Gestern tourten 4000 Radfahrer durch Glengarriff. Radeln ist Volkssport geworden in Irland, und das Wetter war den Zweiradfahrern, die sich über die 140 Kilometer rund um die Beara Halbinsel mühten, richtig hold. Ich parkte unseren 9-Sitzer VW-Caravelle aufgrund des sportlichen Volksfests weit außerhalb des Dorfes neben einem bus-großen Monster-Vehikel. Das VW-Busschen sah neben dem Wohnmobil wie ein Fiat 500 aus. Minuten später fuhr das Monster-Mobil davon. Inhalt: Viel, viel Raum und zwei (!) Menschen. Aus gegebener Assoziation deshalb heute noch einmal dieser Beitrag aus dem Sommer 2014. Es ist inzwischen noch wesentlich wilder geworden am Wild Atlantic Way im schönen Südwesten Irlands . . .
Iren sind eigentlich meist freundliche und duldsame Menschen, die so leicht nichts aus der Ruhe bringt und die ihre sozialen Kontakte gerne nach dem Motto „Leben und leben lassen“ pflegen. Was aber hat dem Mann dort vorne im Bauern-Toyota die Laune so gründlich verdorben, dass er wild gestikulierend und schimpfend hinter der Windschutzscheibe herum fuchtelt? Es sind zwei fette Wohnmobile deutscher Herkunft, die sich durch das enge Sträßchen auf der Kilcatherine Halbinsel schieben und jeden entgegenkommenden Autofahrer zu einem minutenlangen Ausweichmanöver zwingen.
Als wir schließlich nach mehreren Minuten auch am Farmer vorbei fahren, ruft er das irische Äquivalent von „verda . . . Schei . . . .“ und „Wild Atlantic Way“ und es wird klar: Das Vermarktungskonzept rund um den „Wild Atlantic Way“ ist bereits in der ersten Saison schrecklich erfolgreich. Die Werbekampagne für „die längste ausgewiesene Küstenstraße der Welt“ entlang Irlands Westküste zieht eine ganz besondere Spezies Urlauber mächtig an: Den Wohnmobil-Piloten und seine Familie. Gerade vor zehn Minuten standen zwei andere Blech-Wannen mit den Ausmaßen 8 x 2,3 x 2,8 Meter am Aussichtspunkt und blockierten den Blick hinüber nach Kerry für alle nachfolgenden Fahrer; und einige Minuten davor — das Highlight überhaupt — begegneten wir bei Eyeries einem Motorhome-Corso von zehn (!) rollenden Wohnzimmern. Tja, auch der Franzose reist gerne frei und doch gesellig.
Der Wohnmobil-Pilot genießt seine grenzenlose Freiheit gerne, indem er seinen vertrauten Kokon — einer Raupe gleich — nicht verlässt, indem er den halben Hausstand mit sich führt, in seiner rollenden Hülle wohnt, kocht, isst, abführt, feiert, streitet, Sex hat, schläft — und sich bei all dem so herrlich frei und vor allem sicher fühlt.
Es ist die Freiheit, die der Wohnmobilist meint — die allerdings nicht dort endet, wo die Freiheit der Anderen beginnt. Den berühmten Satz von Immanuel Kant mag der gute Farmer von Ardgroom nicht kennen, seinen Gehalt aber versteht er sehr wohl: Hier machen sich Urlauber raumgreifend auf Kosten Einheimischer und anderer Urlauber allzu breit. Wer nicht im Campervan oder einem Motorhome sitzt, sondern in einem Auto dahinter oder davor, murmelt schon einmal das Wort von der „Freiheitsberaubung.“
Wohnmobil-Urlauber, so meint mein Freund Zanoni, seien bisweilen egomane, meist aber egoistische und fast immer stark sicherheitsbedürftige Zeitgenossen. Zanoni ist bekennender Wohnmobil-Hasser, und er kann sich über die „Schnecken der Landstraße“ so richtig in Rage reden: „Sie geben dem besuchten Land nichts oder nicht viel, da sie ja fast alles Notwendige mit sich führen. Allenfalls ihren Müll und den WC-Inhalt müssen sie dann und wann los werden. Sie beanspruchen über 30 Kubikmater Raum für sich und die Ihren und bis zu 80 Prozent der Straße.“ Zanoni glaubt, im Wohnmobil-Piloten den rechtmäßigen Nachfolger des Jägerzaun- und Gartenzwerg-verliebten Dauercampers von Lido di Jesolo zu erkennen. Aber das ist nur Zanonis unmaßgebliche Meinung, er ist halt Polemiker aus Berufung.
Fakt ist: Auf den engen und engsten Sträßchen an Irlands malerischer Atlantikküste haben wilde Zeiten begonnen. Viele dieser asphaltierten Feldwege, die Superlativ-hungrige Irland-Vermarkter zur „2500 Kilometer langen Küstenstraße“ aufaddiert und hochgepusht haben, sind nicht einmal für einen regelmäßigen Gegenverkehr mit beteiligten Kleinwagen geeignet, geschweige denn für die bis zu 9 Meter langen Ego-Mobile. Mancherorts sind mittlerweile wenig freundliche Schilder aufgetaucht, mit denen sich genervte Anwohner die invasiven Wohnmobilisten vom Leib halten wollen. Doch wen kümmert´s in Dublin?
Dort lachen sich die verantwortlichen Tourismus-Promoter ins Fäustchen, ist ihnen doch eine typisch irische Erfolgs-Story gelungen: Sie haben mit ganz wenig ganz schön viel gemacht. Sie haben sich dessen bedient, was bereits seit langem existiert: Küste, Landschaft, Himmel, Wolken, Meer, Dörfchen, Klippen, Strände, Straßen und Sträßchen. Sie haben ein paar tausend neue Schilder aufgestellt und ein neues aufmerksamkeitsstarkes Etikett draufgeklebt: „Wild Atlantic Way“. The Irish Way eben.
Und nun? Soll sich das anbahnende Chaos gefälligst selber regulieren? Werden sensible Gebiete vielleicht doch behutsam vor dem großen vernichtenden Erfolg geschützt? Oder steht der Ausverkauf der wilden Küstenlandschaft bevor? Werden aus engen, hecken-bewachsenen Landsträßchen bald breite Asphaltpisten, aus Parkplätzchen Bus-Bahnhöfe, aus dem Dursey Cable Car der Dursey Air-Shuttle und aus dem Sheep´s Head Turntable ein Camper-Park für Fußkranke, die auch mal ans Ende der Halbinsel wollen? Wir werden sehen, was das Langzeit-Konzept Wild Atlantic Way dem wilden Westen Irlands noch alles bringt. Er wird jedenfalls nicht so bleiben, wie er ist.
[ed20140717]
Lieber Dieter, was veranlasst Sie zu der Behauptung, die „Insassen der „rollenden Wohnzimmer“ seien nicht an Land und Leute interessiert? Kennen Sie diese „Insassen“ persönlich so gut, um solch eine Unterstellung zu rechtfertigen? Wir fahren seit 6 Jahren Wohnmobil und haben festgestellt, dass das eine der besten Möglichkeiten bietet, Land und Leute kennenzulernen. Und genau das tun wir ausgiebig. Jetzt sind wir das erste Mal in Irland und sind ganz begeistert von der Freundlichkeit der Iren. Wir haben in den ersten beiden Wochen unserer insgesamt 5wöchigen Tour noch keine anderen Motoristen blockiert oder behindert und dies auch nicht bei anderen Wohnmobilisten beobachtet. Und wir haben viel Freude an den häufigen Gesprächen mit den irischen Gastgebern. Ihre Polemik ist fehl am Platz.
Wir kommen seit 27 Jahren fast jedes Jahr nach Irland wir haben alles gemacht, Häuser gemietet BB oder sogar mit Grossmutter und zwei Kindern von Hostel zu Hostel. Und nun kommen wir seit zehn Jahren mit dem Wohnmobil. Eire und die Iren waren immer freundlich und hilfsbereit. Jedoch überall wo die Deutschen Auswanderer überhand nahmen fing auch das sture Gärtchen denken an. darum zu Euch, genau so Deppen wie es unter den Wohnmobilern gibt, gibt es Sie auch bei den Auswanderern. Darum nicht alle in einen Topf werfen. Bevor die EU die grossen Strassen bezahlte kamen die Bauern noch mit dem Traktor in die Ortschaft Heute muss der Traktor zuerst nach Hause und mit dem Auto in die Ortschaft. Eine Reise vom Norden in den Süden dauerte Tage. Heute Stunden. Das ist Fortschritt für die Einen und Zerstörung für die Anderen.
Bis bald in Eire
Klingt interessant, lieber Rolf, Was ist „stures Gärtchen denken“ und wo hast du es beobachtet? Danke für die freundliche Beschimpfung ;-)
moin moin in die Runde. Hoffe das man hier auch normal behandelt wird. Wir, meine Frau und ich haben ein kleines Womo unter 6 Meter. Wir waren schon ein paarmal in Schottland unterwegs und hatten viel spaß mit Land und Leute. Wir passen uns eigentlich den Leuten vor Ort an und kommen so auch weiter. Dieses Jahr wollen wir im Mai dann mal die grüne Insel besuchen. Wenn man hier manchen Personen glauben soll dann sind alle Womo-Fahrer doof. Es ist aber leider so das es die minderheit ist die sich mit den „neuen, großen und allen Scheiß“ bestückten Womo auf die Tour machen und keine ahnung haben wie Sie um die nächste Kurve kommen. Es ist wie im normalen Leben. Es wird immer Idioten geben. Wir wollen am liebsten alleine stehen und die Landschaft geniesen. Vor ort die sachen kaufen die wir brauchen und die Leute kennen lernen. Das ist Urlaub für uns. Vielleicht habt Ihr hier auch mal gute Ideen die einen weiter helfen Ansonsten „leben und leben lassen“MfG Rolf Schilling
Wir sind Irland-süchtig. Ausgehend von Glengarriff – 2008 erstmals in trampender Weise „erfahren“ – haben wir jedes Jahr ein neues Stückchen Irland kennen- und liebengelernt. Im Oktober 2014 war der Nord-Westen mit einem Mietauto Opel Corsa dran (Übernachtungen u.a. in Hostels – super: Malinbeg Hostel). Wir befuhren die Küstenstraßen bis zum nördlichsten Punkt „Malin Head“. Auf dem Wild Atlantic Way – den wir auch ohne Werbekampagne erkundet hätten – begegnete uns kein einziger Camper. Die Cliffs „Sliabh Liag“ (600 m über dem Ozean) kann man sowieso nur erwandern. Der Sturm hat uns öfters in die Knie gezwungen – es war unbeschreiblich. Unser Ziel für die nächsten Irlanderkundungen ist u.a. der ca. 16 Kilometer lange Fußweg über den Kamm der Klippen.
Alles Gute für 2015 wünschen
Sonja und Johannes
Sry, vielleicht verfehle ich das Thema mit meiner Meinung, also glatte 6.
Ich war in dem zu Ende gehenden Jahr 2014 im August 3 Wochen mit dem Wohnmobil in Irland und zwar an der Atlantikküste. Alles auf eigene Faust und ohne festgefahrene Routen, dazwischen Sightseeing-Touren in Form von professionellen Tagesreisen (lokale Reiseanbieter), z. B. Connemara, Ring of Kerry u. a.
Im Übrigen ganz viel mit dem Rad´l abgestrampelt (400 km).
Mein Fazit: so schnell wie möglich wieder hin.
Frohe Weihnachten
Alles gut, Norbert. Wer mit dem Wohnmobil verantwortungsvoll reist, nicht in den letzten Winkel und nicht auf dem engsten Küstensträßchen fahren muss, wird sicher kein Problem haben — auch nicht mit Einwohnern und Kritikern.
Hallo Thomas,
die Schranken an den Parkplätzen (mit und ohne Sea View) haben einen anderen — wenig witzigen — Hintergrund. Damit sollen die Travellers, Irlands mobile Minderheit, daran gehindert werden, Parkplätze als ihre Camps zu benutzen.
Im übrigen lege ich keinen Wert darauf Recht zu behalten, nur leider ist das Marketingkonzept vom Wild Atlantic Way bestechend einfach und deshalb sehr erfolgreich. Und eben nur ein Werbekonzept ohne materielle Entsprechung vor Ort. Wärst Du vor 5 Jahren auf die Idee gekommen, mit dem Motorrad die Westküste abzuklappern? Die Versprechung „Längste Küstenstraße der Welt“ (hoho) bringt nun viele Motoradfahrer erstmals auf diese Idee. und Leute mit Wohnmobil auch.
Hallo Markus
Ich verstehe den Ärger wegen der Wohnmobile, Irlands schmale Strassen sind dafür wirklich nicht gebaut! Deshalb waren wir auch mit dem Motorrad unterwegs und damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Das die Iren Wohnmobile nicht mögen, zeigt sich übrigens auch daran, dass bei einigen der schönsten Rastplätze mit Sea View bei der Zufahrt in der Höhe beschränkt sind.
Die Sorge, dass ein ausgeschilderter Wild Atlantic Way für die Natur oder den Verkehr zum Restrisiko wird teile ich jedoch nicht. Wenn wir ehrlich sind: Er führt ohnehin entlang einer bereits extrem beliebten Route, die längst kein Geheimtimp mehr ist. Wir wären diese Route auch ohne Wellen-Hinweisschilder gefahren, wenn wir hoffentlich Weihnachten/Neujahr in Irland verbringen – so wie es derzeit geplant ist.
Vielleicht sehen wir uns dann ja auf ein Pint of Smithwicks…
Wenn man auch früh genug fragt, ist das auch kein Problem!
Ich war jetzt das letzte Mal im November 2011 auf der Insel, in Donegal, um genau zu sein. Daher habe ich die Blech-Karavanen noch nicht persönlich (in dem Maße) wahrnehmen können. Aber, ich kann die Reaktionen hier wirklich verstehen. Keine Ahnung, ob die WM-Fahrer nicht Land-und Leute kennenlernen wollen, aber wenn das so ist, dann ist es wohl doch nicht das Richtige für uns!
So oder so wird man sich wohl mit den unterschiedlichsten Urlauber-Typen arrangieren müssen, es hilft ja nichts. Spricht aber dafür, sollte die Vermarktung weiterhin Früchte tragen und die WM-Urlauber nicht von den Straßenverhältnissen abgeschreckt werden, dass die anderen Urlauber dann eher irgendwohin ausweichen, wo sie nicht fahren (die Nebensaison ist dann wohl auch kein Trost mehr, sind ja meist Paare ohne Kinder).
Wait and see…
Sorry, der Post sollte unter den von Dieter…
Der deutsche Wohnmobilfahrer kann sich vorab auf seinen ersten Irrlandhorrortrip mit folgendem Video einstimmen:
https://www.youtube.com/watch?v=xgUrxSNeTFQ
Und waehrend er dann dem Weg der Feen folgt, wird er auf die eine oder andere Travellerfamilie stossen, die sich gerne zu ihm gesellt, zwecks kultiviertem Austausch ueber Land und Leute. Es geht doch nichts ueber einen schoenen Abenteuerurlaub …
Nichts ist für die Ewigkeit…..sehr wahrscheinlich auch der „Wild Atlantic Way“ in seiner bisheriger Form nicht
Keine Angst, das werden die Wohnmibilfahrer schon selber merken. Irland ist eben nicht Norwegen oder Schweden.
Und ehrlich, wir haben auch schon mal überlegt, mit einem Wohnmobil in den Urlaub zu fahren, da wir meist viel zu lang tagsüber unterwegs sind und dann kaum noch eine Unterkunft finden oder gar etwas zu essen. Und ich fühle mich von Obiger Einschätzung nicht angesprochen, Polemik hin oder her. Da könnte man eben zeitunabhängiger unterwegs sein und auch dort bleiben, wo es einem gefällt oder wo man gerade müde, verletzt oder sonst was ist. Aber, als Irland – Urlauber weiß ich: nicht in Irland, höchstens mit einem kleinem VW-Bus, aber nicht mit etwas Größerem! Diese Leute waren wohl noch nie auf der Insel und werden wohl auch niemals wieder mit ihrem Wohnmobil kommen, da kannst Du sicher sein! Denn umgekehrt schrecken die schmalen Straßen auch sehr viele Leute ab (es gibt sogar Leute mit normalen PKW’s, die von den Straßen nachhaltig abgeschreckt wurden ; ) …).
Also, keine Angst, der Zustand vor Ort wird Alles regulieren: schneller, wenn Tourism Ireland darauf hinweisen würde, langsamer, wenn nicht. Das Ende ist aber absehbar, da bin ich sicher.
Grüße, Claudia
Leider haben wir ähnliches bei unserem letzten Urlaub auf der Insel in diesem Jahr beobachten müssen.
Ich teile Deine Zuversicht nicht. Die Vermarktungsstrategen werden nach meiner Einschätzung eher versuchen die Wege Wohnmobil-tauglich zu machen.
Mich stören die rollenden Wohnzimmer auch gewaltig. Land und Leute kennenlernen ist von den Insassen anscheinend nicht gewünscht. Man betrachtet alles lieber mit einer gewissen Distanz mit dem Schneckenhaus im Hintergrund. Da kann man doch gleich alles mit G… Streetview erledigen. Fotos für die Nachbarn und Verwandtschaft gibt’s da auch.
Wir hatten in Irland noch nie Schwierigkeiten irgendwo spontan eine Unterkunft zu bekommen. Da ist doch das Reizvolle am Reisen… ein ganz klein wenig Abenteuer.
Ich gerate grad in Rage…..
Ich hasse die Dinger….