In der schönen Dunmanus Bay im Südwesten Irlands soll eine große Lachsfarm entstehen. Wie in diesem Blog ausführlich berichtet, versucht sich ein norwegischer Fischereimulti in den Buchten von Cork und Kerry festzusetzen, um dort in riesigen Containern “original irischen Lachs”  für die Feinschmecker-Mägen dieser Welt zu züchten.

Seitdem die Pläne von Marine Havest bekannt wurden, regt sich Widerstand am Sheep’s Head und am Mizen Head, in Durrus, Kilcrohane und in Ahakista. Denn Lachszucht ist ein schmutziges Geschäft.  Ökonomisch wie ökologisch. Das Internet macht es möglich: Die Menschen im ländlichen Irland sind gut informiert, welche Schäden Umwelt, lokale Wirtschaft und Menschen erleiden können, die breite Ablehnung verwundert deshalb nicht und gipfelt in ganz zeitgemäßen Protest-Methoden: Wer die Kampagne gegen das Lachszucht-Projekt unterstützen will, kann auf der Website www.dunmanus.com diese Online-Petition unterzeichnen:

“Please sign to indicate your support for preserving and protecting the Dunmanus Bay as a natural habitat for marine life, sustainable fishing, and enjoyment by locals and tourists as a place of natural beauty.”

Auf der Website kann man die Ernsthaftigkeit seines Protests auch mit einer Spende unterstreichen und sich ausführlich über die Diskussion in der Dunmanus Bay informieren. Auch Urlauber, Irland-Fans oder Sympathisanten aus dem Ausland können die Petition zeichnen. Soweit so gut, aber: Im Lager der Lachsfarm-Gegner wird an einer zweiten Front gekämpft. Es geht um die Frage, wer das Recht hat, den Protest zu führen, zu begleiten und zu unterstützen. Es geht auch darum, ob Blow-ins die gleichen Rechte haben wie Locals, ob ein Zugereister genauso eine Stimme hat wie ein Einheimischer. Der schwelende Konflikt rührt an die alte demokratie-theoretische Frage, ob sich das Recht auf Mitsprache an einem bestimmten Ort von der jeweiligen Verweildauer an diesem Ort ableitet.

Hat also ein alteingesessener Dunmanus-Ire, dessen Familie seit 30 (100?) Generationen am Ort lebt, dort mehr zu sagen und zu bestimmen als einer, der erst seit 2 Generationen dort lebt – und dieser mehr als ein zugereister Dubliner, der seit 10 Jahren dort lebt, und dieser widerum mehr als ein zugereister Holländer, der erst seit 2 Jahren dort lebt? Und der mehr als ein deutscher Ferienhausbesitzer?

Die theoretische Antwort ist einfach und klar: Nein. Nein. Nein. Wir alle haben gleiche Rechte. Doch interessanterweise ist das Leben auch auf dem Land in Irland so herrlich untheoretisch. Eine anschauliche Lektion in praktischer Lebensführung erteilte dem Wanderer vor Jahren eine irische Bäuerin: Sie ereiferte sich über die “Frechheit” ihrer irischen Nachbarin, ihre Meinung so offen kund zu tun. Warum das nicht geht, wusste die Bäuerin klipp und klar zu begründen: “Die da kam erst vor 38 Jahren hierher. Ich aber bin schon seit 42 Jahren hier.” Dem Wanderer, Aufenthaltsdauer damals 2 Jahre, wurde schlagartig die Nichtigkeit seiner Existenz vor Augen geführt.  

Hat also der Local mehr Rechte als der Blow-in? Theoretisch: Nein. Praktisch: Schon. Und muss der Blow-in das akzeptieren? Muss er natürlich nicht. Es kommt nur darauf an, wieviel Ärger, Arbeit, Anfeindung und Unannehmlichkeit er sich aufladen will. Den Blow-in-Status kann übrigens schon jemand für sich beanspruchen, der vor 25 Jahren aus dem nächsten Dorf zugezogen ist. Tendenziell aber verschärft sich der Status umgekehrt proportional zur Verweildauer und recht proportional zum Grad der Verschiedenheit.

Deutsche Auswanderer in Irland (genauso wie Schweizer und Österreicher) bemühen gerne Sätze wie: “Wir haben uns da nicht einzumischen”, “Die Veränderung muss von innen kommen, die Revolution auch”, oder “Das ist doch eine interne Angelegenheit der Iren”. Diese gemütlich-resignative Geisteshaltung lässt dreierlei außer acht:
1. Theoretisch: Wir alle haben – zumindest als Europäer – formal gleiche Rechte. Praktisch: Für gleiche Rechte muss man sich tagtäglich neu einsetzen – sie sind nicht gottgegeben, auch andernorts übrigens nicht.
2. Meistens ist es vor allem eine Frage des Stils, ob die Platzhirsche den Fremden Raum gewähren und sie akzeptieren. Das faire Gespräch auf Augenhöhe hilft zumeist. Gutsherrenart, Egomanie und Jägerz
aunbauerei kommen genauso wenig an wie Arroganz, Besserwesserei und Übermenschentümelei (“I am made in Germany”).
3. Der Blow-in hat einen großen strategischen Vorteil: Er ist wenig bis gar nicht in das System der örtlichen sozialen Kontrolle eingebunden und genießt dadurch großen Freiraum, auch Narrenfreiheit genannt. Es ist auch vielen Locals im Zeitalter der Mobilität nicht verborgen geblieben, dass der Weg zur Veränderung oft über die Außenseiter, die “Narren” führt: Diese können an Dingen rühren, an die sich kein Hiesiger trauen würde. Deshalb: Lasst Euch mit Verstand gebrauchen und benutzen!

Am Ende muss jeder, ob Einheimischer oder Hereingeschneiter, für sich entscheiden, ob er oder sie sich mit den Zielen und den Methoden einer “Bewegung” oder “Bürger-Initiative” identifiziert, welche Mittel man zur Hand hat und wie groß der eigene Einsatz sein kann.

In Fragen des Umweltschutzes und des ökologischen Verständnisses jedenfalls rückt die Welt immer enger zusammen. Imformation hilft: Wo sich ortsfremde “Öko-Krieger” vor 15 Jahren noch vollkommen erfolglos aufrieben und sich allenfalls den kollektiven Zorn der Bevölkerung einhandelten, da verfügt dieselbe Bevölkerung heute über viele gute Informationen und macht sich längst ein eigenes Bild.

Im Fall “Dunmanus Bay” – und das macht Hoffnung – wird der beschriebene Konflikt deshalb bereits auf einer Meta-Ebene ausgetragen. Es geht auch darum, wer den Umweltschutz in der Bucht “erfunden” hat. Der Wanderer hatte sich mit folgender Passage bei einigen Alt-Dunmanianern unbeliebt gemacht, weil sie den Erfolg früherer Öko-Kämpfe für sich beanspruchen:

“Die Dunmanus Bay jedenfalls hätte den Schutz der dort heimischen Menschen nötig. Bislang, so sagt ein Engländer in Kilcrohane hinter vorgehaltener Hand, waren es vor allem die “Zugereisten” (“Blow-ins”), die sich für die Natur in der Dunmanus Bay stark gemacht haben. Dieses Mal aber habe er das Gefühl, dass das Lachszucht-Projekt vielen “Locals” unter die Haut gehe. Und tatsächlich ziehen Einheimische schwer über “die Eindringlinge” her, die “den armen Fischern im Dorf” die Lebensgrundlagen zerstören wollen. Ob aus dem Klagen organisierter Protest wird?”



Der Wanderer gesteht: Er freut sich sehr, wenn der zitierte Engländer Unrecht gehabt hat; und er freut sich umso mehr, wenn der sich organisierende Protest ein gemeinsames Lager formt und an einem Strang zieht, um erfolgreich zu sein. Man hat allen Grund dazu, der Gegner ist stark genug. Hier geht es zur Petition: Wie gesagt, jeder hat das Recht, sie zu unterzeichnen.


PS: Das Foto zeigt Woody Allen als Zelig in der Metamorphose eines Indianers (Zelig, 1983).