Irish Turkey
Jetzt geht es wieder um Kopf und Kragen: Das Festessen am ersten Weihnachtsag markiert den Höhepunkt im kulinarischen Kalender Irlands. An diesem Tag werden die größten Mengen Nahrung verspeist, an diesem Tag schlemmen fast alle Irinnen und Iren deutlich über die Sättigungsgrenze hinaus. Schon die Größe des Tieres, das an Weihnachten in einem typischen irischen Ofen brutzelt, weist auf eine rechte Völlerei hin: Es ist das Truthuhn, oder der Truthahn. Serviert wird der bis zu zehn Kilogramm schwere Braten mit Schinken, Kartoffeln und Gemüse, bevorzugt mit Rosenkohl.

Jetzt hängen sie wieder — kopfüber und durchaus kopflos — beim Metzger und beim Bauern: Die Türkischen Hühner (Turkeys), die ursprünglich vom amerikanischen Kontinent kommen, von den Indianern domestiziert und von den Spaniern nach Europa gebracht wurden.  Doch viele Turkeys, die nun ihrer Endbestimung entgegen hängen, brandmarkt die irische Farmer-Lobby nun als Türken in Anführungszeichen, als “Fälschungen.”

Gemäß irischer Weltanschauung ist nur ein irischer Truthahn ein echter Weihnachts-Truthahn. Preis- und Wettbewerbsdruck haben allerdings in den letzten Jahren unerkannt und ungekennzeichnet, dafür aber massenhaft ausländische Puten und Puter in Irlands Metzgereien auftauchen lassen. Im vergangenen Jahr verdrückten Paddy und Mary zu X-mas eine Viertelmillion Truthähne. Jeder vierte Festtagsbraten soll dabei preisbewusst aus Italien importiert worden sein. Auch in diesem Jahr, so schätzt die Branche, werden um die 750.000 Riesenhühner in Irlands Öfen landen, ein beachtlicher Teil davon wieder aus dem Land von Berlusconi und Trappatoni. Die noch etwa 140 irischen Truthahn-Farmer sehen derweil ungewissen Zeiten entgegen.

Vor acht oder zehn Jahren, als der Keltentiger noch röhrte, ließen über 1,2 Millionen Truthähne auf der Insel zu Weihnachten ihr Leben. So gesehen hat die anhaltend tiefe Rezession im Land eine tierfreundliche, lebensrettende Seite.

Warum ausgerechnet der Truthahn, das typisch amerikanische Opfer-Geflügel, neben dem Lachs das kulinarische Weihnachten auf der Insel prägt? Es muss ein von den amerikanischen Verwandten eingeschleppter Brauch sein. Ältere Iren erinnern sich noch gut an bescheidenere Zeiten und weniger üppige Festmenüs: Damals, als das Wort Keltentiger noch nicht geprägt war, aß man in irland zu Weihnachten traditionell eine Ente oder eine Gans.

Foto Dezember 2012 im English Market in Cork / © Markus Bäuchle