Die dunklen Grünen

 

Die westliche Zivilisation war ein Segen und ist jetzt ein Fluch. Sie wird das menschliche Imperium auf der Erde zerstören. Der irische Philosoph John Moriarty erkannte es im Jahr 1971 im Alter von 33 Jahren. John verspürte den großen Drang, seine westliche Bildung, seine kulturelle Prägung und all seine Denkkonzepte los zu werden. Er gab die junge Karriere auf, ging in die Natur, meditierte sich aus seiner Sozialisation heraus auf der Suche nach einem neuen Bewusstsein. Moriarty mag gefunden haben, wonach er sein Leben lang gesucht hatte, doch er war seiner Zeit weit voraus und deshalb einsam. Ein halbes Jahrhundert später kommen viele Menschen aus unterschiedlichen Denkrichtungen zu demselben Schluss: Die Menschheit hat sich vor 300 Jahren auf einen Irrweg begeben, der in der Sackgasse endet, in der wir nun stecken. Aufklärung, rein rationales Denken, Individualisierung, Fortschritt und die Abschaffung von Gott zugunsten von Ideologien: Mit der industriellen Nutzung der fossilen Brennstoffe begann die europäische Moderne, eroberte die Welt und droht nun die menschliche Zivilisation und das Leben auf dem Planeten zu zerstören.

Die beiden ZeitdiagnostikerInnen Louise Perry und Paul Kingsnorth stellen ihren aktuellen Internet-Podcast unter die Überschrift: Der Zusammenbruch des menschlichen Welt-Imperiums*. Sie prognostizieren den langsamen unausweichlichen Kollaps der westlichen Zivilisation, und haben damit mutmaßlich recht: Es gibt kein Halten und kein Entrinnen, wir kreiseln auf Autopilot durch die Abwärtsspirale einem Ende und einem Neuanfang entgegen. Ob das kapitalistische Wirtschaftssystem noch fünf, zehn oder 50 Jahre hält, bevor ihm die Luft endgültig ausgeht, die Ressourcen erschöpft sind und die natürliche Welt endgültig zerstört ist, weiß heute niemand. Wir kennen allerdings die Gesetzmäßigkeit, dass alle menschlichen Imperien zusammenbrechen, so wie sie entstanden sind. Und wir wissen oder spüren es. Wir sind die Zeitzeugen, um nicht zu sagen die aktiven Teilnehmer des ersten globalen Niedergangs des menschlichen Imperiums.

* * *

Vor 25 Jahren hat sich unsere Familie von Deutschland nach Irland aufgemacht, um der massiven Zerstörungskraft der Fortschrittsmaschine auszuweichen. Doch es gibt kein Entkommen. Mit einiger Zeitverzögerung wird auch am westlichen Rand Europas die natürliche Welt konsequent von der menschengemachten Welt geschluckt, wird Landschaft in Kapital umgewandelt. In einer begrenzten Welt kennen wir keine Grenzen, dehnen uns rücksichtlos aus. Seit einem halben Jahrhundert rufen wir die Losung, die als Weissagung der Cree bekannt geworden ist:

„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Genauso lange betreiben wir Umweltschutz, Naturschutz und neuerdings Klimaschutz. Ohne jeden Erfolg. Die Arten verschwinden wie im Zeitraffer, die Böden veröden, das Meer stirbt, die Emissionen steigen. Die Welt ist nur in Absichtserklärungen und Sonntagsreden in Ordnung. Oder in den längst skurril wirkenden Naturwunder-Dokus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Um den westlichen Wohlstand und den Wohlfahrtsstaat weiter zu finanzieren, muss die Zerstörung konsequent bis zum Kollaps weiter gehen. Es gibt keine politische Partei, die diese Entwicklung beenden wollte oder könnte – weil es nicht genügend Wählerinnen gibt, die eine solche Partei wählen würden. Wir alle wollen – und wenn wir es nicht wollen, dann zumindest können wir – auf unseren Wohlstand und die Segnungen der Zivilisation nicht verzichten: Wir alle benötigen Transport, Arbeit, Internet, das medizinische System, die Staatsrente, um mitzuhalten und zu überleben; wir lieben die schönen Flugreisen, die großen Autos, das E-Bike und die viel zu weitläufige Wohnung – während der Preis, um unseren Lebensstandard auch nur zu halten, unaufhaltsam steigt.

Die grüne Idee hat sich als Illusion erwiesen

Die Grünen haben abgewirtschaftet. Die grüne Idee hat sich als Illusion erwiesen. Die bereits zitierte Louise Perry macht drei Arten von Grünen aus: Die leichtgewichtigen, die schlauen und die dunklen Grünen (im Original: the light, the bright and the dark Greens). Die leichtgewichtigen trennen brav ihren Müll, benutzen Bambus-Zahnbürsten, verzichten auf Plastikstrohhalme und  kaufen Fleisch „nur bei unserem Bio-Bauern“. Die schlauen Grünen setzen auf unsere Rettung durch Technologie: Sie pumpen CO2 zurück in die Erde, zerstören die Wälder mit Legionen von Windrädern und verbannen die Autos mit Kameraüberwachung aus den Innenstädten. Die dunklen Grünen haben die Hoffnung fahren lassen: Sie würden die Menschen mit der natürlichen Welt gerne in Einklang sehen, haben aber begriffen, dass es kein Halten gibt. Es sei denn, unsere politischen Systeme würden durch grüne Diktaturen ersetzt. Die Neigung der neuen Grünen zum Autoritären (Wärmepumpenzwang für gute Bürger) macht uns darauf bislang wenig Lust.

Vor einigen Jahren wurde der Schriftsteller Jonathan Franzen gegeiselt, gecancelt und an den Pranger gestellt für seine Feststellung, dass wir uns ehrlich machen und zugeben müssen, dass wir den Kampf gegen die Klimakrise nicht gewinnen werden. Fünf Jahre später weiß jedes Kind, dass wir die propagierten 1,5- oder 2-Grad-Ziele maximaler Erderwärmung nicht erreichen werden. Vor 50 Jahren sagte uns der TV-Journalist Horst Stern zur besten Sendezeit, wohin die Reise gehen wird, wenn wir nicht . . .  Seitdem haben wir viele Mahner gehört und sind doch nur allzu bereitwillig die Eskalationsleiter weiter mit hinauf gestiegen. Der tiefe Fall wird folgen. Ungewiss ist nur der Zeitpunkt. Im besten Fall wird es ein mehr oder weniger sanftes Hinabrutschen sein.

Wormhole

 

Wir sitzen in der Falle, die wir uns selber vor etwa vier Menschenlebenlängen aufgestellt haben. Die fossilen Brennstoffe lassen sich nicht wieder verbuddeln, unseren Gehirnen fehlt wahrscheinlich der Reset-Knopf. Zumindest ist dieses Bewusstsein-Reset bislang nur wenigen Menschen gelungen. John Moriarty möchte unser Bewusstsein auf dem Weg der Seele tief hinunter durch alle Schichten des Erdzeitalters auf den Grund des Grand Canyons sinken lassen, bevor wir verstehen, wohin wir gehören. Thich Nhat Hanh nahm uns mit auf die große Meditation zu einem neuen Bewusstsein. Wer konnte folgen? Der Ethno-Phamakologe Terence McKenna fand unter dem Einfluss von pychedelischen Pilzen zur Einsicht, dass das menschliche Bewusstsein 20.000 Jahre in die Vergangenheit zurück zu den Ursprüngen des Einsseins mit Allem reisen muss. Der zeitgenössische Philosoph Thomas Metzinger forscht nach einer neuen globalen Bewussteinskultur und will zu deren Einübung alle Disziplinen zulassen – bis hin zur Methode des Dr. Timothy Leary. Die kleine Hoffnung, dass die wenigen Einsichtigen den Reset-Knopf für die Vielen finden, setzt auf die seltene Erfahrung eines großen Paradigmenwechsels, der sprungartig eintreten kann, wenn eine abweichlerische Minderheit die kritische Masse von etwa 15 Prozent erreicht. Dann würde vielleicht aus dem Prinzip Ja das Prinzip Nein, und Weniger könnte dann tatsächlich mehr sein.

* * *

Texte wie diese sind nichts anderes als Predigten an die Gläubigen. Sie bestärken die bereits Überzeugten. Alle anderen werden Schwarzmalerei rufen und uns Untergangs-Unken schimpfen. Die Rechten im tobenden Kulturkrieg sehen weder Naturzerstörung noch Klimakrise, sie genießen die Gnade des getrübten Blicks und erkennen doch das klassenkämpferische Element der paradoxen Lage in der Sackgasse: Man muss es sich leisten können, grün nach den Vorstellungen der regierenden Grünen zu sein. Den Gleichgültigen ist es gleichgültig, denn für sie wird es schon noch reichen –  und die leichtgewichtigen und die schlauen Grünen werden weiter wurschteln und unverdrossen hoffen – die einen fein den Müll trennen, die anderen ihre Dächer und Fassaden mit Solarpanelen pflastern, die Wälder mit Windspargeln ruinieren –  und am neuen grün lackierten Business mitverdienen. Die Eliten werden noch eine Weile die Hymne vom Green New Deal singen und die Räder am Laufen halten.

Wer der Einschätzung zustimmt, dass es kein Happy End gibt, kann Trost finden in der Wahrscheinlichkeit, dass der Kollaps unserer Zivilisation nicht einem Doomsday-Szenario aus Hollywood folgen wird. Wir haben Zeit uns darauf einzurichten. Wir können dabei zusehen, wie Rohrammer, Zitronenzeisig und Brachvogel endgültig verschwinden. Rom fiel über Jahrhunderte. Wir können uns entscheiden, wieder gläubig zu werden. Die Erde wird sich auch morgen weiter drehen.

Wie sang Bob Dylan im Jahr 1965: It´s allright Ma, I´m only bleeding . . . 

Unterdessen interessieren mich diese Fragen:

  • Wie wollen und können wir im Hinblick auf den unvermeidlichen Niedergang leben? Welche Konsequenzen ziehen wir? Welche Alternativen wählen wir?
  • Wie gehen wir damit um, wenn wir unsere Vorstellungen, unsere Träume und Ideen nicht retten können?
  • Woraus schöpfen wir Hoffnung und Zuversicht?
  • Wie wird eine Welt nach einem globalen Kollaps aussehen? Und wie der Neuanfang?

Im Übrigen bin ich gut gelaunt und ziemlich ausgeglichen. Trotzdem.
Wir schützen und pflegen das, was uns lieb und wertvoll ist, versuchen zu retten, was uns besonders am Herzen liegt, suchen Gleichgesinnte.
Freuen uns an kleinen Erfolgen
. Im Kleinen. An unserem Ort.

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* Hörenswert: The Collapse of the Human Empire. Louise Perry im Gespräch mit Paul Kingsnorth (in englischer Sprache)

 

Kollaps der Zivilisation

Foto (Mitte): Markus Bäuchle