Wem gehören die Farben Blau und Gelb, und wem die „heiligen“ Wasser am Black Head? Meine Eltern zogen einst in ein Dorf fünf Kilometer weiter. Ihr neues Reihenhaus war auf einer ehemaligen Kuhwiese gebaut worden. Sie und ihre Nachbarn waren fortan die Neuen im Dorf, die aus der Neubausiedlung – so etwas wie Bürger zweiter Klasse. Selbst der Bauer, der durch den Verkauf seiner Wiesen zum arbeitsfreien Millionär geworden war, bestand auf dem Privileg, der echtere Bürger zu sein, der einheimische; Gier und Überlegenheitsgefühle vertragen sich gut.
Wenn Städter heute in Hessen in den ländlichen Vogelsberg oder Berliner in die menschenarme Uckermark ziehen, geht es ihnen nicht anders: Sie ziehen in den Kampf um Anerkennung. Lebensstile und Werte der Kommenden kollidieren mit denen der Gebliebenen. Wer hat Recht und wer deshalb mehr Rechte?
Die stolzen Farben des County Clare an Irlands Westküste sind Blau und Gelb. Wenn die Gaelic Football-, Camogie- oder Hurling-Teams von Clare sich mit anderen County-Teams messen, sind die Straßen von Ennis, Kilkee, von Fanore und Ballyvaughan traditionell mit blau-gelben Stoff-Fahnen geschmückt. Ob es mit diesem Ritual zusammen hängt, dass sich geflüchtete Menschen aus der Ukraine in den Dörfern des County Clare besonders willkommen fühlten? Die Farben der Ukraine sind ebenfalls Blau und Gelb.
Unwissende Touristen fragten nach dem Februar 2022 bald nach, ob die blau-gelben Stofflappen an Strom- und Telefonmasten Teil der irischen Willkommens-Kultur seien – was lokalpatriotische Einheimische vergrätzte. Man holte die Fahnen ein und versah sie zusätzlich mit dem Wappen des County Clare. Fortan zeigten sich die Banner des Banner Counties etwas originaler – und dennoch nicht so original wie das Original. Dereinst war der legendäre irische Held Brian Boru mit den Farben Blau und Gold in die Schlacht von Clontarf gezogen. Für Gold hat es nicht mehr gereicht im County Clare des 21. Jahrhunderts.
Der bekannte Küstenort Ballyvaughan unweit vom Black Head hat bis heute keine Kläranlage. Die Dorfschule ist winzig, die örtliche Arztpraxis klein. Die 300 Einwohner von Ballyvaughan nahmen ab März 2022 ankommende Geflüchtete aus der Ukraine mit offenen Armen auf. Schnell wuchs die Größe der Gemeinde auf 700 Menschen. Heute leben mehr UkrainerInnen in Ballyvaughan als Alteingesessene, inklusive der Städter aus Dublin mit zweitem Wohnbein. Betten für Urlauber in Hotels und B&Bs wurden schnell knapp, die Shops und Pubs registrierten, dass die Ausgaben von spendablen Touristen spürbar zurück gingen.
Im Herbst 2022 schrieb der örtliche Entwicklungsverein einen Brandbrief an die Regierung in Dublin: So könne es nicht weiter gehen. Wo bleibe das Recht der Einheimischen auf ihr altes, vertrautes Leben? Auf eine eigene ungetrübte Existenz? Doch Dublin ist weit weg. Mittlerweile wird den Eigentümern von Hotels und Gästehäusern im Gespräch von Local zu Local direkt und dringendst nahe gelegt, ihre Betten wieder an Urlauber anstatt lukrativ an den Staat für die Unterbringung von geflüchteten Menschen zu vermieten.
In der etwas weiter südlich gelegenen Gemeinde Fanore gingen die Solidaritätsbekundungen für die Ukraine nach dem Einmarsch der Russen im Februar 2022 so weit, dass die Eingangstür der Katholischen Kirche in den Farben Blau und Gelb angemalt wurde (kleines Foto links). Auch die Pfarrei, aus der einst der bekannte Priester und Bestseller-Autor John O’Donohue hervor ging, leidet längst unter Mitgliederschwund. Die gläubigen Schwestern und Brüder aus dem Osten waren höchst willkommen. Inzwischen ist der gelbe Flügel der Kirchentür von Fanore überstrichen, der Eingang präsentiert sich nun einheitlich in Blau. Wem nur gehören die Farben Blau und Gelb?
Einheimische aus Fanore, aus Gleninagh, Cregg und Ballyvaughan schätzen das gute Wasser der Pinnacle Well. Es wird, vom Burrengestein fein gefiltert, in einem markanten Brunnenhäuschen an der Küstenstraße R477 im Townland von Gleninagh am Black Head gesammelt, das um das Jahr 1860 von einem wohlhabenden Landbesitzer gebaut wurde.
Menschen mit Wasser-Containern holen sich dort regelmäßig ihre Wochenration für Tee, Kaffee und Trinkwasser ab. Der Brunnen von Gleninagh ist auch als Tobercornan Well bekannt und steht vor allem bei Zugezogenen im Ruf, eine heilige und eine Heil-Quelle (Holy Well) zu sein. Im Verlauf des Jahres 2022 verwandelte sich das Brunnenhaus rasant in einen Pilgerort. Marien- und Jesus-Statuen, Kerzen und Rosenkränze betonten nun den unterstellten Heiligkeits- und Heil-Grad des Burrenwassers. Die Freunde von aromatischem Tee und gutem Trinkwasser fühlten sich düpiert, sahen den freien Zugang zu ihrem Wasser eingeschränkt. Sie handelten, räumten die Devotionalien ab und pinselten mit weißer Farbe den Hinweis an die Wand: „This is not a Holy Well“ – dies ist keine heilige Quelle.
Auch wenn die detaillierten Landkarten des Ordnance Survey die Tobercornan Well als Holy Well bezeichnen, weisen die Dorfältesten in Fanore und Ballyvaughan dies als Falschinformation zurück. Die Holy Well von Gleninagh befindet sich ihnen zufolge am alten Schloss und trägt den Namen „Zum heiligen Galgen“ – was wie eine Drohung klingt.
Andere Dörfer, andere Sitten. Wem nur gehört das „heilige“ Trinkwasser am Black Head?
Fotos (von oben, von links): Wegweiser in Fanore, County-Farben von Clare, Staats-Farben der Ukraine, Kirche Fanore mit blauer Tür (von Aribert Weis), Kirche von Fanore mit gelb-blauer Tür, Pinnacle Well (von Aribert Weis);
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Mit Fahnen, Flaggen und deren Farben wurde schon immer Identität und Zugehörigkeit symbolisiert. Auch Meinungen, politische Haltungen oder Kritik konnte so verschlüsselt geäussert werden. Eine Fahnenfabrik kann da bestimmt ein Lied von singen. Fahnen bedrucken lassen und am Fahnenmast aufhängen oder als Vereinsfahnen haben auf jeden Fall ihren Wert nicht eingebüsst.