Regen im GlenDer Winter ist doch noch nicht überwunden. Die Temperaturen drehen auch im vergleichsweise milden irischen Südwesten in der kommenden Woche noch einmal gegen Null — und das Wetter dieses Wochenendes ist geprägt von stürmischen Winden und nennenswerten Mengen Regen und Graupel. Es wird wohl noch Schnee daraus werden. Aber dann: Blüte, Farben, Wärme, Frühling und ein leichteres Leben sind nicht aufzuhalten . . .

Wie der irische Wahlkampf, der nun für ein knappes Jahr über die Menschen auf der Insel hereinbricht wie eine unabwendbare Naturgewalt. Derzeit finden die nationalen Parteiversammlungen statt, die politischen Lager sortieren und schärfen ihre Waffen. Spätestens im April 2016 muss es Neuwahlen geben, wahrscheinlicher ist ein Termin im Februar. Die Menschen wissen nicht so recht, wo sie gerade stehen. Die Regierung versucht zwar täglich den Eindruck zu erwecken, dass es mit Wirtschaft und Konjunktur aufwärts geht, und dass all dies natürlich ihrem tatkräftigen Handeln zu verdanken ist. Manche erinnert die “arrogante Selbstbeweihräucherung” von Fine Gael  allerdings nur an die Trickserien des einstigen rumänischen Diktators Ceaucescu, der den staatlichen Fernsehsender angewiesen hatte, die Temperaturen an besonders kalten Tagen um 5 Grad wärmer als tatsächlich gemessen zu verkünden, damit die Menschen nicht so frieren.

Irlandnews.comEs ist nicht ganz so schlimm in Irland. Erstens sind die Temperaturen stets milder und zweitens gibt es tatsächlich ein paar Anzeichen einer Erholung, von der nicht nur die Eliten sondern auch die normalen Menschen auf der Insel etwas spüren: Die Arbeitslosenzahlen gehen dezent zurück und erstmals seit Jahren haben manche Haushalte wieder etwas mehr verfügbares Einkommen. Auch scheinen die wirklich Armen im Land, die Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslosen in Irland besser geschützt zu sein als vielerorts in Europa. Der kleine Regierungspartner Labour wird genau diese Botschaft glaubhaft verbreiten müssen, um bei den anstehenden Wahlen nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Labour Party steckt nach vier Jahren Schmalhans-Politik und bitterem Sparen, das die Regierung im Auftrag der Troika-Invasoren durchexerzierte, in einer existentiellen Glaubwürdigkeitskrise. Links nagen die kleinen radikalen Splitterparteien am Klientel der Arbeiterpartei, gleichzeitig bedroht eine erstarkte Sinn Fein das Potenzial von Labour.

Auch dem großen Regierungspartner Fine Gael geht es den Umfragen zufolge nicht gut. Die Menschen sind frustriert und wütend über den rigorosen Sparkurs im Land, der auf Geheiß der EU und des globalen Finanzkapitals auf dem Rücken der Bürger durchgezogen wurde. So feiert sich Fine Gael für ein bisschen Licht am Ende des Tunnels, das sie den Menschen wie die Sonne an einen strahlend hellen Mittsommertag verkauft. Dabei weiß gerade niemand genau, ob es sich nicht doch einfach um Polarlichter handelt. Zweifel bleiben, dass die Gesundung des Musterpatienten Irland mithilfe des Placebo-Effekts gelingen wird.

Immerhin arbeitet das Land und dessen politische Klasse die Ursachen der großen Implosion, des beispiellosen finanziellen und wirtschaftlichen Kollapses im Jahr 2008, die den Keltischen Tiger zur Strecke brachte, auch für europäische Maßstäbe sauber auf: Ein parlamentarischer Untersuchungsauschuss namens Banking Enquiry geht öffentlich und ambitioniert der Frage nach, warum und wie es zu dem Zusammenbruch Made in Ireland kam und wer die Verantwortlichen dafür sind. Endlich werden auch die frühen Kritiker des Bau-und-Wachstumswahns von 2000 bis 2007 rehabilitiert, indem sie eine offizielle Bühne für das bekommen, was sie schon vor zehn Jahren geäußert hatten und wofür sie damals als Nestbeschmutzer ausgegrenzt wurden.

Einige Erkentnnisse, die nun auch offiziell und fast amtlich bestätigt sind: Die Regierung hat vollkommen versagt, alle Anzeichen eines Zusammenbruchs ignoriert und diesen noch befeuert. Die Banken haben gezockt, geplündert, geblendet, ein zynisches Spiel betrieben und Politik und Öffentlichkeit systematisch manipuliert und belogen. Es gibt ein breites Bedürfnis im Land, die verantwortlichen Chefbanker hinter Schloss und Riegel zu bringen. Und auch die fatale Entscheidung der irischen Regierung im Herbst 2008, für alle Bankeinlagen, auch die höchst spekulativen, zu 100 Prozent zu garantieren, wurde breit gewürdigt als schlimmste und verhängnisvollste politische Entscheidung in der Geschichte des jungen irischen Staates. Die spannende Frage für mich in diesem Zusammenhang: Welche Konsequenzen werden am Ende aus den Erkenntnissen gezogen: Werden die Konsumkriegstreiber der gierigen Jahre zur Rechenschaft gezogen und wie soll verhindert werden, dass ein solcher Exzess in Zukunft wieder passiert?

All die schweren Themen haben aber heute keine Chance, denn an diesem Sonntag gibt es Wichtigeres: Das Rugby-verrückte Irland fiebert mit seinem Team dem begehrtesten Sieg des Jahres entgegen. Im “Six Nations” tritt Irland heute in Runde drei in Dublin gegen den Erzrivalen England an. Die beiden noch ungeschlagenen Mannschaften des Turniers kämpfen um die Krone und einen einjährigen Aufenthalt im Rugby-Olymp. Ich verstehe nicht viel von Rugby, weiß aber: Heute Nachmittag um 15 Uhr will der durchschnittliche irische Mann keinesfalls gestört werden, denn es geht mal wieder ums Ganze. Ein Sieg gegen die Engländer wäre reichlich Balsam für die geschundene Seele. Wie schrieb eine große irische Zeitung diese Woche so schön über das längst recht lässige Verhältnis zwischen den einstigen Erzfeinden: Die englischen Jungs sind ja ganz nett, aber einmal im Jahr müssen wir sie hassen . . .” This is the day.

Schönen Sonntag, der Wanderer.

NACHTRAG 17 Uhr: Irland hat England mit 19:9 deutlich geschlagen und kann damit, wenn das Team auch in Runde 4 und 5 unbesiegt bleibt, den Grand Slam schaffen.

Foto: Peter Zöller. Regen über dem Glen.