Die Blätter der Weide

 

 

Der Baum des Monats April/Mai: Die Weide. Ein Beitrag von Elisabeth Firsching

 

Die Weide. Ähnlich der Birke sind viele Menschen mit der Weide (Salix, englisch: willow) vertraut, auch wenn sie sich nicht sonderlich für Bäume interessieren. Die Weide kann uns mit ihrer einzigartigen Schönheit für sich einnehmen. Im Ogham-Alphabet ist ihr das S zugeordnet, ihr irischer Name ist Saille. Im Baumkalender steht die Weide für den Jahresabschnitt vom 15. April bis zum 12. Mai. Auch dieser heilige Baum braucht feuchte, nährstoffreiche Böden und ist der dritte Baum nach Esche und Erle, der im Keltischen Baumkreis stark mit dem Element Wasser verbunden ist; leicht nachvollziehbar, ist Irland doch reich an größeren und kleineren Seen und Wasserläufen, die ideale Lebensbedingungen für diese Baumart bieten.

 

Trauerweide in Blarney Castle

 

Es gibt zahlreiche Arten der Weide. Besonders bekannt sind die Salweide, die Silberweide, die Korbweide oder die Trauerweide. Es kommt leicht zu Kreuzungen verschiedener Arten, weswegen immer neue Merkmalskombinationen entstehen, die auch fortpflanzungsfähig sind. Die Weide verfügt über einige faszinierende Eigenschaften. In der Birke haben wir schon eine Pionierbaumart kennengelernt, die Weide hat ihr voraus, dass sie extrem schnell keimt, rasch wächst, eine hohe Regenerationsfähigkeit hat, aus abgebrochenen Ästen vital wieder austreibt und generell sehr ausschlagsfreudig ist. Wer kennt nicht die pelzigen, silbrig schimmernden Kätzchen der Salweide, die je nach Wetter schon Ende Januar erscheinen und sobald sie blühen die Hauptnahrungsquelle für den Bienennachwuchs stellen.

 

Die Weide schenkt dem Menschen Körbe, Zäune und Schmerzlinderung

 

Die Samen der Weide sind die kleinsten unter den Baumsamen, können vom Wind sehr weit fortgetragen werden und keimen sofort oder gar nicht, da sie nur kurz keimfähig sind. Irland bietet das perfekte Klima für diese schnell wachsende Baumart. Bald nachdem die Blütenkätzchen abgeblüht sind, reifen die Samen heran und schnell schießen schon die ersten jungen Pflänzchen aus dem Boden. Nach einem Schnitt erscheinen unzählige biegsame und elastische lange Jungtriebe. Man nützte zu allen Zeiten diese Eigenschaften für die Herstellung von Körben, Zäunen und sonstigen Flechtwerken. Die sogenannten Kappweiden (Kopfweiden) werden regelmäßig bis zum Stamm geschnitten, damit sich viele Triebe bilden. Weidenrinde enthält den schmerzstillenden und antirheumatischen Stoff Salicin; schon die Babylonier kannten die heilbringenden Wirkstoffe der Weide. Erst in den letzten paar Jahrzehnten können Schmerzmittel auch synthetisch hergestellt werden. Bis dahin zählte der Grundstoff aus der Weide zu den wichtigsten Heilmitteln in der allopathischen Medizin.

Weiden werden zumeist nicht sehr alt, ihre Stämme bilden bald Hohlräume, die von Eulen und Fledermäusen gerne als Nistplätze genutzt werden. Die Weide wird mit den Kräften des Mondes und der Frauen assoziiert. Das zyklische Geschehen ist auch durch den schnell ablaufenden Vegetationszyklus leicht nachvollziehbar. Hexenbesen sollen aus Weidenzweigen gefertigt worden sein, Robert Graves verweist im Zusammenhang mit der Weide als Heiligem Baum auf Menschenopfer, die Mondgöttin und die Zauberei. Allzu durchgängig wurde heilkundigen Frauen in vergangenen Jahrhunderten viel Böses untergeschoben, dem ich hier aber nicht noch einmal Raum geben möchte.

Die Weiden, denen ich auf meinen Streifzügen durch die Natur begegnete, haben mich gebeten, dem Wahrnehmen Raum zu geben. Fasziniert von ihrer unermesslich großen vitalen Kraft suchte ich nach einem Zugang zu ihrer Stärke und bekam folgende Antwort: Weidensamen haben ein sehr kurzes Zeitfenster, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Voll mit Plänen, Gedanken, jede Minute nützend, geht unsere Fähigkeit verloren, die Gunst der Stunde erkennen zu können. Auf Impulse aus unserem Inneren zu achten, intuitiv die Qualität der Zeit zu erkennen und danach zu handeln, mag nach außen hin nicht immer nachvollziehbar richtig sein. Wer dies allerdings beherrscht, merkt wie leicht das Leben werden kann, denn alles ist mit allem verbunden und wer die Zeichen erkennt, hat Zugang zum Fluss des Lebens. Dem Unsichtbaren Raum geben, sich treiben lassen, vertrauen, den besten Moment erkennen und dann handeln – dies ist eine hohe Kunst. “Hört auf zu kämpfen und lauscht dem Raunen des großen Geistes. Sie ist immer mit Euch!”

 

 

Anm: Der Keltische Baumkalender, wie wir ihn heute kennen, geht auf Eingebungen des Lyrikers Robert von Ranke-Graves zurück, der im Jahr 1946 in dem Buch The white goddess (deutsch 1948 Die weiße Göttin) den Monaten Baumnamen zuwies, die zum Teil spekulativ dem Ogham-Alphabet entnommen waren. Den Bäumen wies Graves bestimmte Eigenschaften zu, die Bedeutung für in diesem Monat Geborene haben sollten.

 

Mehr von Elisabeth Firsching können Sie in ihrem Blog lesen: www.kleinefreude.blogspot.com