Wenn der „Liebe Gott“ das gewusst hätte. Gestern wurde der Bericht über Kindesmissbrauch in der Erzdiözese Dublin in den Jahren 1975 bis 2004 veröffentlicht. Das Phänomen massenhaften und systematischen sexuellen Missbrauchs von Kindern durch katholische Pfarrer ist in Irland seit Jahren ein Thema. Und doch sorgte dieser Untersuchungsbericht aus Dublin, der 320 Opfer identifiziert, für einen Aufschrei, weil er die Dimensionen dieser Verbrechen klar offenlegt: Kurz gesagt: Allzu Viele wussten bescheid, und niemand tat etwas dagegen. Es geht nicht um einige Übeltäter in Soutanen, die irische Gesellschaft ist in diese Taten verstrickt.

Die Kirchenoberen bis hinauf zum Bischof: Sie wussten über das böse Treiben ihrer Pfarrer Bescheid. Was taten sie: Im besten Fall versetzten sie die Pfarrer in eine andere Pfarrei. Nette Idee, sagen Zyniker, Abwechslung tut dem Pfarrer gut. Auch im Umfeld: Die Polizei wusste in vielen Fällen bescheid, drückte alle Augen zu: Ist doch der Herr Pfarrer. Und die Eltern, die Geschwister? Die Freunde? Die Lehrer? Das System der irischen Pastoren-Omerta hielt über Jahrzehnte dicht. In diesem Jahr aber bricht sich das Verdrängte Bahn und drängt zurück ins Bewusstein der Gesellschaft.

Was kann man von einer Kirche noch erwarten, die jahrzehntelang Werte predigt und diese Werte selber mit Füßen tritt? Die Wasser predigt, Essig serviert und selber Perversen-Schampus trinkt? Die als karitative Organisation vollkommen versagt hat? Da ist der gewöhnliche Kriminelle, der zu seinem Verbrechen steht, im Zweifelsfall die gottesnähere Figur.

Wenn der „Liebe Gott“ das gewusst hätte, was hätte er gemacht. Der irdische Stellvertreter Gottes, dessen Geburtstag in vier Wochen wieder einmal gefeiert wird, wird im Buch der Bücher ungefähr so zitiert: Den Kindern gehört das Himmelreich, und wer sich an den Kindern versündigt, soll sich einen Mühlstein um den Hals legen. Abgesehen davon, dass es so viele Mühlsteine in Irland gar nicht gibt: Selbst diese Courage wird den Tätern im allgemeinen fehlen. So leben sie bis heute weitgehend ungehindert, predigen Maßhalten und Keuschheit von der Kanzel herab – und schämen sich allenfalls heimlich.

Wenn der „Liebe Gott“ das gewusst hätte, was fast alle wussten. Hätte er etwas dagegen getan? Manche meinen: Wenn es Gott gegeben hätte, dann hätte er es gewusst. Und dann wäre es nicht passiert.

Andere sagen: „Der Liebe Gott ist kein lieber Gott“.

Und Dritte empfehlen den vielen ratlosen Menschen in Irland: Meidet nun die fehlbaren Vertreter Gottes, meidet die katholische Kirche und wendet Euch in Eurer Not direkt an ihn. Hoffen wir für die vielen erschütterten Gläubigen, dass der „Liebe Gott“ die Tür aufmacht, das himmlische Telefon abnimmt. Sagen wir es einmal ganz Irisch: Wenn es diesen Gott gibt, dann wird es am 17. März 2010 den ganzen Tag regnen, weil Gott dann weinend auf die Insel herunter blickt und darüber sinniert, was die Erben des Heiligen Patrick aus dem humanistischen Erbe des Christentums gemacht haben.

Ein Moderator von Radio 4FM nannte das Jahr 2009 heute morgen das „schwärzeste Jahr“ in der gesamten Geschichte der katholischen Kirche Irlands. Da mag er recht haben. Das schwärzeste Kirchenjahr in einem rabenschwarzen Jahr für Irland.

PS: Gerade telefonierte ich mit einem katholischen Priester in West Cork, einem rechtschaffenen Mann mit bestem Ruf. Er saß heute morgen verzweifelt in seiner Wohnung und fürchtete sich vor dem Tag: Wie sollte er an einem solchen Tag den Menschen auf der Straße begegnen? Wie sollte er seine Arbeit tun? Wie würden ihm die Menschen begegnen? Der Mann Gottes hat Angst vor dem Tag, vor der Zukunft. Das ist die andere Seite der Medaille. DIe Täter produzieren Opfer auch in ihren eigenen Reihen.