Die Iren sind ein duldsames Völkchen. 800 Jahre Fremdherrschaft haben die Fähigkeiten zum Abwarten, Taktieren und Aushalten fast zur eigenständigen Kunstform entwickelt. Bisweilen scheint das große Erleiden und Erdulden auf der Insel sogar das Naturprinzip von Ebbe und Flut, das Gesetz von Ursache und Wirkung außer Kraft zu setzen. Wie sonst ließe sich erklären, dass die Politiker, die Irland seit den 90-er Jahren konsequent in den wirtschaftlichen Abgrund führten, auch im “Jahr vier” der tiefen Rezession noch immer regieren im Sattel der Macht sitzen?

Es ist sicher kein rein irisches Phänomen, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird, dass die Brandstiffter Feuerwehr spielen dürfen, dass die Verantwortung für ein Land in den Händen derer “ruht”, die die Zukunft des Landes konsequent verspielt haben. Die Menschen in Irland allerdings haben das Prinzip der politischen Inkonsequenz perfektioniert. Seit drei Jahren darf die grand old Party Fianna Fáil (FF) sich daran versuchen, dem Wahlvolk die üble Suppe wieder einzulöffeln, die sie ihm davor – getarnt als Celtic-Tiger-Menü – schon eingebrockt hat.  In diesen drei Jahren schmerzhaften Niedergangs hat sie für Jeden sichtbar beweisen dürfen, dass sie es einfach nicht kann – nicht regieren, nicht Krise managen, nicht das Land in die Zukunft führen.

Jetzt endlich ist der Tag der Abrechnung in Sicht: Spätestens Ende März wird das Elektorat auf der Insel eine vollends abgehalfterte Regierungspartei in die Rente schicken und ein neues Parlament wählen. Es wird Neuwahlen geben – und obwohl sich an der machtpolitischen Konstellation bislang nichts geändert hat: Die politische Stimmung im Land hat sich vollends gedreht. Nie in der Geschichte der Republik Irland stand eine Regierung so abgemeiert da, nie war der politische Wunsch der Bevölkerung ausgeprägter, einen Ministerpräsidenten und seine Mannschaft ganz schnell loszuwerden. Taoiseach Brian Cowen wird wohl als der schwächste und bedauernswerteste Regierungschef in die Annalen der Grünen Inselrepublik eingehen, und es wird viele Jahre dauern, bis sich die politisch wie finanziell am Abgrund stehende Fianna Fáil von ihrem Niedergang erholen wird. Möglicherweise wird die Partei dasselbe Schicksal ereilen, wie es der von ihr zu Tode gefütterte Keltische Tiger erlitten hat.

Die FF-Funktionäre jedenfalls verlassen das sinkende Schiff: Das politische Personal der “Fianna Failed” geht reihenweise in Pension und sichert sich noch schnell vor dem politischen Exitus satte Abfindungen für ein vergnügliches Altenteil. Das politische Erbe werden andere schultern müssen: Ein Land vor dem Bankrott, das seine Souveränität an die europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds abgegeben hat, und dessen Bürger in die Pflicht genommen wurden, die Spielschulden der irischen Banken und der globalen Finanzwelt bis hin zu deutschen und französischen Banken abzuzahlen.

Wie groß ist die Duldsamkeit der Iren wirklich? Ist es vorstellbar, dass nach den Parlamentswahlen im März die hässliche Parteien-Schwester Fine Gael das Ruder übernimmt, nur um die alte Vetternwirtschaft-und-Filz-Politik bis zu einem noch bittereren Ende fortzuführen – oder kommt wirklich der Neuanfang mit einer neuen Generation junger und unverbrauchter Politiker?

Es heißt, die Krise sei immer auch Chance. In diesem Sinne bietet die irische Groß-Krise zugleich die Groß-Chance, dass sich das Land wirklich erneuert und die Zukunft solider, menschenfreundlicher und solidarischer gestaltet als die wachstumstrunkene Vergangenheit und die orientierungslos und passiv erduldete Gegenwart. Die Frage ist nur: Wer kann es, wer darf es und wer macht es?