Blasphemie?*

In Irland gehen die Uhren anders, sagt man gerne. Und es stimmt. Anders als auf dem europäischen Kontinent. Wir sind immer eine Stunde später dran als Mitteleuropa – und auch politisch gehen die Uhren anders: Während andernorts die Populisten prollen und populieren und die ehemals liberalen Gesellschaften stramm nach rechts rücken, baut Irland die bürgerlichen Freiheitsrechte immer noch aus. Nach der Ehe für Alle und der Liberalisierung des Abtreibungsrechts stimmen die Irinnen und Iren morgen über die Streichung des Blasphemie-Paragraphen in der Verfassung ab.

Dass Irland noch immer Spielraum hat, die Freiheitsrechte der Menschen zu stärken, liegt natürlich an der Tatsache, dass hier auf der Insel bis in die 60-er Jahre dunkles katholisches Mittelalter herrschte. So trotzen Politik und Gesellschaft am westlichen Rand Europas bis heute mit Aufhol-Energie erfolgreich dem Populismus und schreiben das Wort Freiheit weiterhin groß, während sich in Nachbarländern präfaschistische Tendenzen ausbreiten.

Wenn morgen der Präsident Irlands neu gewählt wird – die Wiederwahl von Michael D. Higgins ins oberste Staatsamt gilt als sicher – werden die Bürger auch befragt, ob der Straftatbestand der Blasphemie aus der irischen Verfassung gestrichen werden soll. Umfragen zufolge sollte es eine klare Mehrheit dafür geben, dass die Gotteslästerung und die Verletzung religiöser Gefühle künftig keine Straftat mehr sein werden. Die Stärkung der freien Meinungsäußerung zulasten des Schutzes religiöser Gefühle wird sogar von den beiden Kirchen auf der Insel vorsichtig mit getragen.

Das Blasphemie-Verbot war von interessierten Kreisen als Disziplinierungs-Mittel in Irlands erste Verfassung von 1938 geschrieben worden. Doch wer denkt, der Läster-Paragraph sei ein überkommenes Phänomen aus den Kinderjahren der Republik, der irrt. Im Ausland rieb man sich im Sommer 2009 verwundert die Augen über Irland und das neue „Blasphemie-Gesetz“, das das irische Parlament nach monatelangem Palaver vor neun Jahren beschloss. Das Gesetz bestraft seitdem Gottelästerung (sich über Dinge, die für eine Religion wichtig sind, grob ausfällig oder beleidigend zu äußern) mit bis zu 25.000 Euro. Der SPIEGEL kommentierte damals: „Es wirkt wie ein Rückfall ins Mittelalter.“ Manche sahen in dem Machwerk aus einer anderen Zeit einen Kniefall der Regierung vor dem nach wie vor mächtigen erzkatholischen Establishment.

Ian O’Doherty, Kolumnist des „Irish Independent“, sagte es so: „Jetzt sind wir also offiziell das religiös verblendetste Land der zivilisierten Welt.“ Und er forderte die Strafverfolgungsbehörden mit dieser netten Provokation heraus: „Katholizismus ist ein Kannibalenkult, der seine Anführer frisst. Juden, die glauben, dass es Gottes Wille ist, dass sie im Heiligen Land wohnen, sind verblendete Irre. Muslime, die islamisches Recht einführen wollen, sind faschistische Terroristen, und Scientologen sind Freaks, die vom böswilligen Geschwätz eines gescheiterten Science-Fiction-Autors verleitet wurden.“ Der Autor der unbotmäßigen Zeilen wünschte sich: „Also, Jungs, ich sehe euch vor Gericht.“

O`Doherty wie viele andere wurden nicht vor den Kadi gezerrt. Es gab keine Verurteilung. Die katholische Kirche hat seitdem weiter an Macht eingebüßt. Das Blasphemie-Gesetz von 2009 wirkte wie ein Katalysator für die komplette Abschaffung des alten Straftatbestands. Morgen, am Freitag, dem 25. Oktober 2018, ist es nun so weit: Der Läster-Paragraph soll weichen.

* BRB: Be right back = Bin gleich zurück: LOL: Laugh out loud = Laut lach.