Im Januar 1932 veröffentliche ein gewisser Theobald Tiger in der Weltbühne das Gedicht „Europa“. Darin schreibt der Verfasser, besser bekannt als Kurt Tucholsky, die berühmt gewordene Zeile „Deutsche, kauft deutsche Zitronen!“. Tucho wendet sich vor 80 Jahren gegen die nationalistische Abschottung der Konsummärkte.
In den frühen 80-er Jahren wird die irische Regierung vom Europäischen Gerichtshof für ihre „Buy Irish“-Kampagne wegen eines Verstoßes gegen die EWG-Richtlinien abgestraft. Das Gericht stellte 1982 fest:
„Irland hat gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen, indem es eine Kampagne zur Förderung des Absatzes und des Kaufs irischer Erzeugnisse im Inland durchgeführt hat.“
Macht nichts. Seit einigen Monaten erstarkt die „Buy Irish“-Bewegung in Irland wieder. Iren, kauft Irisch, verbreiten die Medien – und der Lobby-Verband „Guaranteed Irish“ verbreitet seine Logos in der irischen Wirtschaft: „Garantiert Irisch“, heißt die neue Kampagne, die auch von der Regierung vorsichtig unterstützt wird und die nach Umfragen des Verbandes von drei Viertel aller Iren gutgeheißen wird. Die neue „Buy Irish“-Kampagne soll tausende Arbeitsplätze auf der Insel retten, indem sie die Kaufströme ins eigene Land lenkt.
Sicher, es macht Sinn, irisches Mineralwasser statt importiertes italienisches zu kaufen. Es ist richtig, wenn schon Lamm, dann irisches und nicht neuseeländisches zu braten. Es ist ökologisch vernünftig, auf Schnittblumen aus Kenia zu verzichten und auf örtliche Blüten zurückzugreifen. Und es ist Käse, den herrlichen irischen Käse in der Kühltruhe liegen zu lassen und zum importirten Franzosen zu greifen.
Dennoch: Die neue Irish-Kampagne hat einen Beigeschmack. Sie tut so, als wäre Irland ökonomisch eine autarke Insel (vor einem Jahr noch sah man sich noch fast ausschließlich als Exportnation, die ihren Wohlstand alleine im Ausland generiert). Während also Deutsche, Franzosen und andere Europäer den quasi bankrotten Insulanern finanziell schwer unter die Arme greifen, schlagen diese nationalistische Konsumententöne an. Das kommt nicht gut, und die Wettbewerbshüter der EU haben wohl schon ihre Messer gewetzt.
Dabei liegen zwischen Sinn und Anmaßung oft nur Worte: „Buy Local“ würde in ungefähr dieselbe Botschaft verbreiten, wäre aber weniger angreifbar. Welcher Konsument würde im Zeitalter der Nachhaltigkeit und des Ökologischen Fußabdrucks den Sinn eines „Kauft lokal“-Imperativs ernsthaft bestreiten? Also Irland: Buy local – mit Ausnahme von Zitronen, Bananen, Autos, Touristen . . .
Hier noch Kurt Tucholskys Gedicht aus dem Jahr 1932:
Europa
Am Rhein, da wächst ein süffiger Wein –
der darf aber nicht nach England hinein –
Buy British!
In Wien gibt es herrliche Torten und Kuchen,
die haben in Schweden nichts zu suchen –
Köp svenska varor!
In Italien verfaulen die Apfelsinen –
laßt die deutsche Landwirtschaft verdienen!
Deutsche, kauft deutsche Zitronen!
Und auf jedem Quadratkilometer Raum
träumt einer seinen völkischen Traum,
Und leise flüstert der Wind durch die Bäume …
Räume sind Schäume.
Da liegt Europa. Wie sieht es aus?
Wie ein bunt angestrichnes Irrenhaus.
Die Nationen schuften auf Rekord:
Export! Export!
Die andern! Die andern sollen kaufen!
Die andern sollen die Weine saufen!
Die andern sollen die Schiffe heuern!
Die andern sollen die Kohlen verfeuern!
Wir?
Zollhaus, Grenzpfahl und Einfuhrschein:
wir lassen nicht das geringste herein.
Wir nicht. Wir haben ein Ideal:
Wir hungern. Aber streng national.
Fahnen und Hymnen an allen Ecken.
Europa? Europa soll doch verrecken!
Und wenn alles der Pleite entgegentreibt:
dass nur die Nation erhalten bleibt!
Menschen braucht es nicht mehr zu geben.
England! Polen! Italien muß leben!
Der Staat frißt uns auf. Ein Gespenst. Ein Begriff.
Der Staat, das ist ein Ding mitm Pfiff.
Das Ding ragt auf bis zu den Sternen –
von dem kann noch die Kirche was lernen.
Jeder soll kaufen. Niemand kann kaufen.
Es rauchen die völkischen Scheiterhaufen.
Es lodern die völkischen Opferfeuer:
Der Sinn des Lebens ist die Steuer!
Der Himmel sei unser Konkursverwalter!
Die Neuzeit tanzt als Mittelalter.
Die Nation ist das achte Sakrament –!
Gott segne diesen Kontinent.
Was bei der ganzen Darstellung und Empörung auf der Strecke bleibt – das damalige Urteil bezog sich nur auf einen einzigen Punkt, und zwar die staatliche Förderung von „Guaranteed Irish„. Dies ist nach Geist und Gesetz der EU unzulässig, da hier ein Nationalstaat wirtschaftliche Vorteile herausschlagen will. Seit 1984 ist „Guaranteed Irish“ daher eine Art gGmbH, also reine Privatsache. Und dagegen können die Wettbewerbshüter der EU nunmal nicht vorgehen, genausowenig wie gegen die Konkurrenz „Love Irish Food„.
Ob der mündige Konsument solche Label braucht? Mir geht es ziemlich am Hintern vorbei und oft finde ich es nur peinlich – zum Beispiel bei Schweinefleisch aus Fermanagh, dass nicht das Label „Love Irish Food“ tragen darf. Während auf dem Kaffee aus Guatemala deutlich der Aufkleber „Love Irish Food“ bappt … weil Bewley’s den verkauft.
Ich finde Sachen wie den Dunnes-Spruch „The Difference is … We’re Irish“ wesentlich bedenklicher als ein Label, das nur die Herkunft angibt.
Waren nur bedingt Einwände, und auch nicht wirklich Widersprüche, wollte eigentlich nur das Thema mit der Wettbewerbebehörde näher erläutert haben, weil mich das persönlich interessieren würde, wo genau du den Verstoss siehst.
Inwieweit es wichtig ist, dass es die Marke schon seit 197x gibt? Damit wollte ich – subtil wie immer – eigentlich zum Ausdruck bringen, dass das mit dem guaranteed irish keine Erfindung der jetzigen wirtschaftlichen Schlechtzeit ist, sondern schon lange da war, nur halt jetzt wieder erstarkt – und das verstehe ich irgendwie.
Mein Verstaendnis hat diese Kampagne genauso lange, bis sie – und das möge uns allen erspart bleiben (und wird wohl auch nicht passieren) in „Iren, kauft nicht beim Polenladen“ umschlägt.
Aber da sind Welten dazwischen.
Zu 3: Das „Großzügig“ hat sich auf die Summe bezogen, auf sonst nichts.
Zu 4: Finde ich so jetzt etwas übertrieben. Nur weil gi als WIrtschaftsorganisation den Kauf irischer Produkte anpreist, wird das System ja nicht zwangsläufig in einen nationalstaatlichen Markt zurückfallen, geht ja auch mangels der Möglichkeit, vieles hierzulande anzubauen oder herzustellen gar nicht gegeben ist. Es macht aber – wirtschaftlich wie auch umwelttechnisch – Sinn, in Irland erzeugte Produkte auch vermehrt in Irland zu verkaufen. Alleine schon des unnötigen Frachtverkehrs wegen. Aber ja, da gehen wir d’accord, natürlich wird Irland weiter ein großes Maß an Import brauchen, und sollte auch Produkte exportieren. Und vice versa sollte das auch für deutsche Landwirte und spanische Fischer gelten.
Und jetzt mache ich mich mal ganz bewusst unbeliebt: Ich lebe hier auf der Insel, und will, dass dieses Land nicht komplett an die Wand knallt, weil ich verdammt gerne hier lebe. Und deshalb in meinem eigenen kleinen Mikrokosmos die Verbesserung der irischen Situation ein klein wenig höher eingestuft ist als die Verbesserung der Situation in einem anderen Land. Ja ich weiss, selbstherrlich und egoistisch, ist aber so, tut mir leid.
Vielleicht auch gerade deshalb finde ich die Kampagne zum jetzigen Zeitpunkt nicht so schlimm.
Verstehe Deine Einwände nicht.
1. In dieser Woche lief eine Groß-Kampagne von Guaranteed irish“ für „Buy Irish“ an. Wieso ist es wichtig, ob es das Siegel schon lange gibt?
2. Buy Irish verstößt explizit gegen das Credo eines gemeinsamen europäischen Marktes.
3. Was ist an den Garantien großzügig?
4. Gesundung durch Rückfall in die Isolation eines nationalstaatlichen irischen Marktes, aber nur dort wo es gerade passt? Das ist sicher nicht im Sinne deutscher Landwirte oder spanischer Fischer.
In einem gebe ich Dir recht: Aus deutschen Landen frisch auf den TIsch, oder Made in Germany sind subtile Formen des „Buy Irish“.
PS: Bin kein Open-Market-Fanatiker.
Mal abgesehen davon, dass dieses Logo eines der schlimmsten ist die jemals geschaffen wurden (zumindest ich sehe heute noch eher ein umgedrehtes B als die Buchstaben g und i darin, weiss nicht wem’s noch so geht):
Die Marke ist ja soweit nicht neu, die gibts ja schon (meines Wissens) seit 1975. Und ich kenne exakt gleiches auch noch aus der alten Heimat mit „Ja zu A“, und bin mir sicher, es gibt Aehnliches auch in Deutschland.
Ich verstehe was Du sagen willst, aber denke nicht, dass das zwangsläufig nationalistische Konsumententöne sind. Was mich interessieren würde: Warum glaubst Du, dass EU-Wettbewerbsschützer da dagegen ankämpfen werden?
Und, quasi als „Gegenthese“: Gerade dadurch, dass Deutschland, Frankreich usw. großzügige Garantien für Irland übernommen haben/übernehmen mussten, sollte doch eine raschesmögliche Gesundung der irischen Wirtschaft auch in deren Sinn sein, oder?