Irische Flagge

Irland feiert. An diesem Wochenende hat das offizielle Irland einen Veranstaltungs-Marathon aufgelegt, der alle Feiern der Vergangenheit in den Schatten stellt. Das Land feiert den 100. Jahrestag des Osteraufstands von 1916 gegen die britische Besatzungsmacht. The Easter Rising vom 24. April 1916 gab die Startexplosion für Irlands Unabhängigkeit. Die Proclamation, die Erklärung der Unabhängigkeit durch den Schullehrer Padraig Pearse am Ostermontag vor Dublins Hauptpost,  gilt Vielen als Geburtsstunde eines freien Irlands. Doch so einfach ist es natürlich nicht mit der komplizierten irischen Geschichte, und deshalb verlaufen die Erinnerungsfeiern in Dublin und anderswo im Land auch überhaupt nicht spannungsfrei. Die radikalen Republikaner brummeln, viele Nordiren schauen mit Argwohn gegen Süden, die protestantischen Bürger von Irland fühlen sich gar nicht wohl mit den Jahrhundertfeiern. Man spürt sie noch immer, die alten Konflikte.

Auch 100 Jahre später gibt es einen Kampf um die Interpretationshoheit. Denn der Aufstand von 1916 war alles andere als eine gelungene Sache: Der feierlichen Verkündung der Proklamation eines damals nicht einzulösenden Versprechens folgten sechs Tage Kampf und das Scheitern. Hunderte Menschen, darunter viele Zivilisten starben. Die Rebellion von 1916 sollte eigentlich mit Hilfe deutscher Waffen eine Revolution werden, wurde dann aber am Ostersonntag kurzfristig per Zeitungsanzeige abgesagt, weil die versprochenen Waffen aus Deutschland nicht ankamen. Sie landeten versenkt auf dem Meeresgrund. Der Kern der Entschlossenen blies trotzdem zum Aufstand und startete am Montagmorgen fast unbeachtet von der großen Mehrheit im Land vor Dublins Hauptpost ein zum Scheitern verurteiltes Revolutiönchen,

Wie auch der Revolutionär Lenin damals urteilte: Die freiheitsbewegten Iren waren zu früh dran, sie hatten das Volk noch nicht auf ihrer Seite, und so nahm die blutige Geschichte von Dublin einen noch blutigeren Verlauf. Es folgten ein brutaler Unabhängigkeitskrieg (1919-21) gegen die Briten und ein noch verheerenderer Bürgerkrieg (1922): Nun kämpften Bruder gegen Bruder und Freund gegen Freund: Denn die den Briten im Jahr 1922 abgetrotzte Teil-Unabhängigkeit für einen eigenen Staat, den Irish Free State, bewirkte die Teilung des Landes und die Abtrennung der six counties, von Nordirland. An dieser Frage und der generellen, wie man es mit den Briten künftig halten sollte, schieden sich die Geister auch im Süden der Insel. Der kurze unmenschliche Bruderkampf hinterließ tiefe Wunden in Familien und Gemeinden.

Der Weg in die Zukunft führt über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Deswegen zweifelt niemand am Sinn der Erinnerungsfeiern zur den Ereignissen vor 100 Jahren. Die extremen Republikaner allerdings fordern eine Ausweitung der Feiern auf das gesamte Irland mit dem Ziel der Wiedervereinigung mit dem Norden. Immer noch im Untergrund agierende Splittergruppen der IRA drohen gar mit Terror. Friedensbewegte und Priester warnen, die Gewalttat von 2016 zu verherrlichen, und manche Stimmen kritisieren den Stil der Feierlichkeiten: Man verkläre die gute alte Zeit, präsentiere die Geschichte wie ein Historiendrama im Fernsehen und pflege eine gefällige Version der Geschichte. Und es wird gewarnt: vor überschäumendem Patriotismus, vor engstirnigem Nationalismus.

Irland feiert. Das offizielle Dublin zelebriert einen weichgespülten Osteraufstand 1916. Die Reden der Regierenden werden es in moderatem Ton vermeiden, in den alten Wunden zu bohren oder Andersdenkende zu sehr zu provozieren. Mit Hilfe von Google wird 1916-2016 zur fühligen Multimedia-Show. Heute soll die Hauptstadt die größte Feier erleben, eine Parade, zu der eine Viertelmillion Menschen erwartet werden. In Gedenkstunden werden Kränze im Dutzend abgelegt — und es wird überall diskutiert: Über den Funken an der Lunte, über die Niederlage, die zum Sieg wurde, über die viele Opfer kostende symbolische Aktion Rising 1916, die — wenn sie nicht die Freiheit brachte – dann zumindest über Umwege zur Freiheit führte.

Erinnern statt Triumphieren. Nach vorne schauen statt sich in Nostalgie wohlig einrichten: Irlands Präsident Michael D. Higgins bleibt bei allen Debatten wie immer souverän. Der erste Mann im Staat, der manchmal wie die kleinste Minderheit im Lande wirkt, mahnte seine Mitbürger gestern, die Versprechen der Freiheitserklärung von 1916 auch 100 Jahre später wirklich ernst zu nehmen: Noch habe Irland viele dieser Versprechen nicht eingelöst. Er mahnte ein neues Irland an: Baut mit an einer Republik der vielen Stimmen, in der alle Platz und ein Auskommen haben — auch die Heimatlosen, die Migranten, the Benachteiligten und die Ausgegrenzten . . . Lasst uns gemeinschaftlich in die Zukunft gehen . . . 

Gemeinschcaftlich in die Zukunft. Hört. Hört. Als erstes könnten sich dazu die beiden große Parteien Irlands, die aus dem alten Konflikt vor 100 Jahren entstanden sind, einmal miteinander versöhnen: Fine Gael und Fianna Fail  bestimmen die Politik Irlands seit damals, sind aber nie eine Koalition miteinander eingegangen, weil sie sich bis heute spinnefeind sind. Politisch vertreten die beiden Parteien fast genau dieselben Inhalte — nur eben die Vergangenheit hält sie auch in diesen Tagen davon ab, eine gemeinsame Regierung zu bilden und das Land damit aus dem politischen Stillstand zu befreien.

Irland feiert. Die großen Erinnerungs-Inszenierungen werden fortgesetzt: Bis mindestens 2013. Die Hoffnung besteht, dass diese Phase im besten Falle entscheidend dazu beitragen wird, dass sich die Irinnen und Iren mit sich selbst, mit ihren alten Widersachern und mit ihrer komplizierten Vergangenheit aussöhnen können.