So viel darf man knapp eine Woche danach schon sagen: Der Hirtenbrief des Papstes an die Iren hat zur Befriedung der gedemüdigten Schafe nicht viel beitragen können. Das Thema “Klerikale Pädophilie” wird die politische Agenda auf der Insel noch lange beherrschen (und auch dem alle Verantwortung von sich weisenden Herrn Ratzinger noch viel Ärger bescheren).

In diesen Tagen dachte der Wanderer unter dem Eindruck der wütenden Missbrauchs-Debatte immer wieder einmal an den Sommer 1992 zurück: In jenem fabelhaften irischen Sommer erschütterte ein Riesenskandal die Insel – ein Skandal, der in der Rückschau den Anfang vom Ende der uneingeschränkten Macht der katholischen Kirche markiert. Im Sommer 1992 wurde bekannt, dass der beliebte Bischof von Galway, Eamon Casey, seit den frühen 70er Jahren ein Verhältnis und einen Sohn mit einer geschiedenenen Amerikanerin hatte. Bis in die 90er Jahre hinein predigte der  eigentlich liberale Geistliche Wasser und trank heimlich seinen süßen Wein. Sohn Peter hatte bereits 1974 das Licht der Welt erblickt.

Irland wurde in jenem Sommer in seinen Grundfesten erschüttert. Die einfachen Leute, denen die Katholische Kirche so lange und kompromisslos bedeutet hatte, wie sie zu leben hatten, was richtig und was falsch war, verstanden tatsächlich die Welt nicht mehr, viele fielen buchstäblich vom Glauben ab. Der diskreditierte Bischof Casey, der sich immerhin im Jahr 1984 aus politischen Gründen mutig geweigert hatte, den amerikanischen Präsidenten Ronald Regan auf Heimatbesuch in Irland zu empfangen, hatte eine Lawine losgetreten, die seitdem die Machtbastion der katholischen Kirche in Irland mehr und mehr unter sich begräbt.

Heute, fast 18 Jahre nach Bekanntwerden des ersten großen irischen Katholiken-Sex-Skandals, erinnern sich manche Iren angesichts der widerwärtigen pädophilen Vergehen von Priestern fast wehmütig der “Untaten” des Bischofs Casey. Dass die amerikanische Ex-Partnerin Casey damals mit einem Enthüllungsbuch ungehindert der Öffentlichkeit zum Fraß vorwerfen konnte, erweckte bald einen äußert zwiespältigen Eindruck: Die homo- und pädophilen Aktivitäten katholischer Priester verdienten offensichtlich zuverlässig den diskreten Schutz des Jahrtausende alten Herrenclubs, ein sexuelles Verhältnis mit einer Frau konnte aber ganz schnell zum Stolperstein für allzu progressive Hirten werden. Man hatte und hat eben seine Prioritäten.

Bischof Eamon Casey aber, der nach Fron- und Wanderjahren in Südamerika und England nun seinen Lebensabend in der alten Heimat Irland verbringt, könnte irgendwann doch noch als “Held der Befreiung” in die irische Geschichte eingehen: Lange sah es so aus, als verkörpere der Priester aus Kerry nur auf besonders prominente Weise die abstoßende klerikale Doppelmoral.  Vielleicht aber wird die Causa Casey in einigen Jahrzehnten auch anders interpretiert: als ersten spektakulären Schritt zur allmählichen Abschaffung des Zölibats in Irland und als Beginn der Aussöhnung der katholischen Kirche mit der menschlichen Sexualität (Träumen zumindest sollte erlaubt sein).