Am Pier von Doolin

Bill steht am Pier von Ballaghaline, Doolin. Er schaut müde aufs Wasser, hinüber zu den Aran Inseln. Bill ist froh, dass die Tourismussaison im Westen Irlands vorüber ist. Das Jahr hat Kraft gekostet, die Margen sind zusammengeschrumpft, der Kampf um das Geld der abnehmenden Urlauberschar aus den USA und aus Europa war härter denn je.
Doolin, Herzland des traditionellen Irland, am Rand der Cliffs of Moher im County Clare, leidet. In den vergangenen zehn Jahren haben die Leute von Doolin die herrliche Landschaft zwischen den Cliffs, den Aran Inseln und dem Burren mit hunderten neuen Ferienhäusern, Hotels, Villen und Privathäusern überzogen. Der Geldsegen aus Touristentaschen schien Jahr um Jahr üppiger zu strömen. Wer dachte da an ein Ende der Party? Allenfalls die Spielverderber. Jetzt wird es eng in und um Doolin. Weil Gäste ausbleiben, Kredite nicht mehr fließen und das Geld an allen Ecken und Enden fehlt.
Quo vadis Doolin?

Bill erinnert sich gerne an die die guten, alten Zeiten. Damals war alles locker, lustig, Porter und Freude. Heute regiert der Druck. “Wir haben verdammt groß gedacht, zu groß. Wir haben ein zu großes Rad gedreht, wir haben es übertrieben”, sagt der 58-jährige. “Wir haben alle zu viel gebaut und zu viel investiert.” Er nimmt sich nicht aus. Bill hat sich und seiner Familie einen 16-Zimmer-Palast hingestellt. Heute bewohnt er mit seiner Frau zwei Zimmer im Riesenhaus. Der Rest bleibt ungenutzt und unbeheizt.
Sehr groß, sehr schrill, sehr bunt: Villa in Lisdoonvarna (bei Doolin)

Immerhin: In seinem Haus bleiben zwei Zimmer bewohnt, in vielen anderen Villen Doolins ist die Familie längst in einem zusammengerückt. Viele Häuser stehen ganz leer – auch Hotels, Activity Centers, Gästehäuser.
Vor O´Connor´s Pub

Nur in Doolins Fisherstreet, der wohl berühmtesten Straße im ländlich-traditionellen Irland, scheint fast alles beim Alten: Sie hat ihr Gesicht in den letzten 40 Jahren nur allmählich und behutsam verändert. Der Musikladen ist da, der Pulloverladen, der Souveniershop. Bei Gus O´Connor´s finden Fiddle, Flöte und Concertina ihre Meister, fließt der Porter, drängen sich Musiker um einen Auftritt.

Girls playing the fiddles

Die Hochburg der Irish Music kann über Gästemangel auch im späten Herbst kaum klagen. Hier wird die traditionelle irische Folk Music im Sinne der legendären Russel-Brüder in Ehren gehalten.
Meister der Flöte in O´Connor´s

Andernorts im “modernen” Irland spricht man derweil verächtlich von der “Diddle-ee-did”-Musik.

Packie Russel & Marcus Walsh in O´Connor´s 1973
Wo liegt Doolin, fragte man gerne rhetorisch, weil in Doolin keiner von Doolin spricht und immer nur die Namen der Ortsteile benutzt: Fisherstreet, Roadford, McDermott´s, McCann´s. Heute interessiert eine andere Frage mehr: Was wird aus Doolin werden?
Die Zeit des Abspeckens hat auch in Irlands Westen längst begonnen. Bill beteuert: “Wir Leute auf dem Land kommen auch in schlechten Zeiten klar. Wir brauchen nicht die neusten tollen Klamotten, nicht die besten Autos wie die Leute in Dublin.” Sagt´s und gleitet im glänzenden schwarzen Range Rover nach Hause, den 14 leeren Zimmern entgegen.