Heute wieder einmal das gepflegte Wort zum Sonntag.In dieser Woche beherrschten drei hässliche irische Banker die Schlagzeilen in Irland und Europa: Die ehemaligen Top-Manager der mit dem Geld der Steuerzahler geretteten und dann aufgelösten Skandalbank „Anglo Irish Bank“ zeigten noch einmal ihre hässliche Fratze. In Telefon-Mitschnitten („The Anglo Tapes“), die der Irish Independent seit Montag veröffentlichte, offenbaren Ex-Chef David Drumm („Drummer“) und die Anglo-Banker John Bowe und Peter Fitzgerald unfreiwillig öffentlich, dass alles wahr ist, was man über Bankster heute denkt. Sie bewiesen sich nicht nur als gierig, rücksichtslos und manisch auf den eigenen Vorteil fixiert, sondern auch als hochgradig zynisch, selbstherrlich, herablassend und über die Maßen arrogant. Primitive Drecksäcke in Nadelstreifen.*
Doch der große Aufschrei wird bald verklungen sein, und dann kehrt wieder frustrierte lähmende Ruhe ein auf der Insel. Die Regierung wurschtelt sich weiter durch, straft das Volk finanziell ab, ohne gegen die Elite-Kumpel entscheidend durchzugreifen. Die besonders frustrierten hellen Köpfe wandern aus, die große Umverteilung des Wohlstands aus der Mitte nach oben, die Vollprivatisierung des Gemeinguts, die Verarmung der breiten Mittelschicht und die Zukunftsvernichtung für eine ganze Generation junger Menschen geht munter weiter. Man muss sich jedoch nichts vormachen: Das Neuverteilung von Wohlstand, Eigentum und Privilegien ist kein irisches Phänomen, es hält ganz Europa und die Welt im Klammergriff.
Ich las kürzlich darüber, wie sich die Menschen in Europa in den Jahren 1905 bis 1914 gefühlt haben: In dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg lag etwas Schweres, Bedrückendes über dem Kontinent. Jeder ahnte oder wusste, dass etwas Tiefgreifendes geschehen und alles verändern würde. Keiner wusste genau, was und wann. Diese Beschreibung erinnerte mich an unsere Gegenwart. Die Leichtigkeit der europäischen Reform-Jahrzehnte ist längst verflogen, viele Menschen wähnen sich vor einem kaum überwindbaren Berg schier unlösbarer Probleme. Das europäische Großklima: Bedrückend, pessimistisch, sorgenvoll. Das Vertrauen, dass die Politik die Probleme der Gesellschaft, der sie dient, lösen würde, sinkt ins Bodenlose. Eine ungezügelte globalisierte Wirtschaft, befeuert und getrieben von einer ungezügelten globalisierten Finanzwirtschaft, dominiert die im Kleinstaatlichen gefangene Politik und unser Leben. Zudem machen Überwachungsstaats-Übergriffe der amerikanischen und der britischen Regierung keinen großen Appetit auf „mehr Staat“. Das Versagen der Politik und der so anarchische wie zerstörerische Siegeszug der Ökonomie stellt die Funktionsfähigkeit unserer Demokratien in Frage. Andererseits sind mehr Menschen denn je heute dank Internet und globaler Kommunikations-Transparenz bestens informiert und mit den Problemen der Gegenwart vertraut. Wir wissen längst: Wir müssen unser Schicksal in die Hand nehmen und uns einmischen.
Was also tun? Die Frage gebe ich an Euch alle weiter. Fürs Erste lediglich drei Fragen mit Anmerkungen:
1. Die Banker Drumm, Bowe und Fitzgerald mögen charakterlich miese Typen sein. Doch auch sie waren einmal Kinder, Jugendliche, und hatten viele Chancen für zahlreiche Lebenswege. Haben sich also nur die geborenen Raffzähne in Top-Banker-Positionen geschlichen und gebissen — oder würde das internationale Bankensystem vielleicht auch mich, Dich und den guten Menschen von nebenan korrumpieren, kompromittieren und beschädigen, wenn wir im Management einer Bank oder eines Finanzbrokers arbeiten würden?
2. Können wir einzelnen, vereinzelten und als Einzelne ohnmächtig wirkenden Menschen Wandel bewirken? In wie weit dürfen und müssen wir die Solidarität mit einem Gemeinwesen / Staat in Frage stellen, der systemisch versagt und doch immer noch mehr Sicherheit, Schutz und Freiheit gewährleistet als die meisten Gemeinwesen / Staaten dieser Welt?
3. Wie stecken in einer tiefen Systemklemme. Das aus den Fugen geratene Wirtschaftssystem zerstört zusehends den gesamten Planeten und gilt doch als alternativlose Wohlstands-Sicherungs-Maschinerie. Warum kämpft keine relevante Kraft im europäischen Parteienspektrum für ein alternatives Wirtschaftssystem, einen dritten Weg oder den Ausstieg aus der destruktiven Wachstumswirtschaft? Warum begnügt sich die Politik mit kaschierender Kosmetik, wo doch jeder weiß: Der Lack ist ab? Warum merkeln wir einfach so weiter?
* Anglo Tapes: Die Mitschnitte zum Mithören gibt es auf der Website des Irish Independent.
Foto: Markus Bäuchle / Irlandnews
weiter „merkeln“ … :)
Dass man den Profit privatisiert und das Risiko verstaatlicht ist nichts Neues, das gab’s auch schon im Altertum bzw. in der Antike. Wohin es führt, müssen wir wohl nochmal lernen?
Kapitalismus braucht keine Demokratie, er funktioniert auch unter anderen Staatsformen. Wenn die Demokratie von der Wirtschaft geleitet wird, haben wir wohl nur eine effektive Möglichkeit zu wählen und zwar mit unserem Geldbeutel.
Macht es wie die irische Landliga mit Charles Cunningham Boycott …
Ich glaube ja echt nicht, das nur Irische Bänker so reden und denken, diese hatten halt nur das“ Pech“ aufgeflogen zu sein. Ich denke das Banker im allgemeinen eine solche Arroganz auszeichnet, vor allem in gewissen Positionen.
Und da ihre Fehler ja mit schönster Regelmäßigkeit durch Steuergelder beseitiget werden, werden sie es auch weiterhin so sein . Wozu dann ändern ??
zu 1.: Ich denke, man begibt sich zunächst mal in die Umgebung, in der man sich wohlfühlt. Ich hätte mich nie als Auszubildende im Kostüm (zu meiner Zeit noch üblich) im Schalterraum einer Bank gesehen, andere eben schon. Dass mensch seine Meinung aber auch in mittleren Jahren noch ändern kann und sich unguten Entwicklungen entzieht, sieht man an der nicht unbeträchtlichen Menge von Leuten, die den Finanzsektor gegenwärtig bewusst verlassen, weil sie mit den Machenschaften dort nichts mehr zu tun haben wollen. Ich kenne allein vier davon. Meiner Ansicht nach sind also Manager/innen in dieser Branche nicht im geringsten hilflose Opfer der Umstände – eher Opfer ihres Egos, möchte ich mal annehmen.
zu 2.: Wir begeben uns in den Bereich der Philosophie… Können wir das System von innen heraus verändern, oder muss erst mal alles zu Bruch gehen, weil es einfacher ist, bei Null zu beginnen? Abgesehen davon, dass ich denke, ein echtes „Null“ gibt es sowieso nicht (siehe Nachkriegszeit), bin ich eher der Typ, der auf den erhaltenswerten Dingen aufbaut und die schlechten verbessert. Weil ich ehrlich gesagt nicht weiß, wie allgemeingültige Lösungen umgesetzt werden können (gibt es die überhaupt?), konzentriere ich mich momentan sehr darauf, in meiner unmittelbaren Umgebung durch mein eigenes Verhalten Impulse zu setzen. Fairness und Freundlichkeit am Arbeitsplatz, aktives Umweltbewusstsein, Herzlichkeit und Unterstützung in Familie und Freundeskreis, soziales Engagement, wo es mir liegt. Für große Politik, die ebenso nötig ist, habe ich im Moment keinen Nerv; das mag meiner Lebensphase geschuldet sein. Ich muss auch nicht alles auf meine Schultern laden. Die Jungen bei der Occupy-Bewegung und die Alten bei attac! (sorry, Klischee…) sind auf ihre Weise aktiv und zünden ihre Sprengsätze. Ich verweigere mich auch bewusst jeder Form von Panikmache, weil im panischen Zustand niemand mehr halbwegs klar denken kann.
zu 3.: Drei Fragen, eine Antwort: weil keiner weiß, wie eine funktionierende Veränderung in der Praxis wirklich aussehen soll. Die Erfahrung mit dem Kommunismus war ernüchternd: was sich bei Marx und Engels plausibel und umsetzbar liest, ist im Realen Sozialismus an bestimmten Eigenschaften der Menschheit gescheitert. Machthunger, Kontrollsucht, „es gibt nur den einen richtigen Weg“, Gleichgültigkeit, Ignorierung der Individualität usw. haben den ebenso vorhandenen Gemeinschaftssinn und die Solidarität in Kanäle geleitet, die dann nur im direkten Umfeld wirkten. Die Erfahrung im Umweltschutzbereich ist auch ernüchternd: ich gebe mir Mühe, meinen „Fußabdruck“ zu verkleinern, und China bläst weiter in großem Stil seinen Dreck in die Luft. Wir müssen neue Lebens-/Gesellschaftsmodelle entwickeln, gleichzeitig aber aushalten, dass wir in der Phase der Neuorientierung auch erst mal im Nebel stochern. Dass die Uhr erbarmungslos weitertickt, ist unsere Mahnung.
Theorien und Pläne gibt es genug, aber der Handlungsdruck, zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, ist noch nicht groß genug. Ein Beispiel aus dem Klimaschutz: Australien liegt unter einem riesigen Ozonloch, die Hautkrebsrate steigt dort überproportional an. Sind die Australier Vorreiter in der CO2-Bekämpfung? Nein. Sie tragen einfach mehr langärmlige T-Shirts. Ich fürchte, so hat die Menschheit bisher ganz gut überleben können: wenn die Probleme übermächtig wurden, hat sie sich eben angepasst. Der Alltag frisst zu viel Energie, als dass der einzelne sich global engagieren mag. Dass diese Einstellung unseren Alltag, wie wir ihn heute kennen, eines Tages unmöglich macht, ist zu weit weg, zu anstrengend, zu beängstigend. Aus dem Therapie-Zusammenhang gibt es den Satz: „Es gibt nur einen einzigen Grund, sein Leben zu verändern: man hält es einfach nicht mehr aus.“ Die meisten von uns können noch ganz gut aushalten.