Irland 2008-201x: Diese Jahre der Krise sind auch die Jahre der Wahrheit: Mit fast manischer Fixierung fordern die irischen Medien von den politisch Veranwortlichen derzeit Schuldeingeständnisse ein. Dieselben Personen, die auf ihrem großen Trunkenheitsritt dem dem Celtic Tiger auch noch die Sporen gaben und ihn mit politischen Fehlentscheidungen in den tödlichen Herzinfarkt dopten, sind heute noch immer in der politischen Verantwortung (nur Bertie Ahern war schlauer, der Rest hat einen Hauch von nordkoreanischen Verhältnissen: Kim Cowen forever?)

Während Finanzminister Brian Lenihan sein persönliches Mea Culpa mittlerweile abgeleistet hat, ziert sich der stets fehlerfreie Ministerpräsident Brian Cowen noch hartnäckig. Er räumte mittlerweile zwar ein, dass seine Partei dem Affen mächtig Zucker gegeben hat, er selber aber  – immerhin Finanzminister unter dem großen Vorsitzenden Celtic Tiger –  will eigentlich nichts falsch gemacht haben. Manchmal dauert es etwas länger, bis Märchen als solche entlarvt werden – und die Zeit der Wahrheit mag auch für Brian Cowen noch kommen.

Diese in der Geschichte des unabhängigen Staates Irland beispiellose Krise verändert den Blick der Menschen auf die Leistungen und Versäumnisse der sagenhaft anmutenden Wachstumsepoche, die als “Celtic Tiger” Geschichte geworden ist. Und dabei wird der Mythos vom keltischen Wirtschaftswunder und vom Modell Irland (“Vom Armenhaus Europas zum . . .”) Stück für Stück neu bewertet. Einen beachtenswerten Beitrag zur Erklärung der Modell-Mechanismen lieferte jetzt die New York Times, die nachrechnete, dass die finanzielle Lage Irlands genauso schlecht ist wie die Griechenlands – wenn man nur ehrlich rechnet.

Um die Schuldenbelastung Irlands realistisch zu beschreiben, seziert die NY Times eine Herzklappe der Tiger-Wirtschaft: Das Jobwunder – neben dem Immobilienwunder der Motor der Boomwirtschaft – basierte zu einem beachtlichen Teil auf dem Prinzip einer geliehenen Wirtschaft. Irland lockte mit Billigsteuer und Privilegien erfolgreich Multinationals ins Land und bekam dafür Zigtausende Arbeitsplätze – leider aber kaum Steuereinnahmen.

Das rächt sich jetzt. Streng genommen sind 20 Prozent der irischen Wirtschaftleistung gar keine eigenen Leistungen, sie spielen sich in einem System im System ab, dessen Leistungs-Output jedoch fast komplett abfließt – vor allem in die USA. Der Staat nimmt kaum Steuern, die Profite fließen ins Ausland, nur die Arbeitsplätze sind real. Das Plädoyer, diese 20 Prozent von der Gesamtwirtschaftskraft des Landes abzuziehen, ist deshalb stichhaltig; und wer so rechnet, kommt zum nüchternen Ergebnis: Irland hat sich um den Aufbau einer eigenen mittelständischen Wirtschaft nie richtig gekümmert – und ist nun im Sturm der drohenden Staatsbankrotte von Schulden, denen kaum Einnahmen entgegenstehen, ganz besonders bedroht. Die protestierenden Griechen rufen gerne: “Wir sind nicht Irland”. Möglicherweise haben sie unrecht.

Foto: Man nennt sie “den Schiss des Celtic Tigers” – die zigtausenden Bauruinen im Land, Häuser, die niemals fertiggestellt, niemals bezogen werden. Ruinensiedlung “Copper Point” in Schull. © Markus Baeuchle