Überall. Weite Räume dieser Erde werden heute strukturiert und dominiert von brachialen, kaum überwindbaren Straßen, von einer Multi-Millionen Vehikel zählenden globalen Auto-Flotte und von endlosen Ketten niemals ruhenden Verkehrs. Die natürliche Landschaft ist unter den Asphalt verdrängt worden, wie einst die Tuatha de Dannan. In den Städten und selbst auf dem sich entvölkernden Land hat das Auto die totale Vorfahrt. Ein dichtes und breites Straßennetz sichert seine Dominanz. Noch. Wir nähern uns Peak Automobile.
Regional. Die gebietsweise Abwesenheit von breiten verkehrsreichen Straßen macht einen Teil der Faszination der Landschaft an Irlands südwestlicher Atlantik-Küste aus. Auch wenn das kontradiktorische Konzept des Wild Atlantic Way einen möglichst dicht befahrenen touristischen Nord-Süd-Highway entlang von 188 definierten Pflicht-Aussichtspunkten propagiert: Ihre tiefe Anziehungskraft bezieht die Küstenlandschaft des Westens aus ihrer noch immer erfahrbaren Unberührtheit und aus der Abwesenheit des Massenverkehrs in manchen verschonten Regionen. Aus ihrer wilden Ursprünglichkeit abseits des lärmenden Erlebnis-Highways.
Damals. Die Landschaften Irlands wurden in 350 Millionen Jahren kreiert. Ihren letzten Schliff erhielten sie vor gut 10.000 Jahren am Ende der letzten großen Eiszeit. Damals formten die schmelzenden Gletscherriesen auf ihrer letzten Reise das Antlitz der Landschaft, wie wir es heute kennen. Seitdem hat vor allem der Mensch die post-glaziale Natur bearbeitet, verändert, geprägt, verformt – und dies mit stets steigender Intensität und Effizienz.
Heute. In den ländlichen Regionen Irlands hat der Gegenwarts-Mensch mangels Gelegenheit (und mangels Ressourcen) weniger Spuren hinterlassen als auf dem europäischen Kontinent. Wir sehen deshalb vergleichsweise alte Landschaften, die sich seit Jahrhunderten, teils Jahrtausenden kaum verändert haben. Sie künden von Zeiten, als die Vorfahren der Gälen die ersten architektonischen Monumente in die Natur gruben: Steingräber, Steinkreise, Steinreihen. Von den Zeiten, als die Menschen die nach der Eiszeit zurück gekehrten atlantischen Eichenwälder erst durchdrangen, dann dezimierten und schließlich fast komplett verschwinden ließen, um Feldern, Wiesen und Weiden, Rindern und Schafen Platz zu machen.
Bóthar, die Straße, der Kuhpfad: Kühe sind wahrscheinlich die Begründer des irischen Straßennetzwerks
Räder. Vor etwa 4000 Jahren begannen die Menschen, Wagen mit radförmigen Scheiben zu benutzen. Sie bauten – die Römer allen vorweg – erste befestigte Straßen aus Stein und Holz, um trocken durch die Moore und schneller ans Ziel zu kommen. Auf der Insel Irland fanden Archäologen einige wenige befestigte Straßen und Wege aus der vor- und frühchristlichen Zeit. Bis ins 18. Jahrhundert bewegten sich die Menschen hier überwiegend auf dem Wasser fort, auf dem Meer und auf den Flüssen. Im gewässerfernen Inland wurden Pfade benutzt, die ganz der Form der Landschaft angepasst waren. Die alten Wege findet man noch heute in den höheren Lagen entlang der Küste und unter dem Asphalt von Landsträßchen.
Straßen. Die Straße heißt auf Irisch Bóthar. Bó ist die Kuh, die domestizierte Nachfahrin des alten eurasischen Auerochsen, und Bóthar bedeutet Kuh-Pfad. Das Kuh-Pfädchen oder Sträßchen heißt in Irisch Bóithrín, das Wort wurde von den Engländern lautmalerisch als das heute gebräuchliche Boreen gedeutet. Wer sich einmal mühsam und schwitzend durch verwildertes irisches Buschland aus Ginster, Weißdorn, Brombeeren, aus Gagelstrauch und Schlehe gekämpft hat, der versteht die Theorie, dass die Kühe die Begründer des irischen Straßen-Netzwerks gewesen sein könnten.
Kühe. Wer die ersten Rinder vor etwa 6000 Jahren auf der Insel im Atlantik eingeführt hat, bleibt im Dunkeln, doch plausibel ist, dass die wuchtigen Vierbeiner auf ihrer Suche nach Futter im besten Sinne Weg-Bereiter waren, dass sie Landschafts-angepasste Schneisen und Pfade durch das Dickicht getrampelt haben und der Mensch ihnen bereitwillig folgte. Später, als die Menschen schon verschiedene Straßenarten unterschieden, wurde mit Bóthar ein Weg bezeichnet, der immerhin so breit war, dass ein Rindvieh an derselben Stelle parallel und ein zweites quer zur Straße stehen konnte. Turbo-Rinderrassen wie Limousine und Chianina kannte man damals nicht.
Kuh-Pfade. Das ländliche Irland ist seit Jahrhunderten geprägt von Streusiedlungen. Die weit auseinander stehenden Häuser werden heute durch ein Netzwerk von Sträßchen, den Boreens, miteinander verbunden. Ein Zentrum sucht man oft vergebens – es muss die Kirche im Gottesacker, die Schule im Nirgendwo, die Sammelstelle für die Milch, oder das Pub an der Kreuzung gewesen sein.
Wir feiern die Boreens, das links liegen gelassene Irland
Wobei ich endlich beim Thema bin: Abseits der touristischen Nord-Süd-Achse, die sich großer und wohl weiter wachsender Beliebtheit unter den Aussichtpunkte-Abfahrern, den Abhakern und den Stempelsammlern erfreut, abseits dieses Highways mit seinen 188 Rostgalgen-bewehrten Discovery Points zwischen Nord-Donegal und West Cork, abseits des Wild Atlantic Way, für dessen Bewältigung man sich gerne zum Preis von 10 Euro einen Reisepass kauft, um darin 188 Stempel zu sammeln, ja, abseits von diesem postmodernen Straßenwunder liegen die Boreens, die schmalen, ein- bis eineinhalb-spurigen Überlandsträßchen, die sich dem zeitgenössischen Wohnmobilisten verschließen und doch den kundigen heimischen Traktor-Farmer begrüßen, die den Wanderer, den Radler und den Kleinwagen-Fahrer in die Fläche führen, in die Tiefe der Landschaft, in das oftmals jetzt vergessen wirkende Irland.
Bilder-Schau. In diesem Sommer wollen wir auf Irlandnews das vergessene, das übersehene, das links und rechts liegen gelassene Irland feiern. Wir feiern die Irish Boreens, die Asphalt gewordenen Nach-Fahren der kleinen Kuh-Pfade im ländlichen Irland. Wir zeigen die schönsten Boreens unserer Wahlheimat in West Cork und Süd Kerry und wir sammeln die beliebtesten Aufnahmen irischer Landsträßchen von unseren LeserInnen und Lesern. Am Ende machen wir einen Wettbewerb draus, und laden den Gewinner oder die Gewinnerin im kommenden Jahr zur Premiere unserer neuen Irland-Ferienwoche ein: Eine Reise in die Seelenlandschaften West Corks. Mehr dazu in den kommenden Tagen. An dieser Stelle.
Fotos: Markus Bäuchle / Wanderlust
Da gibt es natürlich auch den entsprechenden Folk Song oder besser Soundtrack dazu: „The Old Boreen“. Hier der Text zum Mitsingen:
It was on a summer’s evening in the merry month of May
I was coming from the fair at Cappamore
I was driving home thirty pair of heifers by the way
And by chance I stood outside a cottage door
I just dropped in to light me pipe as any lad might do
When going to or coming from a fair
When I spied a pretty Coleen with two eyes of melting blue
Twas then me heart felt really very quare.
Chorus
I love to ramble down the old boreen,
When the hawthorns blossoms are in bloom
And to sit by me gate on that auld mossy seat
Whispering to Kate Muldoon
I was coming from me farm down a neighbouring boreen
When I met me Kitty tripping like a fawn
She gave me such a smile that I felt like in a dream
And I never slept a wink that night ‚till dawn
And the next time that I met her sure I told her of me love
She blushed and nearly let her basket fall
And she said “Go on ye skimmer“ with a gentle little shove
And that I’d ask me father that was all.
Chorus
I love to ramble down the old boreen,
When the hawthorns blossums are in bloom
And to sit by me gate on that auld mossy seat
Whispering to Kate Muldoon.
I was trashing in me barn when her father came one day
Said Patsy Hogan what is this I heard,
You’ve been speaking to me daughter now what have you to say
Was then I couldn’t say a single word
Then he took me by the hand and said Patrick me son
I’d be glad to see you settled well in life
And since you love me daughter and her heart is fairly won
At shroue time you can make the girl your wife.
Chorus
I love to ramble down the old boreen,
When the hawthorns blossums are in bloom
And to sit by me gate on that auld mossy seat
Whispering to Kate Muldoon.
Und hier der Song: https://www.youtube.com/watch?v=5VdgbITEeAg
Freue mich schon auf die Bilder!
Liebe Grüße
Patrick