Soft Day IrlandIrlandnews.comIrischer Sonntag. Kennen Sie dieses Gefühl? Man wünscht sich für Tage in die Zeiten vor der Ankunft des Internets zurück. Nicht etwa, um wieder jünger zu sein, sondern einfach, um ungestört zu bleiben, um einen Tag ganz im wirklichen Leben zu verbringen. Ohne Facebook, ohne Emails, ohne Online-Nachrichten aus dem letzten Winkel der Welt. Ohne all die Nichtigkeiten, denen wir heute kampflos so viel Zeit ausliefern. Gestern war so ein Tag. Draußen vor dem Fenster der erste soft day seit langem, ein schützender Kokon aus Sprühregen und Nebel legte sich über das Haus. Der Computer bleibt unangetastet und ungenutzt, der weite Bogen um den Schreibtisch gelingt. Die Ausgangstür nur eine ferne Option, ideales Klima für einen faulen Sonntag.

Judith Hermann in Irland Ich lese Judith Hermanns ersten Roman, der gerade erschienen ist: Aller Liebe Anfang. Die in den letzten Jahren für ihre Erzählungen viel gelobte Autorin lädt uns in ihrem neuen Buch in einen stillen Alptraum ein: Sie beschreibt das passsive, gefühlsarme, das einsame und verzagte, das letztlich schutzlose und mutlose Leben von Stella, einer noch jungen Frau mit Partner, Kind und einem Loch in der kleinen alternativlos erscheinenden Existenz.

Es ist eine weitere Einsamkeitsgeschichte an der Grenze zum Gefühlsautismus, die Judith Hermann da erzählt, die Geschichte einer merkwürdigen Nicht-Liebe-Liebe von zwei Menschen, die verbunden und gefangen sind in der Judith-Hermann-typischen Distanz zu sich selbst, aber auch der Welt gegenüber. . . . 

So fügen sich ihre Bücher, gipfelnd in dem neuen, zu einem Generationenporträt von Menschen, deren eigene Verzagtheit sie heute einholt, heimgesucht von Gespenstern, die sie selbst sind. Es ist der Blick  in den Spiegel, den dieses Buch beschreibt, ein Erschrecken vor der eigenen kleinen Welt.

Das schreibt Georg Diez im Spiegel (33/2014, S. 94) über Hermanns faszinierende Roman-Premiere, die den Leser wie einen Voyeur aussehen lässt. Mich erinnert die in karger Sprache geschriebene, auf jegliche Emotionalität verzichtende Geschichte von Stella und Jason eindrucksvoll an das wirkliche Leben (ohne Facebook und Internet), an Menschen, Orte, Situationen.

Die 1970 geborene Berliner Schriftstellerin hat die letzten Seiten von  Aller Liebe Anfang übrigens in Heinrich Bölls Cottage auf Achill Island in Irland geschrieben, an diesem ortlosen Ort, wie sie in einem Interview mit der Berliner Zeitung sagte. Nachdenkenswertes äußerte Judith Hermann in jenem Gespräch auch über die zwischenmenschliche Kommunikation:

Ich finde wohl, auch im alltäglichen Leben, den Subtext schöner als das Ausgesprochene. Es gibt so viele ewig lange Gespräche, in denen man am Ende so wenig gesagt hat. Und dann gibt es aber manchmal eine ganze kleine Geste, beim Abschied etwa, und da erzählt sich plötzlich etwas, etwas Kleines aber Bedeutendes. . . . Ich glaube selten an das Gelingen eines Gespräches, an das eindeutige und unbedingte Verstehen.

Judith Hermanns Roman ist lesenswert und erhellend, wenn auch nicht erbaulich. Lektüre für den soft day. Ich las den Roman übrigens auf einem Kobo. Das ist ein kleines handliches E-Book, auf dem die neuen Bücher wie von Zauberhand in Sekundenschnelle erscheinen. Über das Internet. Es gibt kein Entrinnen. (Das Buch gibt es hier). und Irischer Sonntag gibt es deshalb ausnahmsweise erst einmal am Montag.

Philip CatherineEs ist September. Der erste. Ich hätte gerne in den letzten August-Tagen wieder einmal eine meiner Lieblings-Schallplatten angehört: End of August von Philip Catherine. Die im Jahr 1982 erschienene LP des damals als  “Young Django” geadelten Jazz-Gitarristen aus Belgien entzieht sich der schnellen Konsumierbarkeit. Kaum zu glauben: In Zeiten der totalen Verfügbarkeit, in der sich Bücher, Lieder, Filme und Fernsehsendungen auf Knopfdruck innerhalb von Minuten kaufen lassen, bleibt End of August eine Ausnahme. Ich besitze noch die LP, die ich nicht abspielen kann. Kennen die Fünfzehnjährigen von heute noch den Plattenspieler? Die Platte, gibt es das noch, wurde niemals digitalisiert, sie findet sich in keinem Online-Shop und auf keinem Musik- oder Video-Kanal. Kein Download, nirgends. Gibt es doch ein Entrinnen? Nein. Ich werde sie digitalisieren lassen, für den August 2015. Oder den kommenden November schon. Für´s Erste höre ich September Sky, von Philip Catherine, aus dem Jahr 1988. (September Sky gibt es hier)

Es gibt mitteilenswerte Nachrichten aus der irischen Wahl-Heimat: Am 21. Oktober um 11 Uhr findet in Bantry House, der einstigen Herrschafts-Zentrale unserer Region, in Bantry, County Cork, der ultimative Ausverkauf statt: Das schottische Auktionshaus Lyon & Turnbull wird für die klammen Nachfahren der Lords und Earls of Bantry den wertigeren Teil der Inneneinrichtung versteigern. Das bekannte “Big House”, dessen Eigentümer im 19. Jahrhundert im westlichen West Cork an Reichtum und Macht nicht zu überbieten waren, wird nun im innersten Kern vom anhaltenden Niedergang erfasst. Die Shellswell-Whites erhoffen sich einen Erlös von einer Million Euro aus der Auktion, um die Zukunft von Bantry House sichern zu können. Über das feile Tafelsilber von Bantry House berichtete die Irish Times diese Details:

The auctioneers said they hoped to raise about €1 million from the sale which includes paintings, furniture, books and exquisite French tapestries – reputedly made by order of Louis XV for Marie Antoinette – collected by the second Earl of Bantry. The auction will also include a pair of portraits of King George III and Queen Charlotte, presented by the king to the first Earl of Bantry on his elevation to the peerage in 1816.  

Wie gewonnen so zerronnen. Nur dauert es manchmal etwas länger. Manche Einheimische kommentieren den einstweiligen Höhepunkt des Verfalls von Bantry House süffisant. Alles hat ein Ende. Auch die anglo-irische Herrlichkeit in Irland. Gibt es ein Entrinnen?

Oscar für Maureen O'HaraSelbst dies schien unausweichlich: Irlands berühmteste Leinwand-Ikone, die inzwischen 94 Jahre alte Maureen O’Hara, erhält doch noch ihren Oscar. O’Hara hat viele große Rollen gespielt und ist an der Seite von John Wayne, Errol Flynn, James Stewart oder Charles Laughton in den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts berühmt geworden. Der betagte Leinwandstar hat nicht verwunden, dass es für ihn trotz vieler weltbekannter Kinofilme wie Rio Grande oder Quiet Man nie zu einem Oscar gereicht hat.

Nun bekommt die einst feurige Schönheit aus Dublin, die Jahrzehnte lang in unserem Dörfchen Glengarriff wohnte und erst kürzlich zur Abwendung von allzu viel Altersunglück nach Idaho, USA, entfloh, noch einmal eine ganz große Bühne: Im November wird Maureen O’Hara der Ehren-Oscar für ihre Lebensleistung verliehen. Chapeau, Maureen, und Glückwunsch aus der alten Wahl-Heimat. Ist das Leben am Ende doch gerecht?

Eine gelingende Woche wünscht der Wanderer .

 

Irlandnews hatte im Jahr 2011 mit Maureen O’Hara gesprochen. Hier einige Auszüge.