Wir aufgeklärten Menschen im Westen attackieren gerne den mittelalterlichen Islam und die rückständigen Mullahs der östlichen Welt. Wir vergessen dabei gerne: Unsere Mullahs sitzen in Rom, in Freiburg, in Dublin, in den katholischen Pfarrhäusern. Wie kann es sein, dass eine scheinbar aufgeklärte Welt, die die Gleichheit der Geschlechter für selbstverständlich hält, die absolutistische Herrschaft der alten Männer in Religionsfragen noch immer fraglos toleriert? Wie kann es sein, dass mehr als die Hälfte der Mitglieder der katholischen Kirche noch immer als Menschen zweiter Klasse behandelt werden? Wie kann es sein, dass Frauen in der katholischen Kirche kein Amt ausüben, keine Entscheidungen treffen – geschweige denn einen Pfarrer heiraten dürfen? Das ist tiefstes Mittelalter, an der Spitze der absolutistischen Theokratie der Papst, ein Diktator in Glaubens- und Lebensfragen.

Diese Gedanken bewegen viele katholische Frauen. Sie bewegten seit langem auch die 81-jährige Katholikin Jennifer Sleeman aus Clonakilty in West Cork, Irland. Jennifer belies es nicht beim Nachdenken und Lamentieren im Kreis der Freundinnen. Sie entwickelte einen Plan, und im August wandte sie sich an einen bekannten Journalisten bei der Irish Times und erzälte ihm, zu welchem Schluss sie gekommen war: Jennifer rief alle katholischen Frauen dazu auf, am 26, September, dem letzten Sonntag des Monats, den Besuch der Messe zu boykottieren und die leeren Kirchenbänke für sich sprechen zu lassen.

Die Idee ist so einfach wie genial: Frauen, stimmt mit den Füßen ab, erschüttert die sture männliche Kirchenhierarchie durch Eure Abwesenheit. Der Artikel in der Irish Times löste ein riesiges Echo aus: In Irland, in Europa, in den USA. So wird der kommende Sonntag nun zum ersten demokratischen Testfall für die katholischen Kirchengemeinden in Irland und anderswo. Weitere dürften folgen.

Die rebellische alte Frau aus Clonakilty, die so gar nicht dem stereotypen Bild von der Revolutionärin entspricht, freut sich über die weltweiten Reaktionen. Gleichzeitig hofft die gebürtige Schottin, die vor 54 Jahren zum Katholizismus konvertierte und seit 55 Jahren in West Cork lebt, dass die Aktion zur Gleichstellung der Frauen in der Kirche nun von anderen Köpfen und Schultern weiter getragen wird und dass in ihr Leben wieder Ruhe einkehrt.

Foto: St. Annes in Shandon, Cork (mab).