Irland geht in diesen Monaten der Krise hart mit sich selbst ins Gericht – die Debatte über die eigenen Fehler, die in Gottes Namen begangenen Verbrechen an Kindern, das eigene Versagen, Politik zu gestalten und das öffentliche Leben zum Wohle möglichst Vieler zu planen; die Gier, die das Land in den Abgrund trieb: Diese abgründigen Themen bestimmen derzeit die öffentliche Diskussion. Ob das Jammern, das Wehklagen, das Analysieren, das Postulieren, Monieren und Selbstzerfleischen zu positiven Veränderungen führt – wer weiß es?


Heute setzt die Kolumnistin Ann Marie Hourihane in der Irish Times ein extra großes Ausrufezeichen der Selbstkritik. Wie gut, dass wir es nur zitieren und so vielleicht den verbalen Prügeln dafür entgehen, wieder unberechtigt über unser “Gastgebervolk mit dem naturgegebenen Heimrecht” herzuziehen. 


Ann Marie schreibt unter der Überschrift “It´s a country where the personal is all too political“:

In Ireland our systems are so lousy, our management is so appalling, our morality so non-existent, that our only recourse is the personal, the family, the tribe.

The thing is that it is terribly tiring living in a country where everyone has to be wheedled and humoured and seduced into doing the job that they are being paid to do anyway. It’s so draining keeping everyone on side. It’s so humiliating to think that the provision of public services depends on individual whim. This is usually the time of year at which a lot of schoolteachers get a nice bottle of wine; it would be interesting to know how those donations hold up this year. 



Die kluge Analytikerin Hourihane beschreibt in ihrem Leitartikel eine Gesellschaft, in der das zu Persönliche, das allzu Personenbezogene ein Grund für deren Niedergang ist. Gescheiterte Banker, die egoistisch wegducken (und ungestraft davonkommen) statt Flagge zeigen, Bischöfe, die am Amt kleben, weil sie nur sich selber sehen können, all die kleinen Leute, die so viele Entschuldigungen haben, um nie Verantwortung übernehmen zu müssen. Obendrauf Patronage, Vetternwirtschaft und Korruption: Wer etwa einen zeitnahen Termin bei einem irischen Facharzt im Krankenhaus braucht, muss die richtigen Leute kennen und sie gut bei Laune halten. Dann klappt´s. Sonst in der Regel nicht. 


Die Abwesenheit einer allgemein akzeptierten, objektiven Moral, das Fehlen von gesellschaftlichen Werten, die das Gesamte zusammenhalten, machen das Leben in Irland für die irische Bevölkerung zu einem Abenteuer, in dem derzeit nur die Solidarität der Stämme, der Familien und der Beziehungen zählt. Hourihane beschreibt diesen Zustand als heillos und mittelalterlich.  


Es ist zu hoffen, dass die Menschen in Irland in diesem schmerzhaften Prozess der Selbstwahrnehmung und der Selbsterkenntnis zu sich selber finden. In einem Umfeld, in dem jeder fast jeden kennt, ist das kein automatisch garantierter Erfolg.