Brian Cowen gibt Auskunft in RTE One

Irische Politik zu verstehen ist bisweilen schwierig. Von den Franzosen sagt man: Sie ohrfeigen sich mit Küssen. Vom irischen Politiker darf man annehmen: Wenn er jemanden als seinen Freund bezeichnet, muss der Gemeinte ganz besonders aufpassen, ist das Messer hinter dem Rücken besonders scharf gewetzt. Gestern abend erlebten wir eine Sternstunde echter irischer Politiker-Freundschaft.

Es ist in ganz Europa bekannt: Irland will seinen Regierungschef, den tranigen, pro-passiven, medienscheuen, oft inkompetent und nicht ganz nüchtern wirkenden Brian Cowen ( samt seiner Partei Fianna Fail ) ganz schnell los werden. Seine Zustimmungsrate in der Bevölkerung liegt gerade noch bei zehn Prozent – und auch in der Regierungspartei Fianna Fail überlegt man seit Monaten, wie man den Fettnäpfchentreter in die hinteren Reihen zurückschicken kann.

Gestern abend stellte sich Brian Cowen einem selber beantragten Vertrauensvotum seiner Regierungspartei – und siehe da, sein offizieller Herausforderer Micheal Martin, der Außenminister Irlands, stand am Ende ziemlich alleine und blamiert da. Wohl vor allem, um Micheal Martin, der als einziger aus der Deckung kam, nicht den Parteivorsitz zu überlassen, stimmten die anderen Cowen-Widersacher und deren Seilschaften gestern taktisch für den Parteichef Cowen. Und manche mögen sich gedacht haben: Überlassen wir es doch den Wählern, Brian Cowen bei den Neuwahlen in wenigen Wochen in Rente zu schicken.

Cowen bleibt also für eine Wochen länger im Amt und eine weltfremde Fianna Fail darf weiterhin so tun, als gebe es nur die Partei und kein Wahlvolk und keine Probleme da draußen auf der Insel. Ein verheerendes Signal, das man dennoch als übliches politisches Ränkespiel einsortieren kann; und aus 2000 Jahren Politik ist bekannt, dass Brutus, der Mann mit dem Dolch, nur in Ausnahmefällen der neue Cäsar wird.

Das ganz und gar Erstaunliche am gestrigen Abend aber war: Nach der Entscheidung setzte sich ein erleichterter Brian Cowen vor die Fernsehkameras, tat so als hätte er gerade einen neuen Kindergarten eingeweiht und überschüttete Micheal Martin, seinen Wiedersacher aus Cork, kübelweise mit Sympathie und Freunschaftsbeweisen. Also, was für eine tolle politische Auseinandersetzung das doch war,  und was für ein guter Politiker der Michael doch sei, den werde er auch im bevorstehenden Wahlkampf an vorderster Stelle einsetzen (als Plakatkleber vielleicht, dachte man sich?), vor allem aber: Was für ein guter Freund der Michael doch war, ist und sein wird. Fehlte nur, dass die beiden nach dem Duell ums politische Überleben zusammen Bier trinken gehen. Den Rücktritt des Verteidigungsministers Martin hat der Taoiseach Cowen dann nebenbei aber doch angenommen.

Was war diese Liebeserklärung an den Feind?

1) Eine perfektionierte Form der Hintertriebenheit und Gerissenheit?
2) Eine besondere Blüte des irischen Konfliktvermeidungsdranges?
3) Eine reine Form christlich-katholischer Nächstenliebe?
4) Eine Umschreibung für die Gewissheit, sich im kleinen Irland demnächst wieder über den Weg zu laufen und sich nicht aus demselben gehen zu können?
5) Ein ganz normaler politischer Umgangsstil in Irland, den Kontinentaleuropäer nicht verstehen?

Manche Beobachter sagen, das sei die neue faire Form der politischen Auseinandersetzung. Spielt Irland also auch in dieser Hinsicht weltweit den Vorreiter uns setzt die Maßstäbe für den fairen politischen Umgang in der gereiften Demokratie?