Irland Wahlen

 

Sturm-Saison in Irland: Es war ein glimpflich verlaufender Winter. Ein milder, ein nicht allzu nasser und ein wenig stürmischer. Nach  Atiyah (A) und Brendan (B) suchte uns auf der Insel am vergangenen Wochenende erst der dritte Sturm heim. Was den Deutschen die Sabine, war den IrInnen Ciara. Und auch Ciara (C) meinte es nicht allzu schlecht mit uns. Zwischenzeitlich kam vor allem im Landesinneren und im Norden Schnee und Eis dazu, und das schlechte Wetter soll am kommenden Wochenende im kalten Sturm Dennis (D) kulminieren. Danach sollte die Windy Season für dieses Jahr erst einmal ausgestanden sein.

 

 

Nachhaltiger als der metereologische dürfte der politische Sturm des vergangenen Wochenendes sein. Bei den vorgezogenen Neuwahlen zum irischen Parlament beerdigten die Wählerinnen die seit bald 100 Jahren dauernde Herrschaft der beiden alten Bürgerkriegs-Parteien Fianna Fail und Fine Gael. Die beiden Mitte-Rechts-Parteien, die sich jahrzehntelang im Regieren abwechselten, und lange über 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten, kommen zusammen nicht einmal mehr auf eine einfache Mehrheit.

Als Gewinner ging aus den Wahlen die Sinn Fein hervor, eine Links-Partei, die sich die Wiedervereinigung Irlands als oberstes Ziel auf die Fahnen geschrieben hat. Sinn Fein ist historisch betrachtet einerseits die Mutter aller irischen Parteien, andererseits in den Zeiten der Troubles, des bis 1998 über 30 Jahre währenden Nordirland-Konflikts, war sie der politische Arm der republikanischen Untergrundkämpfer der IRA. Sinn Fein wird deshalb von den anderen Parteien für den Tod von über 3000 Menschen während der Troubles mitverantwortlich gemacht.

Die Partei erhielt am vergangenen Samstag, einige Zeit nach dem Abtreten der alten militanten Funktionärs-Garde, mit ihrer Präsidentin Mary Lou McDonald fast 25 Prozent der Erst-Stimmen und ist damit stärkste Partei – wenn auch nicht nach Zahl der Sitze im neuen Parlament. Daraus leitet Sinn Fein einen Auftrag zur Regierungsbildung ab. Eine zersplitterte Parteienlandschaft auf der Linken, mit vielen Unabhängigen dazu, dürfte die Bildung einer linken Regierung allerdings schwierig bis unmöglich machen. Sicher ist dennoch: Mary Lou und ihre Partei werden Irlands Politik drastisch verändern.

 

 

Was ist geschehen, dass das ewige Duopol nicht mehr funktioniert? Warum entdeckt Irland erst jetzt eine Links-Rechts-Parteien-Landschaft und warum gibt es gerade jetzt, nachdem große Teile der westlichen Welt stark nach rechts gekippt sind, in Irland einen Links-Ruck?  Die plausibelste Erklärung: Die Mehrheit der irischen Wähler sehnt sich nach Veränderung, nach mehr Solidarität und nach einem sicheren Leben. Es nützt den Menschen wenig, ständig zu hören, dass sie in einem der wohlhabendsten Länder Europas mit einer boomenden Wirtschaft leben, wenn sie es im eigenen Leben nicht spüren: Es ist in Irland sehr schwer geworden, ein eigenes Haus zu kaufen und fast ebenso schwer, eine bezahlbare Wohnung zu mieten. Das Gesundheitssystem ist eine Katastrophe, die Infrastruktur bleibt vielerorts defizitär.

Es gilt auch als wahrscheinlich, dass sich die alten Loyalitäten einer tribalistischen Gesellschaft aus den Zeiten des Unabhängigkeitskampfes vor einem Jahrhundert nun verbraucht haben und dass die Menschen sich statt dessen mehr für Sachthemen und für ihren eigenen Vorteil interessieren. Fast jeder dritte Jungwähler hat deshalb für Sinn Fein gestimmt. Die schwierige jüngere Vergangenheit der Partei spielt für die jungen Menschen keine Rolle.

Die politischen Lager blockieren sich nach der Wahl vom vergangenen Wochenende gegenseitig. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Irland schnell eine neue Regierung bekommen wird. Beobachter rechnen damit, dass die Verhandlungen zwei oder gar drei Monate dauern können und dass schließlich vielleicht an Neuwahlen kein Weg vorbei führen wird. Es kann aber auch sein, dass eine der beiden alten Mächte, Fine Gael oder Fianna Fail, sich am Ende entgegen aller Ankündigungen auf einen Tanz mit der lange ausgegrenzten Sinn Fein einlassen. Mary Lou hätte wohl nichts dagegen.

 

PS: Die Klima- und Umweltpolitik spielte bei den Wahlen so gut wie keine Rolle. Zwar holten die Grünen über sieben Prozent und immerhin zwölf Sitze im 160-Sitze-Parlament von Dublin. Die Sorge um unsere Lebensgrundlagen bleibt allerdings in diesem Inselland, das längst mit mannigfaltigen Umweltproblemen zu kämpfen hat, unausgeprägt. Während der Meeresspiegel um die Insel Irland unaufhaltsam steigt, während die Natur-Zerstörung durch eine brachiale Fleisch- und Milch-Wirtschaft dramatische Ausmaße annimmt, während die Umwelt- und Klimapolitik der Regierung lediglich aus nicht eingelösten Plänen besteht, schaue ich hinaus auf  den Atlantik. Er sieht aus wie immer. Es beruhigt oberflächlich, weil er aussieht wie immer. Doch er ist längst ein sterbender Ozean.

 

Fotos: Markus Bäuchle (2 oben); Sinn Fein (unten)