden.

:: Die kleine Stadt, in der ich aufwuchs, wurde zum unwirtlichen Menschenfelsen. Die Projekte von Bürgermeister um Bürgermeister, die der ewigen städtischen Geld-Eliten, von Generationen von Investoren und fleißigen Einwohnern haben ihre tiefen Spuren in Beton, Stein und Asphalt hinterlassen.

:: Der kleine Park in der Innenstadt ist einem unförmigen Wohn- und Geschäftshaus gewichen.

:: Der größere Stadtpark kann seine Grenzen nicht verteidigen. Neue Häuser nagen beharrlich an seinem Rand.

:: Das einst ruhige Fluss-Ufer ist von der Stadt geschluckt worden. Auch hier gibt es nun Licht, Lärm, und Abgase rund um die Uhr.

:: Der Eisweiher, einst Schlittschuhvergnügen für die Jungen der Stadt, liegt vergraben unter Senioren-Residenzen. Hier leben die begüterten Alten der Stadt ihren Abend.

 

 

:: Die Wiesen, Hügel und Fluss-Auen, Spielgründe der Kindheit und Jugend, sind unter Baugebieten und Straßen verschwunden. Auf ihnen drängen sich die Wohnblöcke der einfachen Leute hier und die Einfamilienhäuser der Erfolgreichen dort. Der Verkehr, ein nie endender Strom aus Blech. Das Verkehrsaufkommen hat sich in wenigen Jahrzehnten vervier- oder verfünffacht. Manche Menschen würden gerne in ihren drei Autos gleichzeitig fahren, wenn sie nur könnten.

:: Wachsende Gewerbegebiete ziehen immer neue Menschen an. Es gibt Arbeit, es gibt Wohnraum. Es gibt eine diversifizierte Konsumlandschaft von Einkaufsarealen für jedes „Bedürfnis“.

:: Aus den Gärten und Vorgärten verschwinden die Pflanzen. Schottergärten und Steinwüsten breiten sich aus. Heart of Stone. Was geschieht mit den Seelen der Menschen in den Häusern in den Steinwüsten?

 

 

:: Die Gärten verschwinden. Immer noch ein Hüttchen mehr, ein zusätzliches Gartenhäuschen, noch ein Carport hier und eine trendige überdachte Gartenküche dort: Alles wird immer noch „besser“. Die Zivilisation optimiert sich an den Abgrund.

:: Die einst offenen Felder zwischen den Dörfern sind am Verschwinden. Dort, wo es sie gibt, werden sie eingezäunt, abgegrenzt, genutzt und abgenutzt: Noch mehr Hütten, Schöpfe, Lauben, Unterstände für Tiere und Menschen. Felder voller Biomasse.

:: Der Wald stirbt. Der saure Regen vor 30 Jahren war nur ein kleiner Vorgeschmack. Der Zustand der heimischen Wälder ist schlecht wie nie in unserer Lebenszeit. Überall tote Bäume, sterbende Bäume, gefällte Bäume.

:: Und auf den Bergspitzen des südlichen Schwarzwalds nun auch die Windräder. Die Symbole einer Energiewende, die nicht kommen wird, zerstören die letzten zusammen hängenden größeren Waldgebiete. Hier sind wirtschaftliche Partikular-Interessen am Werk. Hier kann Geld verdient werden. Das Klima wird hier nicht gerettet, aber die letzten Naturlandschaften werden im Namen des Klimaschutzes verwüstet. Manche Menschen wehren sich. Aus Rebellen wurden Profiteure. Aus braven Bürgern Rebellen: „Schützt unsere Heimat vor der EWS“. *

 

 

Wir alle können die Zerstörung der Natur sehen

 

Die Natur hat sich notgedrungen auf den Rückzug gemacht. Jeder verfügbare Quadratmeter Land wird von Menschen genutzt, Natur wird stetig in Kapital verwandelt. Aus Boden wird gesättigter materieller Wohlstand und mit ihm zieht seelische Not ein. Mein Freund Roland sagte gestern: „Ich lebe von der Landschaft“. Er, wir, müssen immer genauer suchen und weiter gehen, um noch ein Stück intakte Landschaft zu er-leben.

Wer so schreibt, wird gerne als heilloser Natur-Romantiker belächelt. Ich lächele gerne zurück. Ob er oder sie den dramatischen Niedergang der Natur nicht sehen kann, das Verschwinden von freiem Raum, von Tieren und Pflanzen? Der Niedergang ist so offen-sichtlich.

Der dauerhafte Anstieg der Temperaturen auf der Erde, die Klimakrise, die noch immer vorwiegend andernorts Wetterkrisen erzeugt, die Klimaschäden und die Klimageschädigten der Zukunft – all das mag man vielleicht noch nicht sehen, das mag frau sich noch nicht richtig vorstellen können. Der Mensch ist nicht gut darin, eine in der Zukunft liegende Bedrohung bereits in der Gegenwart abzuwenden. Den Niedergang der Natur, das Verschwinden der natürlichen Welt um die Ecke aber, das kann jeder sehen. Jetzt. Hier. Heute, Er vollzieht sich vor unserer aller Augen in atemberaubendem Tempo.

Die Zerstörung der Erde, der Niedergang der Natur, das ist unser wirkliches Problem. Die Klimakrise ist nur ein Teil der Krise, und die gerade massiv wachsende Klima-Rettungs-Industrie ist es ebenfalls – und keinesfalls ist sie Teil einer Lösung.

 

 

Dennoch: Das orchestrierte Geschrei der Klimakrisen-Leugner klingt wie der hässliche Soundtrack des Niedergangs, die fakten-immune Rechthaberei in den unsozialen Medien liefert die Untertitel („Warmzeiten hat es schon immer gegeben . . . “ ). Viele singen jetzt das hohe Lied auf die Freiheit. Sie meinen nicht die Freiheit, auf das zu verzichten, was man als falsch erkannt hat. Und nicht die Freiheit der Anderen. Sie meinen die Konsumfreiheit, die totale Reisefreiheit, die Freiheit, jeden Tag zu essen, was schmeckt und gefällt, Fleisch, Milch, Fisch satt. Klimakrise, Naturkrise, Massenausrottung der Arten. Der Mensch, der Mensch, der Mensch leistet ganze Arbeit.

Seit vier Jahrzehnten leben wir nun massiv über unsere Verhältnisse und über die Verhältnisse der Erde. Seit 40 Jahren sind wir zu viele geworden und konsumieren mehr Resourcen, als die Erde regenerieren kann. Seit vier Jahrzehnten ist Wirtschaftswachstum nichts anderes als Zerstörung.

Wir reden laut und viel über das Klima und tun dann: Erst mal nichts. Als könnte alles so weiter gehen. Es geht einfach alles weiter wie gewohnt: Der CO2-Ausstoß weltweit, auch in Europa und in Deutschland, steigt allen Bekundungen zum Trotz unverdrossen weiter. Der Auto-Verkehr nimmt zu, der Flugverkehr wächst, gegen alle Flugscham. Der Landverbrauch hält an. Die Arten sterben weiter aus, Tiere, Pflanzen. Klar hat es das schon mehrfach in der Erdgeschichte gegeben. Und doch ist es eine Premiere: Dies ist Made by Humans. Diese Ausrottung ist menschengemacht.

Warum eigentlich müssen wir ständig alles verändern, verwandeln und es uns unterwerfen? Warum können wir die Natur um uns herum nicht einfach in Ruhe lassen, sie sein lassen, wie sie ist? Warum beschränken wir uns nicht? Die Hälfte der Erde für die Menschen, die andere Hälfte für die wilde Natur, für Wildtiere und Pflanzen. Das wäre ein Deal, der auch uns bald schon nützt.

Die Erde und mit ihr wir Menschen rasen auf die globale ökologische Katastrophe zu. Die Krise ist so vielfältig wie dramatisch und eskaliert mit großer Geschwindigkeit. Die Vernichtung nicht-menschlichen Lebens durch die Nutztier- und Agrar-Wirtschaft verursacht die Massenausrottung der Tier- und Pflanzenarten. Die Meere sterben durch Plünderung, Sauerstoffarmut und Vermüllung. Das anhaltende exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung, das politisch kaum thematisiert wird, ist der Hauptgrund für die meisten ökologischen Probleme wie Luftverschmutzung, Bodenverlust, Wasserknappheit, Wasserverunreinigung durch endokrine Disruptoren und das globale Plastikmüll-Desaster. Ja, und auch die Klimakrise und die globale Erhitzung, bedrohen das Leben auf der Erde langfristig. Der ökologische Kollaps naht – und wir genießen unseren Wohlstand in vollen Zügen.

 

Wir müssten nur den Materialverbrauch halbieren

 

Der tschechische Biologe und Umweltwissenschaftler Vaclav Smil (neues wichtiges Buch im Jahr 2019: „Growth“) erkennt nur diese Alternativen: Entweder wir rücken vom Wachstum ab, oder wir werden von der Erde verschwinden. Grünes Wachstum (wie die anhebende Klima-Rettungs-Industrie) entlarvt der emeritierte Professor aus Manitoba, Kanada, als die große Augenwischerei der Gegenwart. Er rät uns Europäern zur Mäßigung, zum Sparen, zu einem dauerhaften Wohlstandsniveau, wie wir es in Deutschland und Westeuropa in den 1960er- und 70er Jahren hatten (unterentwickelte Gesellschaften sollten dagegen zur Reduzierung der Armut noch für eine bestimmte Zeit wachsen). Smil sagt:

 

„Wir könnten unseren Energie- und Materialverbrauch halbieren, was uns wieder auf das Niveau der 1960er Jahre bringen würde. Wir könnten sparen, ohne etwas Wichtiges zu verlieren. Das Leben war in Europa der 1960er oder 70er Jahre nicht schrecklich. Menschen aus Kopenhagen könnten nicht mehr für einen dreitägigen Kurztrip nach Singapur fliegen, aber na und? Es wird nicht viel mit ihrem Leben passieren. Die Leute wissen nicht, wie viel Spielraum wir in dem System haben.“

 

In den 60-er und 70-er Jahren haben auch wir Menschen in Mitteleuropa noch nachhaltig gelebt.

In meiner Erinnerung war das kein schlechtes Leben. Wir hatten alles und mehr, was wir zu einem guten Leben benötigten – auch wenn es nicht die Hälfte dessen war, was wir heute konsumieren und besitzen. Das ist nur vier oder fünf Jahrzehnte her.

Warum ist es so schwer, nicht immer mehr zu wollen, sondern das Weniger zum Lebens-Ideal zu erheben? Wir wissen doch längst, dass unser Glück nicht mit dem materiellen Wohlstand zunimmt. Es gäbe ein Leben in Würde und Sicherheit, wenn wir vom Wachstum abließen und uns bescheidener einrichteten.

Wir aber konsumieren, als gäbe es kein Morgen. Und deshalb gibt es möglicherweise kein Übermorgen für das Leben auf unserem blauen Planeten. Manche Astrophysiker und die Evolutionsbiologen haben uns als Spezies bereits aufgegeben. Das hochkomplexe Geisteswesen Mensch hat sich von der inneren und äußeren Natur getrennt, abgewandt und isoliert – und könnte genau daran scheitern. Der Mensch folgt dem evolutionären Imperativ und wird von der Erde verschwinden.

 

Hören wir auf, gegen die Evolution zu kämpfen . . .

 

Die Weisheitslehrerin Catherine Ingram rief uns kürzlich in dem viel beachteten Essay „Dem Aussterben ins Auge sehen“ zu: Hören wir auf, gegen die Evolution zu kämpfen. Sie wird gewinnen.

Mag sein, dass wir verlieren. Und doch haben wir auch im Verlieren die ethische Verpflichtung, das zu tun, was wir als richtig erkannt haben – für unsere Kinder und Enkel und Urenkel. Nehmen wir uns die irischen Sportfans zum Vorbild, die in der Niederlage ihre wahre Größe zeigen. Sie singen die schönsten Lieder, wenn der Sieg ihrer Mannschaft am unwahrscheinlichsten geworden ist.

Deshalb müssen wir zumindest versuchen, gemeinsam die rettende Wende zu schaffen, uns zurück zu nehmen und wieder einzugliedern in die große Biosphäre, als Teil des lebendigen Ganzen.

Fangen wir an, als Konsumenten abzurüsten. Arbeiten wir kürzer und leben wir mehr. Geld, das wir nicht ausgeben, müssen wir nicht verdienen. Versuchen wir, uns im Weniger selbstverantwortlich einzurichten, erheben wir die Mäßigung zum Leitmotiv unseres Handelns.

Das Fest des Hyper-Konsums steht wieder vor der Tür. Lassen wir es einfach einmal draußen stehen und beginnen drinnen damit, ein verantwortungsvolleres Leben einzuüben . . .

 

Lesetipps:

Vaclav Smil: Growth, 2019

Catherine Ingram: Facing Extinction, 2019

Jonathan Franzen: What If We Stopped Pretending? – The climate apocalypse is coming. To prepare for it, we need to admit that we can’t prevent it, in: New Yorker, 8. September 2019

 

Fotos: Windkraftgegner Gersbach (Titel-Montage); Markus Bäuchle

 

* Nachtrag 10. Dezember 2019: Dies ist kein prinzipieller Einwand gegen Windräder und Windenergie. Sie muss auf Flächen genutzt werden, die ohnehin ökologisch zerstört sind, auf Industrieflächen, in Gewerbe- und Konsumgebieten. Was fehlt ist eine sorgfältige Abwägung von Energie-Nutzen und ökologischen Schäden. Es fehlen die Fürsprecher für eine sprach- und hilflose Natur.

 

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Unterwegs von Irland nach Deutschland auf dem Land- und Seeweg