Schicksalshaft verbunden: Aidan MacCarthy und Isao Kusuno

Geschichten von der Beara-Halbinsel im Süd-Westen Irlands (Teil 26)

von Peter Bernhardt* 

Heute erzählt Peter Bernhardt die Geschichte von Dr. Aidan MacCarthy, einem berühmten Sohn des Beara-Städtchens Castletownbere. Der junge MacCarthy rettete als Arzt in Uniform im Zweiten Weltkrieg so manches Leben – und er überlebte bei Nagasaki den Abwurf der Atombombe. Hier der Rückblick auf ein abenteuerliches, tapferes und der Humanität verpflichtetes Leben.

 

Adrienne MacCarthy betreibt heute in Castletownbere auf der Beara Peninsula in vierter Generation eines der bekanntesten traditionellen Pubs in Irland. Ihr Vater war Aidan, ein über Beara hinaus geschätzter und geachteteter Arzt.

Dr. Aidan MacCarthy (1913-1995)

Das sechste Kind der Familie MacCarthy aus Castletownbere auf Beara, deren Geschichte wir hier bereits erzählt haben, war ein Sohn mit Namen Aidan, geboren 1913. Aidan beschrieb seine Kindheit als glücklich und sehr aktiv, der Junge liebte vor allem die langen Sommer-Tage mit Schwimmen und Angeln und Picknicks im Motorboot. Nach Abschluss der örtlichen Grundschule wurde er in ein Konvent in Dublin geschickt, wo ihn sein Vater aber schon nach einem Jahr herausnehmen mußte, weil die Nonnen meinten, er sei zu „erwachsen“ für die Dublin-Jungs. Und so wurde er die kommenden sieben Jahre bei den Jesuiten in Clongowes in der Nähe von Clane in der Grafschaft Kildare untergebracht.

Aidan beschreibt die Jahre 1920 bis 1930 als „schwierig“. Castletownbere und die Umland-Gemeinden waren „abgeschottet“. Der Abzug der Truppen nach Ende des Ersten Weltkrieges stürzte die Menschen in ein tiefes Loch. Jeder hatte um seine Existenz zu kämpfen. Die Elektrizität kam erst 1952 auf die Beara Halbinsel und es dauerte bis Mitte der 50er Jahre, bis man die ersten Straßen teerte.

Der junge Mann studierte dann an der Universität in Cork Medizin und promovierte 1938 zum Doktor. Weil es in diesen Zeiten schwierig war, in Irland eine Anstellung als Doktor zu bekommen, ging er nach England und bewarb sich ein Jahr später bei der Royal Air Force als „Medical Officer“.

„Sein Krieg“ begann ruhig, so beschreibt er es selbst in seinem Buch „A Doctor’s War“. Es sind Aidans Erinnerungen an sein Leben im Zweiten Weltkrieg. Im Dezember 1939 wurde er als „Senior Medical Officer“ nach Nord-Frankreich versetzt. Seine Arbeit dort bezeichnete er als chaotisch. Die Situation in Frankreich war völlig unorganisiert. Aidan war auch an der Invasion und der panikartigen Flucht bei Dünkirchen beteiligt, wo er den Speisesaal der Larne-to-Stranraer-Fähre in ein Lazarett umwandelte, um dort verletzte Soldaten zu behandeln. Erstaunt war er, dass er britische Kugeln aus britischen Soldaten operieren mußte. In der Panik haben die Soldaten offensichtlich aus Versehen auf die eigenen Leute geschossen.

Das ganze nächste Jahr verbrachte Aidan auf der Flieger-Station in Honington und versorgte dort mit seinem Medizin-Team die verletzten, zurückkehrenden Piloten. Nur etwa 30 Prozent der Bomber-Mannschaft kamen unverletzt von ihrem ersten Feindflug zurück. Für Sentimentalität war kein Raum und Beerdigungen waren selten, denn die Leichen wurden nie gefunden.

Eines Nachts hatte Aidan Wachdienst im Tower, als eine zurückkehrende Maschine Probleme hatte zu landen. Oftmals wurden britische Maschinen von deutschen Jägern verfolgt, und wenn diese beim Landeanflug die Lampen einschalteten, wurden sie abgeschossen. Also landete an diesem Abend das Fluzeug ohne Licht und verfehlte die Landebahn, überschlug sich und geriet in Brand. MacCarthy war sofort bereit, in die brennende Maschine zu klettern, um den Piloten zu retten, ungeachtet der Tatsache, daß die Maschine jeden Augenblick explodieren konnte. Für diese „Heldentat“ wurde ihm ein Orden von König George VI im Buckingham Palace überreicht.

Am 7. Dezember 1941 überfielen die Japaner Pearl Harbor, drangen auf die Malaische Halbinsel vor und bombardierten Singapur und Hong Kong. Daraufhin erklärten die Amerikaner einen Tag später offiziell den Krieg gegen Japan, und am 11. Dezember erklärten die Deutschen den Amerikanern den Krieg. Dieser Teil der Geschichte ist bekannt. Beim Überfall auf Pearl Harbor wurden die beiden Kriegsschiffe „Utha“ und “Oklahoma“ versenkt, beide waren im 1. Weltkrieg in Castletownbere stationiert. Aidans Vater Denis F. hatte in jener Zeit so viele Geschäfte mit den Amerikanern gemacht, daß er die obere Etage des Familienhauses ausbauen konnte.

Aidan MacCarthy war im Dezember 1941 mit einem Konvoi auf dem Wege nach Nordafrika, wo auch schon gekämpft wurde. Da traf die Nachricht vom Eintritt Amerikas in den Krieg ein. Und so kam aus London der Befehl, sich auf den Weg nach Japan zu machen. Die Fahrt ging über Kapstadt zunächst nach Java, wo die Crew eine Zeit damit verbrachte, das holländische Kolonial-Leben zu genießen. Dann kam der Befehl, nach Palembang auf Sumatra aufzubrechen.

Am 13. Februar 1942 wurden 30 Flugzeuge über dem Flugfeld von Palembang gesichtet. Es waren Hudson Bomber der australischen Luftwaffe. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel durch Fallschirmspringer, die sich schnell als japanische Kämpfer entpuppten, die auch sofort nach geglückter Landung das Feuer auf die Briten eröffneten. Sieben Crew-Mitglieder wurden verletzt, derer sich MacCarthy sofort annahm und sie ins Krankenhaus in die City bringen wollte. Doch es wurde nur eine kurze Fahrt. Drei Japaner stoppten und inspizierten das Fahrzeug. Nachdem sie die Verwundeten sahen, gaben sie den Weg frei und MacCarthy konnte sie ins Krankenhaus fahren.

Buch Aidan MacCarthy

Bob Jackson erzählt das Leben von Dr. Aidan MacCarthy in seinem Buch “A Doctor´s Sword”

Die Japaner behielten die Oberhand und die Briten zogen sich wieder auf Java zurück, wo sich allerdings die Situation auch verändert hatte. Man erwartete auch hier eine Invasion der Japaner, und alle Einheiten versuchten, auf allen möglichen „Wegen“ Indien oder Australien zu erreichen. Doch viele Schiffe wurden von den Japanern versenkt. Es war gängige Praxis, daß die japanischen Schiffe nur zwei bis drei Offiziere als Gefangene „retteten“ und die anderen ertrinken ließen.

Nur vier Tage nach dem Fall von Singapur, am 19. Februar 1942, wurde auch Darwin im Norden von Australien von den Japanern bombardiert und damit der größte Teil des Nachschubs vernichtet. Am 28. Februar begann die Invasion auf Java. Mac Carthy schreibt in seinen Memoiren: „Am 5. Tag, als die Sonne gerade am azurblauen Himmel austieg, erschienen die Japaner plötzlich auf unserer rückwärtigen Flanke. Schnell waren sie zwischen uns, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben. Es erschien uns eher wie ein Traum, denn als Realität!“

Wir machen einen Sprung in den Herbst 1944. Aidan MacCarthy und seine Männer waren Kriegsgefangene in einem Lager in der Nähe von Nagasaki, wo sie in den Mitsubishi-Werken arbeiten mussten. MacCarthy bezeichnete das Leben und Arbeiten in diesem Camp als Sklavenarbeit, bei geringem und schlechtem Essen und täglichen Schlägen der Aufseher. Hinzu kam die zunehmende Kälte des Winters und es gab kaum Schutz dagegen. Es kam das dritte Weihnachten in Gefangenschaft und die Lagerleitung erlaubte ihnen an einem katholischen Gottesdienst teilzunehmen, denn Nagasaki war die einzige Region, die eine große katholische Gemeinde hatte und somit auch eine Kirche.

Im Sommer 1945 wurden die Kriegsgefangenen von Dolmetschern und der Lagerleitung informiert, dass eine Exekution aller Gefangenen für den 22. August 1945 vorgesehen sei. Und so begannen die Gefangenen, ein Massengrab auszuheben.

In Europa war der Krieg beendet. Beim Treffen in Potsdam unterichteteUS-Präsident Truman seine Alliierten Churchill und Stalin über den gelungenen Atombomben-Versuch in New Mexico am 16. Juli und bot an, um den Krieg auch mit Japan ein Ende zu machen, die Atombombe dort einzusetzen. Churchill und Stalin stimmten zu. Moralische Bedenken waren im Laufe des blutigen Krieges geschwunden. Obwohl 63 Wissenschaftler, darunter auch Oppenheimer und Einstein, die an der Entwicklung der Atombombe gearbeitet haben, Truman bekniet haben, diese Waffe nicht auf Städte in Japan einzusetzen. Am 26. Juli wurde den Japanern ein Ultimatum gesetzt, mit der Androhung der „prompten und völligen Zerstörung“. Truman warnte die Japaner in einer Rundfunksendung, die auch von den Japanern abgehört werden konnte: „…expect a rain of ruin from the air, the like of which has never been seen on this earth“! Japans Premierminister Suzuki sprach sich dafür aus, diese Warnung zu ignorieren.

Am 6. August machte Präsident Truman seine Drohung wahr. Die erste Atombombe „Little Boy“ detonierte über Hiroshima und tötete augenblicklich etwa . 80.000 Menschen, tausende starben später an den Folgen.

Am 8. August erklärte die Sowietunion Japan den Krieg und griff Japan in den Morgenstunden des Folgetages. an. Dies haben die Japaner befürchtet. Sollten sie von den Russen überwältigt werden, blieben sie für immer und Japan würde eine russische Kolonie. Mit den USA wäre ein Abkommen sicherer und man hätte die Chance das Land wieder aufbauen zu können.

Es war auch der 9. August, um 10.45 Uhr, als Major Sweeney in seiner B-29 und der Atombombe „Fat Man“ an Bord über Nagasaki kreiste und den Befehl gab, die Bombe auszulösen. Was sich danach abspielte, ist bekannt und Geschichte.

Die Gefangenen, die sich an der Oberfläche aufgehalten haben, waren sofort zu Asche verbrannt. Die anderen standen nur sprachlos da, nicht wissend, was als Nächstes passieren würde. Aidan MacCarthy überlebte, weil er sich zu diesem Zeitpunkt in einem Luftschutzkeller aufhielt. Sein Instinkt befahl ihm unverzüglich so weit wie möglich davon zu rennen. Andere folgten. Die furchtbare Beschreibung MacCarthys über das, was sich vor seinen Augen abspielte, will ich hier nicht wiedergeben, es muss grauenhaft gewesen sein. Er erkannte auch sofort, was nun seine Aufgabe sei: den Verletzten zu helfen. Und das tat er ohne Unterschied, egal, ob es die eigenen Leute oder der Feind war.

Am 15. August 1945 versammelten sich alle im Camp und erwarteten Punkt 12 Uhr die Ansprache des Kaisers Hirohito im Radio, in der er den Krieg für beendet erklärte, ohne jedoch das Wort: Kapitulation zu erwähnen. Kaum verhallte die Rede des Kaisers im Camp, als alle Wachleute und der Kommandant Leutnant Isao Kusuno das Weite suchten, denn sie befürchteten nun einen Aufstand der Alliierten Kriegsgefangenen. Doch schon innerhalb einer Stunde wurde Kusuno wieder aufgegriffen und ins Camp gebracht, wo die aufgebrachten „Gefangenen“ ihn aufhängen wollten. Aidan MacCarthy aber verhinderte das, indem er ihn in eine Zelle einschloss. Er rettete damit sein Leben. Kommandant Kusuno überreichte aus großer Dankbarkeit sein Zeremonialschwert an Dr. Aidan MacCarthy. Die daraus folgende Freundschaft der beiden hielt bis an ihr Lebensende.

Um den 18. November 1945 herum erreichte Aidan MacCarthy mit der „Queen Mary“ den Hafen von Southampton. Sechs Tage später landete er in Dún Laoghaire/Dublin, wo er von seiner Familie, die aus Castletown angereist war, empfangen wurde. Seine Mutter war zu schwach, um ihn in Dublin zu umarmen. Sie starb nur einen Monat, nachdem Aidan wieder in Castletownbere war.

Aidan MacCarthy heiratete im Jahr 1948 Kathleen Wall. Sie stammte aus Galway und ist im Jahr 2013 im Alter von 97 Jahren verstorben. Aidan und Kathleen bekamen zwei Töchter, Adrienne und Nicola. 1971 wurde der Doktor aus Castletown im Alter von 58 Jahren mit den höchsten Ehren, die ein nicht-kämpfender Offizier erreichen konnte – Generalmajor der Luftwaffe – in den Ruhestand entlassen. Am 2. Oktober 1995 hielt er noch einen Vortrag bei der Historical Society in Castletownbere, am nächsten Morgen reiste er nach London und verstarb dort nur wenige Tage später, am 11. Oktober 1995. Er wurde auf dem Friedhof in Castletownbere beerdigt – overlooking the harbour.

Nachtrag: Im Juli 2017 wurde auf der Militärbasis in Honington, in der Nähe von Bury St. Edmunds, Suffolk, eine neue zehn Millionen Pfund teure medizinische Einrichtung nach Dr. MacCarthy benannt. Im Beisein von 20 Familienmitgliedern der MacCarthys enthüllte Prinz Harry eine Gedenktafel und würdigte die Verdienste dieses irischen Doktors; und im Dezember überbrachte Obersteutnand der Luftwaffe Kurt (?) von Bussmann, Chefarzt der RAF Honington, das Zeremonialschwert mit den Worten: “Diese Auszeichnung gehört wieder in die Hände der Familie MacCarthy nach Castletownbere, wo Aidan MacCarthy aufgewachsen ist!“

Aidan MacCarthy hat die Geschichte seines Lebens in seinen Memoiren mit dem Titel “A Doctor´s War” zu Papier gebracht. Der Autor Bob Jackson erzählt das Leben von Dr. Aidan MacCarthy in seinem Buch “A Doctor´s Sword”. Jackson produzierte zudem im Jahr 2014 den gleichnamigen Dokumentarfilm, der von Irlands nationalem Fernseh-Sender RTÉ ausgestrahlt wurde. Hier der Trailer:

 

 

PS: Peters Geschichten von der Beara Peninsula erscheinen regelmäßig hier auf Irlandnews.

Fotos: MacCarthy-Familie, das Titelfotos ist ein Ausschnitt der Titelseite von Bob Jacksons Buch “A Doctor´s Sword”