Menschenleeres irisches Land: Nach längerer Pause war ich im Monat April wieder ausgebiebig zu Fuß unterwegs in den faszinierenden Landschaften des irischen Südwestens. Ich ging auf hohen Klippen am Atlantik, in den Bergen von West Cork, ich saß an Brandungstoren und in Burgruinen, auf alten Friedhöfen und an den Grabstätten ungetaufter Kinder, ich besuchte die Ruinen einer frühchristlichen Siedlung und meinen Lieblings-Steinkreis. Ich blickte auf die Hirsche im Atlantik und auf das Nest des Adlers. Das Erschreckende: Die Landschaft abseits der touristischen Autobahnen, jenseits vom Wild Atlantic Way, sie ist menschenleer, verlassen. Ich begegnete da draußen in fast einem Monat drei Menschen: zwei Spaziergängern und einem Hobby-Geologen mit Steinhammer. Gut, tief unten, am Fuß einer 55 Meter hohen Klippe, sah ich auch noch zwei Kletterer stehen.
Vielleicht liegt es an dem schlechten Wetter der vergangenen Monate, vielleicht an der frühen Zeit im Jahr, vielleicht aber verändern sich die Dinge gerade: Die Trittspuren und die durch Menschen verursachten Schäden in den Hochmooren und in den Bergen sind deutlich zurück gegangen. Die Landschaft erholt sich. Vor allem die Pandemiejahre führten viele Einheimische mangels Reisegelegenheit hinaus in die nähere Umgebung. Das scheint nun wieder vorbei. Viele Stätten mit interessanten prähistorischen Monumenten, Steinkreisen, Steinreihen, Wachtürmen und Steinzeitgräbern wirken verlassener denn je – vielerorts auch verwahrlost, die Zugänge von Farmern eher verriegelt als gepflegt, von Rindern zertrampelt und in Sumpf verwandelt.
Beispiel Caheravart bei Eyeries, eine frühchristliche Siedlung mit einem Cillin, einem ungesegneten Friedhof, Ruhestätte ungetaufter Kinder, und einem der ältesten christlichen Steinkreuze Irlands: Ein interessanter und historisch wichtiger Ort. Der Wegweiser ist mit Schrot durchsiebt, die Infotafel blind und unleserlich (Foto), der Zugang nass und knöcheltief schlammig, kaum begehbar und schwer zu finden.
Derweil tobt auf den mit großem Aufwand vermarkteten Küstenstraßen des Wild Atlantic Way schon wieder der ganz normale Tourismus-Wahnsinn. Auch auf dem Trophäen-Berg Carrauntoohil, Irlands höchstem Gipfel, kann man viele Touristen treffen. Mit dieser Besteigung kann man auf Instagram punkten.
Gestern begegnete ich in der geschäftigen Wild-Atlantic-Way-Frontstadt Kenmare einem Paar aus der Schweiz. Sie erzählten stolz von ihrer 220 Kilometer langen Wanderung über den Beara Way, die sie gerade beendet hatten. In zehn Tagen hatten sie unterwegs sechs Menschen getroffen.
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Fotos: Auf dem Sugarloaf, ikonischer Berg über Glengarriff und Adrigole, West Cork; Caheravart: Markus Bäuchle © 2024
Lieber Markus,
ich war anfangs skeptisch, zwischendurch ehrlich begeistert, und dann habe ich dieses überdimensionierte Tourismusprojekt verflucht. Jetzt aber wünsche ich, dass es gelingen möge, dem Wild Atlantic Way mehr Nachhaltigkeit zu verleihen, indem besonders schützenswerte Orte von der Route genommen oder die Besucherzahlen streng limitiert würden.
Ohne Tourismus wären weite Teile des irischen Westens entvölkert. Auf meine kritischen Zeitungsartikel über die geplante Monsterseilbahn nach Dursey bekam ich unzählige E-Mails von Iren, die darüber klagten, dass ihre Dörfer kein Postamt, keinen Pub und keine Polizeistation mehr hätten. Für diese Menschen heißt der Retter, der Geschäfte offen und Gemeinden am Leben halten kann, Wild Atlantic Way, denn wo es Irlandurlauber hinzieht, da können auch Einheimische noch Jobs finden, Brot, Briefmarken und Zeitungen kaufen, tanken und abends die Freunde im Pub treffen.
Unterstützen wir doch die, denen daran gelegen ist, ihre Heimat zu bewahren und mit neuen Ideen andere Formen des Tourismus zu entwickeln. Davon gibt es entlang dieser Küstenstraße inzwischen eine ganze Menge.
Lieber Markus,
das klingt eher ermutigend für mich. Ich warte auf den Tag, an dem die „Wild Atlantic Way“ Schilder abmontiert werden und die Menschen, die die Insel besuchen, wieder neugierig ihre Wege selbst suchen und finden.
Danke für den schönen Beitrag!
Bald aus Connemara 🐑🐑
Gabi