Irland Idylle John Hinde

Irland-Idylle der 60-er Jahre: Kinder-Kraft und Torf treiben Kraftwerke an

Die “German Angst” geht um. Die Angst vor radioaktiver Verstrahlung macht in diesen Tagen allerdings an deutschen Grenzen nicht halt. Gebannt verfolgt die Welt die Katastrophe in Japan, und uns ist klar: Diese Welt ist nicht mehr in Ordnung. Genau genommen war sie das schon vor dem 11, März 2011 nicht mehr, weil die ökologischen und ökonomischen Probleme eskalieren, während wir zusehen. Viele Menschen haben Angst, viele sind verunsichert, viele suchen im Internet nach Antworten, die Ihnen der japanische Ministerpräsident genauso schuldig bleibt wie die deutsche Bundeskanzlerin. Sie googeln für die Sicherheit, suchen Antworten auch mit Stichworten wie “Irland Atom”, “Irland Tsunami” (manche “Irland Zunami”) oder “Irland Erdbeben”. Die Fakten sind: Das Erdbebenrisiko auf der Insel ist äußerst gering. Die Gefahr eines Tsunamis im Nortdatlantik ebenso — auch wenn es wilde Szenarien vom Abbruch großer Landmassen im atlantischen Meer gibt, die eine Monsterwelle verursachen könnten. Irland ist jedenfalls nicht nur ein atomwaffenfreies sondern auch ein atomfreies Land. Die Technologie der Kernspaltung wird auf der Insel weder militärisch noch zivil zur Energiegewinnung eingesetzt. Nur vom östlichen Inselnachbarn, aus dem britischen Sellafield, droht immer wieder einmal erhöhte radioaktive Strahlung.

In einem Land, das mehrere Kraftwerke immer noch mit Torf beheizt, wurde erst im neuen Jahrtausend über die Option Kernenergie diskutiert. Angesichts des rapiden Anstiegs des Energiebedarfs in den Boomjahren des Keltentigers setzte sich eine politische Minderheit für den Bau von Kernkraftwerken ein – dann aber kam der wirtschaftliche Zusammenbruch und die Geisterdebatte verstummte.

Als Fluchtpunkt, gelobtes Land, als sichere Zuflucht und heiler Unterschlupf dient Irland den Kontinental-Europäern, und ganz besonders den Deutschen dagegen schon seit einem halben Jahrhundert. Als zu Beginn der 60-er Jahre der Kalte Krieg tobte, als die Welt während der Kuba-Krise am Rande eines Atomkrieges stand, wurde Irland in manchen Kreisen zum Geheimtipp und zum rettenden Ufer. Beeindruckt von den Schilderungen Heinrich Bölls aus den 50-er Jahren machten sich vor allem wohlhabendere Leute in das ländliche Idyll am westlichen Rand Europas auf, um in der Randlage am Atlantik Sicherheit und Schutz zu suchen. Findige Geschäftsleute kauften damals zu kleinen Preisen große Ländereien in Irland auf, parzellierten sie und verkauften die Grundstücke in Deutschland mit dem Versprechen von Schutz und Sicherheit an die Reichen und die Ängstlichen weiter. Fluchtpunkt Irland.

Die Kuba-Krise ging vorüber ohne zum Krieg zu eskalieren, viele Auswandererpläne aber blieben Pläne: Zahlreiche bereits finanzierte Zufluchtsstätten wurden nie gebaut – in Irlands Grundbüchern finden sich aus jener Zeit noch immer viele deutsche Namen. Erneut wurde Irland zum gelobten Land nach dem atomaren Super-GAU am 26. April 1986 in Tschernobyl, als die Angst vor dem radioaktiven Fallout Deutsche in Scharen westwärts auf die Insel trieb. Und nun Japan. Wird das Sanktuarium im Atlantik, das in den vergangenen drei Jahren nur konzertierte Fluchtbewegungen weg von der Insel sah, nun erneut zum Einwanderungsziel?