Geschichten aus dem Linien-Bus: Zeitreise im Magic Bus Eireann

 

Happy New Year to You. Heute morgen fuhr ich mit dem ersten öffentlichen Bus des Jahres von der Silvesterfeier in Cork City heim nach West Cork. 80 Kilometer über den berüchtigten Buckelasphalt der irischen Provinz. Zwei Stunden Schüttel-Massage für den gesamten Körper inklusive Percussion-Workshop-Akustik: An diesem Bus Eireann wackelte alles, was an einem alten Bus wackeln kann, die vereint wackelnden Teile von der Buskasse bis zum Gepäckfach sonderten diesen prägnanten vielschichtigen  Schlagzeug-Sound dazu ab. Das Ganze für schlappe 16 Euro, ein Schnäppchen zum Jahresbeginn.  Der neue superteure Super-Bus für die Strecke Cork-Glengarriff-Castletownbere steht derweil verlassen am Straßenrand. Er ist gleich in der Probezeit zusammengebrochen.

Am Steuer des einsatzfähigen alten Busses buddha-gleich ein echter Cork Boy. Ruhig, wach, ein Meister der zentimetergenauen Navigation und des Schlagloch-Spotting. Der Fahrer begrüßt alle Gäste mit einem Happy New Year und einem kurzen Schwätzchen. Wer am Ende seiner Fahrt aussteigt, bedankt sich artig mit guten Wünschen für das neue Jahr. Eine alte Frau, man kennt sich, schenkt dem Buslenker aus Dankbarkeit für vergangene Dienste einen Fünfer in Münzen, einen Token of Appreciation, wie man hier sagt.

Cork Boy fährt buddha-gleich um Schlagloch und Asphaltdelle

 

Auf unserer Tour um Schlaglöcher, Asphaltdellen und Tar-n-Chip-Geschwüre im Straßenbelag kommt mir der aktuelle Aufmacher der Lokalzeitung Southern Star in den Sinn: “Kein Schadensersatz für die elf Opfer des Schlaglochs in Bandon”. Skandal: Am Orteingangsschild der Kleinstadt Bandon vor den Toren von Cork City hatte sich in der Vorweihnachtszeit nach starkem Regen ein riesiges Schlagloch aufgetan und ein mittelgroßes Blechkarossen-Opfer eingefordert. Elf Fahrer scheiterten im morgendlichen Berufsverkehr des 18. Dezember auf jeweils eigene Weise: Von Plattfuß bis Achsbruch war alles dabei.

Soweit nichts Ungewöhnliches im wilden West Cork. Vor nicht allzu langer Zeit entdeckte ich auf der Landstraße bei Baile na Blath ein kinderbadewannen-großes Schlagloch gerade noch rechtzeitig. Adrenalin-gedoped entgingen mir nach einem gewagten Ausweichmanöver die fünf Fahrer am Straßenrand nicht, die kurz zuvor versucht hatten, ihre Autos geradlinig durch die Wanne zu steuern. Am Straßenrand waren Wagenheber das gefragte Werkzeug.

Ob unser Parlaments-Abgeordneter Michael Collins am 18. Dezember 2018 auch in besagtes Schlagloch von Bandon gefahren ist, wissen wir nicht. Aktenkundig ist, dass der rührige Deputy Collins aus Goleen danach aus dem Schlagloch kräftig politisches Kapital schlagen wollte. Noch am 18. Dezember prangerte der Abgeordnete im irischen Parlament in Dublin die Schande auf den Straßen von West Cork an. Auch das übrigens für irische Verhältnisse kein ungewöhnlicher Vorgang: Im nationalen Parlament wird traditionell viel Zeit darauf verwendet, manche sagen verschwendet, über lokale Katastrophen zu diskutieren – von der Überfüllung auf dem Friedhof von Killsomewhere bis zum neuem Schlagloch am Ortseingang von Ballydingsda.

Medienprofi Collins, nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem gleichnamigen Freiheitskämpfer Michael Collins  ( 1922), zettelte jedenfalls parallel zu seinem Auftritt im hohen Parlament eine Kampagne in der Lokalzeitung und auf seiner Facebook-Seite an.  Hunderte heimische Schlagloch-Verdrossene schufen spontan eine mächtige virtuelle Resonanzkammer, die west-corkische Schlagloch-Blase.  Collins Zorn erregte umso mehr, dass die zuständige Straßenbehörde,  das Cork County Council, Schadensersatz für die armen Schlagloch-Piloten von Bandon rundherum (und völlig zu recht) ablehnte.

Der wackere Vertreter von Volk und Volkes Stimme verurteilte scharf, dass rechtschaffene Bürger, die in Ausübung ihrer heiligen Pflicht der Fahrt zur Arbeit von einem Monsterloch in der Straße aus ihrer Alltagsumlaufbahn katapultiert wurden, keinerlei finanzielle Entschädigung bekommen sollten. Skandal eben! Immerhin: Der Verkehrsminister in Dublin hat zur Besänftigung der aufgebrachten Gemüter im weit entfernten West Cork eine Finanzspritze zur Schlagloch-Füllung im neuen Jahr versprochen.

 

Die erste Zeitung des Jahres: Der Irish Examiner vom 1. Januar 2019

 

Der Bus hält in Dunmanway. Unser Cork Boy am Steuer hat mit Geschick, Bleifuß und Augenmaß etliche Minuten Zeit zum Fahrplan herausgefahren. Jetzt wird erst mal 15 Minuten Pause gemacht, um sich wieder mit dem Plan zu synchronisieren. Der Fahrer empfiehlt eine Zigarettenpause. Ich schaue mich im lokalen Supermarkt um. Nach den an Plünderungen erinnernden Großeinkäufen vor Weihnachten wirkt der leer geräumte SuperValue wie ein Lebensmittelladen auf Kuba zu Zeiten Fidel Castros. Immerhin. Ich ergattere, und dies aus purer Nostalgie, die ehemalige Print-Journalisten leicht befällt, die erste Papier-Tageszeitung des Jahres: den Irish Examiner vom 1. Januar. Feiertag hin oder her, da kennt der Ire nichts und der irische Verleger schon gar nichts: Es wird gedruckt und geliefert. Ich erfahre aus dem bedruckten Papier: Dublin feierte zur Begrüßung des neuen Jahres ein Feuerwerk aus Lichtkanonen. Licht in allen Farben und Wellenlängen. Clever, clever. Kein Krach, kein Feinstaub, keine abgetrennten Hände und keine verstörten Tiere.

Ich liebe dieses Irland. Vom vorsintflutlichen Riesenschlagloch bis zur supermodernen Feinstaub-Vermeidung fährt man – selbst in einem alten Bus – maximal 60 Minuten.