Der 1. Mai ist ein sonniger warmer Tag. Der Weißdorn, in Irland der Maibaum, steht jetzt in voller Pracht. Er blüht seit zwei Wochen. Anfang Mai feiert Irland das alte keltische Fest Beltane (auch Beltaine oder Bealtane) – am kommenden Montag, dem 6. Mai, auch mit einem offiziellen Ferientag. Das traditionelle Fest des Feuers und des Sommeranfangs war in den vergangenen Jahrzehnten fast in Vergessenheit geraten. Nun laden zahlreiche Initiativen und Gemeinden auf der Insel wieder zu Beltaine-Festivals ein, auch um sich wieder mit den eigenen mythologischen Wurzeln und den alten Traditionen zu verbinden. Ein neuer Geist zieht auf. (Hier ein ausführlicher Bericht über Beltane: KlicK).
Am 1. Mai vor vielen tausend Jahren sollen die Vorfahren der Irinnen und Iren in Irland angekommen sein: die Milesier. Der Mythos der Eroberungen Irlands ist von christlichen Mönchen im Mittelalter im Buch der Landnahmen aufgeschrieben worden. Demnach gelang den zuletzt mit Booten aus Spanien kommenden Milesiern – die zuvor 100 lange Jahre durch den Osten gereist waren – im zweiten Versuch, Irland von den Tuatha de Danaan – einem sagenhaften Göttervolk, das seitdem die Anderswelt unter der Erde regiert – zu erobern. Die Milesier gelten als die ersten Gälen und damit als die ersten Iren. Ihre Invasion Irlands war die sechste in einer langen Abfolge von Eroberungen. Sie landeten auf der Dingle-Halbinsel und verdankten ihren Erfolg vor allem den magischen Kräften ihres Druiden Amergin. Der setzte als erster seinen Fuß auf das Land der künftigen Heimat und sang dieses Lied (in einer freien deutschen Übersetzung):
Ich bin der Wind auf dem Meer
Ich bin die Welle des Ozeans
Ich bin das Tosen des Meeres
Ich bin der Hirsch der sieben Schlachten
Ich bin ein Adler auf der Klippe
Ich bin eine Träne der Sonne
Ich bin die schönste Pflanze
Ich bin ein Wildschwein in Tapferkeit
Ich bin ein Lachs im Teich
Ich bin ein See in der Ebene
Ich bin ein Hügel der Poesie
Ich bin ein Wort des Wissens
Ich bin die Spitze des Speeres im Kampf
Ich bin der Gott, der Feuer in Köpfen entfacht
Wer wirft Licht auf ungeschliffene Gräber?
Wer verkündet die Zeitalter des Mondes?
Wer kennt den Ort, wo die Sonne schläft?
Der irische Mythos der sechs Landnahmen mag historisch in mancherlei Hinsicht nicht haltbar sein und Faktenchecker-Gehirnen nicht genügen. Er erinnert uns jedoch zweifelsfrei daran, dass Irland immer schon ein Einwanderungsland war. Dies in einer bedrückenden Zeit, in der auf der Insel Unterkünfte für Geflüchtete brennen, in der die rechte Boot-ist-voll-Propaganda zunehmend Unterstützung findet, in der zahlreiche Geflüchtete aus Großbritannien über die inner-irische Grenze in die Republik Irland fliehen, um von der gnadenlosen und unmenschlichen britischen Regierung nicht nach Ruanda abgeschoben zu werden. In der in Dublin Asyl suchende Menschen seit gestern hoffen können, dass sie nicht mehr auf der Straße leben müssen wie seit Monaten schon, weil ihnen die irische Regierung vielleicht endlich eine menschenwürdige Unterkunft zur Verfügung stellt.
Vielleicht kann Beltane eine Zeit der Rückbesinnung darauf werden, was das Eigene ist und wie es mit dem Anderen gut harmonieren kann.
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Fotos: Markus Bäuchle
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