Harry Clarke

 

Sehnsuchts-Raum Irland. Wir wünschen uns von Euch das schier Unmögliche: Schickt uns in Zeiten der unbegrenzten Bilderflut ein Foto. Ein einziges. Euer Lieblings-Foto von Irland.

Nicole Quint unterbricht ihre Schreibpause, um uns ihr Liebling-Foto zu zeigen: Ein Meisterwerk der Glasmalerei von Harry Clarke. Nicole schreibt:

“Ein einziges Foto wählen? So schwer mir diese Aufgabe im ersten Augenblick auch schien, so leicht fiel mir die Entscheidung dann doch. Nicht das Foto von den Robben, denen in am Fanad Head täglich beim Sonnenbaden zuschauen durfte, nicht das Bild vom mir am Downpatrick Head, das mich stets an Caspar David Friedrichs Mönch am Meer erinnert, und auch keine der Aufnahme von der Ziegenfarm in West Cork, wo ich das Melken und Käsen gelernt habe, es muss stattdessen das Foto von einem Meisterwerk des genialen Glasmalers Harry Clarke sein. Die sogenannte Gilhooley-Paneele ist ein Teil des legendären Genfer Fensters und erst im Jahr 2015 nach Irland zurückgekehrt. Seitdem wird die vermutlich skandalöseste Scheibe der irischen Geschichte in der Hugh Lane Gallery ausgestellt.

Zu sehen ist eine provokante Szene aus Liam O’Flahertys umstrittenen Roman Mr. Gilhooley, in der eine feenhafte Schönheit namens Nelly den titelgebenden Protagonisten verführt, mit nichts als einem transparenten Schleier bekleidet, der beim Tanzen verrutscht und so ihre porzellanweiße Brust entblößt. Zu obszön, urteilte die irische Regierung, die das Werk in Auftrag gegeben hatte, und auch die übrigen Motive für das insgesamt achtteilige Fenster missfielen den erzkonservativen Politikern. Die Glasarbeit sollte eigentlich ein Geschenk des jungen Irischen Freistaats an den Völkerbund in Genf sein, wurde stattdessen aber verschämt weggeschlossen und später in die USA verkauft, wo es heute das Prunkstück des Wolfsonian Museum in Miami ist. An den Genfer See hat die halbnackte Nelly es zwar nicht geschafft, dafür aber zurück nach Dublin. Weil beim Glasbrand Risse im ersten Entwurf entstanden waren, fertigte Clarke die Tafel mit Nellys Tanz nämlich ein weiteres Mal an und setzte diese ins Gesamtwerk ein. Die einzelne Originalscheibe mit den ausgebesserten Rissen blieb jedoch erhalten, ging an die britische Fine Art Society und begeisterte viele Jahre lang Londoner Galeriebesucher.

Seit dem Rückkauf der Paneele durch die Hugh Lane Gallery ist eine Irlandreise für mich erst nach einem Wiedersehen mit Nelly vollständig, dem vielleicht schönsten Werk, das je von einem Iren geschaffen wurde.”

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Im Zeitalter der zahllosen schein-perfekten, hyper-gefilterten und photo-tot-geshoppten Super-Fotos wollen wir mehr. Sehnsucht lässt sich nicht knipsen. Die Lieblingspuppe war meist nicht die schönste Puppe, der Lieblings-Teddy war der, dem das linke Ohr und das rechte Auge – vom ständigen Lieb-Herzen – längst fehlte. Ihr und ihm galt unsere Zuneigung. Genauso ist es mit dem Lieblings-Foto: Es erinnert uns an besonders tiefe und eindrucksvolle, manchmal an selbstvergessene Momente, in denen es uns um alles andere ging als um das perfekte Foto.

Schickt uns Euer Lieblings-Foto von Irland mit einem kurzen Text und wir veröffentlichen es: markus(at)irlandnews.com

Foto: Nicole Quint