Nach langen 16 Tagen Deutschland zurück in Irland. Am Ende die beliebte Frage: Wäre es nicht besser, wieder in Deutschland zu leben und der krisengeschüttelten Grünen Insel den Rücken zu kehren? Nein, es fühlt sich gut und stimmig an, zurück zu sein aus der alten Heimat – zurück aus der drangvollen Enge, zurück in der Weite der Wahlheimat.
Vor bald eineinhalb Jahrzehnten schwärmte der Wanderer einem Wiesentäler Geographen über die intakte Natur Irlands und die vermeintliche Behutsamkeit der Iren im Umgang mit dieser Natur vor. Der Mann konterte nüchtern: „Das ist nur ein Mangel an Gelegenheit“. Er sollte recht behalten, denn bald wütete in Irland der Keltentiger – und die große Gelegenheit zum Zerstören der natürlichen Lebensgrundlagen war endlich auch für Mary und Paddy gekommen.
Die Irinnen und Iren ließen sich bekanntlich nicht lumpen und demolierten ihr Land mit internationalem Beistand nach Kräften – nun haben sie 300.000 leere Häuser zuviel in der Landschaft stehen und sitzen wirtschaftlich in der großen Klemme. „Zerstört is“ – und dennoch: Die Zeit von zehn, zwölf Jahren hat nicht ausgereicht, um abzuräumen. Es ist viel übrig geblieben von den grandiosen natürlichen Ressourcen der Insel. Das „Window of Opportunities“ hat sich nun fürs Erste geschlossen, die Bagger und Baukräne rosten still vor sich hin. Es herrscht wieder Ruhe auf der Emerald Isle.
Deutschland zelebriert sich gerne als Musterschüler der Ökologie. Man und frau füllt fast manisch gelbe Recycling-Säcke, die Häuser werden vorbildlich in dicke Über- und Unterhosen gepackt, man spart weltmeisterlich Strom und Wasser – und doch ist gar nichts in Ordnung im Staate Alemannien: Die Zersiedelung der Landschaft hält unvermindert an. Wohl folgt sie – im Gegensatz zu Irland – einem Masterplan, doch das macht nichts besser. Hier noch ein Haus, dort noch ein Häuschen, hier ein neuer Aussiedlerhof, dort eine neue Sportanlage. Jeder kleine Dorf-Bürgermeister muss sich mit einem eigenen kleinen Neubaugebiet, einer Gemeindehalle, einem Wasserkraftwerk oder einer Gewerbeansiedlung in der beherrschten Landschaft verewigen. Immer mehr zeitfressende Verkehrsadern durchschneiden den Raum und parzellieren das Leben.
Die Grenzen zwischen den Dörfern verschwinden. Der Unterschied zwischen Stadt und Land wird aufgehoben. Die Metropolisierung Deutschlands schreitet voran: Nicht unbedingt schnell, aber unbedingt und unerbittlich. Es gibt wohl kein Halten, da es zu viele Gelegenheiten gibt. Zu viel ungebremstes Kapital baut Scheuklappen, Grenzen und Gräber aus Asphalt und Beton – und kein Politiker stellt das heilige Dogma des „Wachstums“ in Frage.
So fällt die Antwort nach dem Lebensort leicht: Er liegt im Zweifelsfall immer dort, wo der Mangel an Gelegenheiten am größten ist. Irland – Deutschland 2:0.
PS: Das Foto zeigt den Belchen im Schwarzwald. Diese herrlichen Bergspitzen sind ausdrücklich von der Schelte ausgenommen.
Lieber Markus, Dein stimmiger Beitrag weckt eine seit geraumer Zeit erkaltete Lust und Freunde auf Irland ganz neu – ich werde wohl in diesen Tagen in Kerry wegen meines Osterurlaubs anfragen. Ich lasse die Stille und Weite der Insel schon mal in Gedanken spürbar werden. Ich wünsche Dir schöne Adventstage, auch wenn Du zur Kirche eine gesunde Distanz hast.
Wie recht Du hast Markus. Und dennoch sitze ich immer noch hier in Deutschland.Auch wenn ich`s gern anders hätte. Denn….auch im irischen Traum muss man von etwas leben. Gell?
Liebe Grüße von Nicole