Der Traum der Iren: Ein eigenes frei stehendes Haus

 

Irland gilt als das Land der Hausbesitzer. Hier, so heißt es, wohnt nur zur Miete, wer muss. Das Ideal ist das eigene Haus – möglichst das freistehende Einfamilienhaus. Doch der Schein des alten Images trügt: Nur noch 71 Prozent der Iren wohnten nach einer Vergleichsstudie der OECD im Jahr 2016 in eigenen vier Wänden – und nur 44 Prozent besitzen ihre Immobilie tatsächlich, 27 Prozent der Irinnen und Iren wohnten in vier Wänden, die aufgrund einer Hypothek zumindest teilweise einer Bank gehören. Noch im Jahr 1991 wohnten vier von fünf Iren in einem eigenen Haus (oder seltener, einer eigenen Wohnung). Das war damals der Spitzenwert in West-Europa und nährte das Image vom Hausbesitzerland Irland.

Mit 71 Prozent Wohneigentum unterscheidet sich Irland nicht mehr vom Durchschnittswert in den europäischen Ländern der OECD: Der lag 2016 bei 70 Prozent Wohneigentum (. Zum Vergleich: In der wohlhabenden Schweiz wohnen 60 Prozent der Bevölkerung zur Miete, in Deutschland sind es 55 Prozent. Den höchsten Anteil an Wohneigentümern haben die ehemaligen Ostblock-Länder Polen, Litauen und Ungarn, wo die Staaten nach dem Systemwechsel in den 90-Jahren Staatswohnungen weitgehend in Privateigentum überführten.

In Irland hat der Rückgang des privaten Wohneigentums einen einfachen Grund: Häuser und Wohnungen sind für viele Menschen zu teuer geworden. Immer mehr Irinnen und Iren können sich den Kauf einer Immobilie nicht leisten. Sie schaffen den Sprung auf die Property Ladder nicht mehr. Das liegt vor allem an den durch Spekulation aufgeblähten Preisen und einer künstlichen Knappheit: Nach den Bau-Exzessen des Celtic Tigers und einer tiefen Wirtschaftskrise haben sich die Immobilienpreise mittlerweile zu neuen Höhen aufgeschwungen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bereits wieder in Schieflage geraten. Vor allem gut gelegene und preiswerte Wohnungen für Familien fehlen, was Experten auf eine falsche Baupolitik zurückführen: Es gibt auf der Insel bis heute kaum Apartments, die für Familien mit zwei oder drei Kindern groß genug sind, statt dessen dominieren kleine Wohnungen oder eben Häuser den Wohnungsmarkt.

Der Traum vom eigenen Haus bleibt in Irland mehr denn je ein Traum

Auch das Mieten einer Wohnung ist vor allem in den Ballungsräumen Dublin und Cork längst schwierig geworden: Die Mietpreise galoppieren, die Menschen müssen einen wachsenden Anteil ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben. Die Wohnungsnot in den Städten ist trotz vieler Leerstände eklatant und sorgt seit einiger Zeit für Unruhe in der Bevölkerung und für Druck auf die Regierung. Irland hat mittlerweile eine ausgeprägte Wohnungs-Krise.

Schlimmer noch: Die Zahl der Wohnsitzlosen, die keine eigenen vier Wände haben, ist im Februar 2019 erstmals offiziell über die Schamgrenze von 10.000 Menschen gestiegen, darunter  fast 3800 Kinder. Dieses erbärmliche Signal wollte die Regierung unbedingt verhindern, schaffte es aber nicht. Die 10.264 Menschen, die Ende Februar offiziell ohne eigene Wohnung waren, konnten immerhin in den zusätzlich ausgewiesenen Notunterkünften untergebracht werden. Nicht berücksichtigt in der Skandal-Zahl sind laut Peter McVerry Trust alle Wohnsitzlosen, die im Freien schlafen oder die sich mit Couch-Surfen trocken und warm halten, oder im Krankenhaus, in Frauenhäusern und im Gefängnis untergekommen sind.

Die soziale Wirklichkeit im vermeintlich kuscheligen Irland verkommt für viele Menschen in diesen neoliberalen Zeiten zum Alptraum.

 

Fotos: Markus Bäuchle