Wir haben es gewusst. Vor ein paar Tagen fiel mir beim Entrümpeln eine Broschüre aus den 70-Jahren in die Hände. Geschrieben hatte sie der Theologe Jörg Zink mit dem Titel „Die Welt hat noch eine Zukunft“. Ich erinnerte mich schlagartig, wie dieses dünne Bändchen mich vor fast 50 Jahren völlig schockierte und aus der Fassung brachte. In seinem Text „Die letzten sieben Tage der Schöpfung“ malte Jörg Zink eine fürchterliche Prophezeiung: Die Zerstörung allen Lebens auf der Erde durch die Menschheit. In jenem Konfirmanden- Jahr nach dem ersten Bericht des Club of Rome und der ersten Ölkrise konnten wir schon recht gut erahnen, was wir anrichten würden. . . . Zinks Apokalypse ging so:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Aber nach vielen Jahrmillionen war der Mensch endlich klug genug. Er sprach: Wer redet hier von Gott? Ich nehme meine Zukunft selbst in die Hand. Er nahm sie, und es begannen die letzten sieben Tage der Erde.Am zweiten Tage
starben die Fische in den Industriegewässern, die Vögel am Pulver aus der chemischen Fabrik, das den Raupen bestimmt war, die Feldhasen an den Bleiwolken von der Straße, die Schoßhunde an der schönen roten Farbe der Wurst, die Heringe am Öl auf dem Meer und an dem Müll auf dem Grunde des Ozeans. Denn der Müll war aktiv.. . . . .
Am siebten Tage
war Ruhe. Endlich. Die Erde war wüst und leer, und es war finster über den Rissen und Spalten, die in der trockenen Erdrinde aufgesprungen waren. Und der Geist des Menschen irrlichterte als Totengespenst über dem Chaos. Tief unten in der Hölle aber erzählte man sich die spannende Geschichte von dem Menschen, der seine Zukunft in die Hand nahm, und das Gelächter dröhnte hinauf bis zu den Chören der Engel.
Jörg Zink schrieb diesen prophetischen Abgesang auf das Leben auf der Erde bereits im Jahr 1970. Er publizierte ihn übrigens, weil er Hoffnung hatte und aufrütteln wollte. ( Den ganzen Text kann man hier online nachlesen). Die zügel- und maßlosen neoliberalen Wachstumsjahrzehnte lagen damals noch vor uns – und doch wussten wir schon Bescheid. Ob der politisch engagierte evangelische Theologe, Autor und Friedensaktivist (1922 – 2016) heute noch Hoffnung hätte, oder zumindest Zweck-Optimismus?
* * *
Die Erde ist längst eine andere. An unserem Verhalten geändert aber hat sich nicht viel. Seit den 70er Jahren hat die Zerstörung des Biosphäre Erde massiv zugenommen, die Lebensbedingungen sind dramatisch schlechter geworden. Viele Tier- und Pflanzenarten sind bereits ausgerottet, nur die Zahl der Menschen nimmt noch immer zu. Die menschengemachte tote Materie („Zivilisation“) wiegt nun erstmals schwerer als die Biomasse der Erde**. Die Klimakrise verschärft die Lebensbedingungen für Tiere, Pflanzen und Menschen vielerorts auf der Erde.
In der vergangenen Woche warnte eine Gruppe von 17 international renommierten Wissenschaftlern*, dass uns auf der Erde eine grässliche und grausame Zukunft bevor steht. Mal wieder, denke ich. Die Experten warnen. Wenn wir nicht endlich konsequent handeln und das Leben und Wirtschaften auf unserem Planeten global, systematisch und konsequent ändern, droht uns das, was man früher die Apokalypse genannt hat.
Die Zerstörung der natürlichen Welt und die Klimakrise stellen die Menschheit vor riesige Probleme. Wie aber soll eine Lösung aussehen? Wir haben als Menschheit die Dringlichkeit der Lage noch immer nicht begriffen und machen trotz aller Zielformulierungen und trotz aller Konferenz-Ergebnisse und Regierungs-Beschlüsse einfach weiter so. Die Zerstörung geht unverdrossen weiter. Es wird viel geredet und die Ziele werden verfehlt. Es werden neue Ziele formuliert, und die Zeit für die Umsetzung wird zunehmend knapp.
Gut, die Pandemie bremst uns gerade ein wenig aus. Aber der Wachstumswahn ist nicht gebrochen. Als agierten sie in Paralleluniversen beschwören Regierende weltweit das künftige Wachstum nach der Pandemie, anstatt endlich die Systemfrage zu stellen und den Umbau unserer Wirtschaftssysteme anzugehen: Der globale Kapitalismus muss nicht nur gezähmt werden, er muss künftig an der kurzen Leine geführt werden. Müsste . . .
Die 17 besorgten Wissenschaftler hatten die Schlagzeilen für einen halben, mancherorts für einen ganzen Tag. Dann waren wieder allerorts Trump und Corona angesagt – vergleichsweise kleine Probleme.
Der Guardian* schreibt über den neuerlichen Weckruf der Wissenschaftler, die für ihr Statement 150 relevante Studien ausgewertet haben (Auszüge):
Der Planet steht vor einer „grässlichen Zukunft mit Massenaussterben, abnehmender Gesundheit und klimatischen Umwälzungen“, die das Überleben der Menschheit aufgrund von Ignoranz und Untätigkeit bedrohen, so eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern, die davor warnen, dass die Menschen die Dringlichkeit der Biodiversitäts- und Klimakrise noch immer nicht begriffen haben.
Die 17 Experten, darunter Prof. Paul Ehrlich von der Stanford University, Autor des Buches „The Population Bomb“, und Wissenschaftler aus Mexiko, Australien und den USA, sagen, dass der Planet in einem viel schlimmeren Zustand ist, als die meisten Menschen – sogar Wissenschaftler – verstanden haben.
„Das Ausmaß der Bedrohungen für die Biosphäre und all ihre Lebensformen – einschließlich der Menschheit – ist in der Tat so groß, dass es selbst für gut informierte Experten schwer zu begreifen ist“, schreiben sie in einem Bericht in Frontiers in Conservation Science, der sich auf mehr als 150 Studien bezieht, die die größten ökologischen Herausforderungen der Welt beschreiben.
Die Verzögerung zwischen der Zerstörung der natürlichen Welt und den Auswirkungen dieser Handlungen bedeutet, dass die Menschen nicht erkennen, wie groß das Problem ist, argumentiert das Papier. „[Der] Mainstream hat Schwierigkeiten, das Ausmaß dieses Verlustes zu begreifen, trotz der stetigen Erosion der Struktur der menschlichen Zivilisation.“
Der Bericht warnt, dass klimabedingte Massenmigrationen, weitere Pandemien und Konflikte um Ressourcen unausweichlich sein werden, wenn nicht dringend etwas unternommen wird.
„Unser Bericht ist kein Aufruf zur Kapitulation – wir wollen den Verantwortlichen eine realistische ‚kalte Dusche‘ über den Zustand des Planeten geben, die für die Planung zur Vermeidung einer grauenvollen Zukunft unerlässlich ist“, heißt es weiter.
Der Umgang mit dem enormen Problem erfordert weitreichende Veränderungen des globalen Kapitalismus, der Bildung und der Gleichberechtigung, heißt es in dem Papier. Dazu gehöre die Abschaffung der Idee des immerwährenden Wirtschaftswachstums, die korrekte Bepreisung von externen Umwelteffekten, die Beendigung der Nutzung fossiler Brennstoffe, die Eindämmung der Lobbyarbeit von Unternehmen und die Stärkung von Frauen, so die Forscher.
Der Bericht kommt Monate, nachdem die Welt das UN-Biodiversitätsziel von Aichi verfehlt hat, das geschaffen wurde, um die Zerstörung der natürlichen Welt einzudämmen. Es ist das zweite Mal in Folge, dass Regierungen ihre Zehn-Jahres-Ziele für die biologische Vielfalt nicht erreicht haben. Diese Woche verpflichtete sich eine Koalition von mehr als 50 Ländern, fast ein Drittel des Planeten bis 2030 zu schützen.
. . .
Studien-Co-Autor Paul Ehrlich sagte dem Guardian: „Der Wachstumswahn ist die tödliche Zivilisationskrankheit – sie muss durch Kampagnen ersetzt werden, die Gerechtigkeit und Wohlbefinden zu den Zielen der Gesellschaft machen – und nicht den Konsum von noch mehr Junk.“
Große Bevölkerungen und ihr anhaltendes Wachstum treiben die Bodendegradation und den Verlust der Artenvielfalt voran, warnt das neue Papier. „Mehr Menschen bedeutet, dass mehr synthetische Verbindungen und gefährliche Wegwerfkunststoffe hergestellt werden, von denen viele zur wachsenden Vergiftung der Erde beitragen. Es erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von Pandemien, die eine immer verzweifeltere Jagd nach knappen Ressourcen anheizen.“
Die Auswirkungen des Klimanotstandes sind offensichtlicher als der Verlust der Artenvielfalt, aber dennoch versagt die Gesellschaft bei der Reduzierung der Emissionen, argumentiert das Papier. Wenn die Menschen das Ausmaß der Krise verstehen würden, könnten Änderungen in der Politik dem Ernst der Bedrohung entsprechen.
„Unser Hauptargument ist, dass, sobald man das Ausmaß und die Unmittelbarkeit des Problems erkannt hat, klar wird, dass wir viel mehr brauchen als individuelle Aktionen wie weniger Plastik zu benutzen, weniger Fleisch zu essen oder weniger zu fliegen. Unser Punkt ist, dass wir große systematische Veränderungen brauchen, und zwar schnell“, sagte Professor Daniel Blumstein von der University of California Los Angeles, der die Studie mitverfasst hat, dem Guardian.
Ich bin ein großer Fan von individuell verantwortungsvollem Handeln. Es ist richtig, das zu tun, was man selber als richtig erkannt hat, es ist notwendig, die Ambivalenz von Werten und Verhalten zu überwinden. Erkenntnis- und Werte-geleitetes Handeln gibt unseren politischen Forderungen noch mehr Legitimität. Dennoch weisen die 17 Wissenschaftler auf das Kernproblem unseres anhaltenden Scheitern hin: Wir kommen mit individuellen Aktionen wie weniger Plastik zu benutzen, weniger Fleisch zu essen oder weniger zu fliegen, nicht weiter. Wir benötigen große systematische Veränderungen, und das schnell und global. Die systematische Zerstörung durch das destruktive Wirtschaften muss beendet, die weniger als 200 globalen Großverschmutzer müssen zur Verantwortung gezogen werden. Die Regierungen müssen zum Handeln gezwungen werden – und das sogenannte „grüne Wachstum“ muss als Lebenslüge unserer Generation entlarvt werden.
Sonst wird der rebellische Pfarrer mit dem prophetischen Blick Recht behalten: „Am siebten Tage war Ruhe. Endlich. Die Erde war wüst und leer, und es war finster . . . “
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* Der Aufruf der 17 Wissenschaftler kann mit Verweis auf alle zitierten Studien hier nachgelesen werden.
Hier geht es zum zitierten Beitrag im Guardian (Übersetzung der Auszüge mit Hilfe von deepl.com)
** Die menschengemachte tote Materie auf der Erde ist im Jahr 2020 erstmals größer gewesen als die Biomasse. Das Gewicht von Zement, Asphalt, Plastik, Stahl und Mauersteinen wiegt erstmals schwerer als die Masse der lebenden Materie auf dem Planeten. Wie viele Elefanten mag unser Haus aufwiegen?
Fotos: Broschüre des Kreuz-Verlags (6. Auflage). Vom Verlag Kreuz gibt es Bücher von Jörg Zink direkt hier.
Nur Fragen, keine Antworten…
merkt Dieter an. Stimmt, ja. Ich verstehe nicht genug von Ökonomie, um Antworten zu geben. Unsre Aufgabe aber ist es nicht, die Ökonomen zu ersetzen, sondern Ihnen die künftigen Ziele vorzugeben – damit die Wirtschaft den Menschen wieder dient.
Der Mensch richtet sein Handeln nach rein egoistischen Zielen aus. Das liegt in der Natur einer jeden Spezies und ist ein Erfolgsmodell der Evolution. Dass der Mensch sich über die Welt derart verbreiten konnte, liegt an seiner enormen Anpassungsfähigkeit und der Bereitschaft zur Kooperation. Ein gemeinsames übergeordnetes Ziel zu verfolgen gelingt allerdings nur solange dieses als sinnvoll für das eigene Überleben erachtet wird.
Da liegt aber das Problem. Je komplexer die Zusammenarbeit werden muss um ein Ziel zu erreichen, desto schwieriger wird es ein gemeinsames Verständnis für die Zielsetzung und Zusammenarbeit zu finden. Alle Zivilisationen vor uns hatten dieses Problem und es auch als solches erkannt.
Ich bin der Überzeugung dies war der Ursprung aller Religionen. Wenn uns Komplexität überfordert hilft nur der Glaube. Hoffnung und Verdammnis sind stärker als jede Vernunft. (und das im Zeitalter der Aufklärung…)
Vielleicht gibt es irgendwann eine Öko-Religion mit allem wenn und aber….
Der Mensch hat auch ein altruistisches Potential. Selbst wenn Du recht hättest, gibt es gesellschaftliche Formationen, in denen der Egoismus als opportunistischer Altruismus gefördert wird. Ein entfesseltes globales Wirtschaftssystem, elitär und anarchisch zugleich, wie wir es nun seit den 80er Jahren gewohnt sind, fördert freilich nur den nackten primitiven Egoismus. Wir benötigen endlich wieder Regeln, vor allem für die Multis und die übermächtigen Digitalkonzerne, und einen politischen Freiheitsbegriff, der auf den Grundlagen der Vernunft die Verantwortung einfordert.
Individuelle Vernunft it weit verbreitet, wie aber lässt sie sich kollektiv supranational organisieren? Diese Aufgabe müssen wir lösen. Die Zivilisationen, die Du beschreibst, sind bekanntlich alle untergegangen. Erstmals, seitdem der Mensch existiert, ist die Zivilisation nun nicht bur lokalen oder regionalen Bedrohungen ausgesetzt.
Was meinst Du mit Öko-Religion? Was ich sehen kann: Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, das Zusammenleben und Wirtschaften drastisch zu reformieren, landen wir eher früher als später in einer digitalen Öko-Diktatur.
Danke für den denkwürdigen Beitrag, der die verhängnisvolle Lage unserer sog. Zivilisation auf den Punkt bringt. Und doch – das Problem ist nicht der Kapitalismus an sich – als Gesellschaftsform nichts anderes als ein Werkzeug, das wie jedes andere Werkzeug auch weder Ziele noch Grenzen kennt, und nur seiner eigenen Dynamik folgt. Das Werkzeug, die Wirtschaft, das Wachstum, all das ist ja kein Selbstzweck, wie libertäre Sektierer weismachen wollen – es sind nur Instrumente, die im Dienst der Menschheit stehen sollten. Es liegt an uns, diese Instrumente verantwortungsvoll einzusetzen, Rahmenbedingungen zu setzen und so zu steuern, daß unsere fundamentalen Ziele effizient und sicher erreicht werden – bestmögliche Lebensqualität für alle, dauerhafte Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und Erhalt der natürlichen Vielfalt. Mit „weiter so“, mit laissez faire werden wir hingegen hocheffizient auf den siebten Tag hinsteuern…
Die Wirtschaft ist eben nicht nur Instrument und Werkzeug, sie prägt und formt unser Zusammenleben tiefer als die Politik und das Private. Sie ist heute der Motor der Ungleichheit und der unanständigen und nicht legitimierten Macht der Wenigen über die Vielen.
Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen. Warum ist es aber längst umgekehrt, dass wir Monsterkonzernen, die sich aus jeglicher Verantwortung für das Gemeinwohl befreit haben, zu reinen Konsumenten herab gewürdigt werden?
Bis heute wenig diskutiert wird auch, warum wir als sogenannte lupenreine Demokraten jeden Morgen, wenn wir zur Arbeit gehen, den Demokraten in uns an der Stempeluhr abgeben und unverzagt in hierarchischen autoritären Strukturen arbeiten. Oder neuerdings als digitale Arbeitssklaven im Homeoffice werkeln, die permanent von Algorithmen beherrscht und kontrolliert werden.
Hast Du eine Vorstellung davon, Gerd, wie wir die Wirtschaft wieder in den Dienst der Menschen stellen können?
Hier sind wir und da sind die…..
„Wirtschaft“ ist doch nicht vom Himmel gefallen. Sie besteht ausschließlich aus Menschen denen sie dient. Vielleicht nicht in dem Sinne wie es allen gefällt, aber es ist mir zu einfach und auch gefährlich, so zu tun als wäre es etwas fremdbestimmtes. WIR sind Wirtschaft, WIR wollen das so. Ein „entfesselter“ Kapitalismus oder der Glaube an das ewige Wachstum wird aktuell zurecht von vielen kritisiert. Ich wage aber zu bezweifeln, dass notwendige Regeln und damit verbundene Einschränkungen mehrheitsfähig sind. Es lebe die „Freiheit“. Leider wird dieser Begriff in letzter Zeit allzu sehr missbraucht.
Dieses WIR finde ich ziemlich blauäugig. Die Wirtschaft wird von wenigen Mächtigen dominiert, die Konzentration wirtschaftlicher Macht nimmt gerade unter dem Einfluss der Pandemie noch mehr zu. Wirtschaft dient manchen mehr und vielen wenig. Das Problem liegt gerade darin, dass sich die Wirtschaft als System von uns los gelöst hat und selbstweckhaft geworden ist. Und nein: WIR wollen das so nicht.
Richtig ist: Die Wirtschaft wird von uns Menschen gemacht. Wir allerdings haben die „Liberalisierung“ der Weltwirtschaft seit den 80er-Jahren nicht zu verantworten. Das haben mächtige Interessen (Menschen) hinter den Regierungen Reagan und Thatcher und deren Nachfolgern durchgedrückt. Die Politiker-Generationen Clinton, Bush, Bush, Blair und Hartz-Schröder haben die Freiheit der Konzerne perfektioniert. Die Politik hat ihr Primat verloren. Die Folgen sind fatal.
Schau Dir beispielsweise die Liberalisierung des Luftverkehrs seit den späten 80er-Jahren an (Open Skies), zu welchen Exzessen das geführt hat (für 9 Euro von Deutschland nach Irland etc). Oder die Oligopole der Pharmaindustrie: Da werden schwindelerregende Preise für Medikamente gemacht, die über Leben und Tod bestimmen. Geld wird zum Überlebensfaktor. Doch nur der Profit zählt, die Pharmaindustrie ist dem Wohl der Menschen nicht mehr verpflichtet. Und selbst die Regierungen großer Länder wie Frankreich können die Macht der Pharmariesen nicht brechen und nicht die Preise durchsetzen, die sich die Vielen leisten können.
Ich gebe Dir recht: WIR müssen das ändern. Auch dafür diskutieren wir hier.
Da fällt mir spontan Hannes Wader ein. Emma Klein…
„Doch das schärfste ist, dass Emma Klein,
vor Kummer sterbenskrank
und bettelarm, sich doch noch immer
zu den Unternehmern zählt.
am Wahltag die Partei
der eigenen Enteigner wählt.“
Und dann sehe ich wie unsere Bauern demonstrieren gegen verschärfte Umweltauflagen…
Ihre eigene „Schuld“ sehen die wenigsten.
Ein Wirtschaftssystem *besteht* nicht aus Menschen – es ist vielmehr ein vom Menschen ersonnenes Artefakt, in dem Menschen die *Akteure* sind. Dazu folgendes Analogon: Stell‘ Dir vor, die Menschheit wäre nur eine kleine Familie, frei von technischen Errungenschaften. Eines Tages ersinnt und erschafft diese Familie ein neues Instrument – etwas ganz Besonderes: ein Auto! Damit hat unsere Familie viel mehr Möglichkeiten, könnte die Welt erkunden, könnte den Unbillen des Wetters trotzen, könnte viel leichter Nahrung beschaffen, und viele Ziele mehr erreichen… Oder aber auch das Auto an sich ganz toll finden: damit protzen, immer schneller damit fahren, weil der Sound bei hohem Tempo doch so berauschend ist… Gewiß, Nutzeffekte würde es dann auch noch geben können, nur: ohne Rahmenbedingungen – so z.B. ohne begrenzende Straße, quer durch das Ackerland, ohne Rücksicht auf Fußgänger – wird die Freude nicht von Dauer sein – vielleicht wird sich die Familie am Ende gar selbst ausgelöscht haben… Und die Moral: Ohne verantwortungsvolle Nutzung, ohne Regeln und Rahmenbedingungen kann selbst das tollste Instrument zur fatalen Heimsuchung werden – nachzulesen war das ja bereits in Goethes Zauberlehrling…
Einem wichtigen Aspekt zu Deiner Fragestellung können wir uns m.E. über den Kardinalfehler des Neoliberalismus nähern: man möge der Marktwirtschaft einfach freien Lauf lassen, dann würde diese sich von ganz alleine effizient zu unser aller Bestem entwickeln. Wer sich näher mit der Theorie selbstorganisierender Systeme beschäftigt, erkennt schnell, daß sich ein solches System zwar tatsächlich effizient entwickelt, jedoch die Chance, daß diese Entwicklung, solange keine geeigneten Rahmenbedingungen gesetzt werden, auch zu unser aller Bestem ist, nahezu gleich Null ist. Sicherlich, daraus folgt noch keine Antwort auf die Frage, *wie* wir die Wirtschaft wieder in den Dienst der Menschen stellen können. Doch wenn wir überhaupt erst einmal erkannt haben, daß uns die Marktwirtschaft aus gesamtgesellschaftlicher Sicht überhaupt nicht dienen *kann*, solange wir dieser keine Ziele vorgeben, dann sind wir schonmal einen entscheidenden Schritt weiter.
Der konsequenterweise nächste Schritt wäre dann, einen weitgehenden Konsens über die gesamtgesellschaftlichen Ziele zu finden. Diese Ziele müssen natürlich von außerhalb des Wirtschaftssystems kommen, um dieses nicht zum Selbstzweck abgleiten zu lassen (d.h. z.B. die Steigerung des Bruttoinlandproduktes kann keinesfalls ein Ziel sein, die Minimierung des Naturflächenverbrauches hingegen durchaus). Damit ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel erforderlich: Abkehr von der auf wirtschaftliche Kennzahlen fokussierten Sichtweise und Hinwendung zu Zielen, die letztendlich an unserer Lebensqualität orientiert sind.
Noch bleibt mir ein Fünkchen Hoffnung, daß uns dies gelingen könnte… doch wie bringen wir die Mission voran… diese Anwort muß ich leider schuldig bleiben…
Die Analyse teile ich. War nix mit dem Trickledown-Effekt. Die soziale Marktwirtschaft war ein guter Ansatz unter komplett anderen Bedingungen und Zielvorstellungen. Wie müsste eine ökologische und soziale Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert aussehen? Sie muss sich in der individuellen Freiheit und in deren Grenzen definieren. Antworten geben auf Fragen wie: Darf ich wirklich mehr Resourcen verbrauchen als mein Nachbar, und falls ja, warum und unter welchen Bedingungen? Funktioniert Gesundheits-, Bildungs- und Wohlstandssicherung in einer Ökonomie ohne materielles Wachstum? Wie lange wollen und müssen wir künftig arbeiten?
Nur Fragen, keine Antworten…
Zumindest keine einfachen, denen ist auch nicht zutrauen. Ich habe auch keine Antwort, sehe aber die fast unlösbaren Zielkonflikte.
Biden hat die Suche nach Erdöl in Alaska gestoppt- juhu
Die Arbeiter der Ölfirmen in Alaska haben wahrscheinlich mehrheitlich Trump gewählt und das zurecht (aus deren Sicht).
Stellt Euch vor wir würden es für vernünftig halten, den Individualverkehr aus bekannten ökologischen Gründen drastisch zu beschränken.
Wer stellt sich dann in Wolfsburg auf den Marktplatz und tut kund, dass der größte Teil der Beschäftigten seinen Job verlieren wird, in Armut fällt weil er sein jetzt wertloses Haus nicht mehr abzahlen kann und damit hoch verschuldet bleibt.
Das sind Erfahrungen, die Menschen in vielen Teilen Amerikas gemacht haben. Unabhängig und schon vor der Immobilienspekulation.
Strukturwandel hat es bei uns auch mehrfach gegeben (Kohle, Stahl…).
Das was jetzt nötig wäre ist allerdings viel gewaltiger.
Danke Markus für Deinen wichtigen und interessanten Artikel.
Ja, es ist bereits zigfach festgestellt worden, daß wir auf dem direkten Weg in die Katastrophe sind. Wie heißt es im Volksmund so treffend … „vornehm geht die Welt zugrunde“. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich in Kindertagen Bilderbücher geschenkt bekam, worin es um die Zerstörung der Natur durch den Menschen ging und als ich in den 70ern in der Schule Filme über Umweltverschmutzung zu sehen bekam, mich hat das immer sehr erschüttert und mich geprägt und achtsam gemacht. Doch leider bleibt bei vielen Menschen trotz der ausdrücklichen Warnungen nichts im Bewußtsein hängen, die Frage ist warum! Ist es Bequemlichkeit, ist es Ignoranz, ist es Dummheit, Realitätsverweigerung oder eine Mischung aus all dem? Selbst wenn man Menschen persönlich anspricht, Lösungsvorschläge unterbreitet, auf diverse Mißstände deutlichst aufmerksam macht, was ich schon oft getan habe – weil mir das Herz blutet, wenn ich all die Zerstörung sehe – Forstbehörden, Färster, Bürgermeister, den Landrat, Politiker, Nachbarn, Familienmitglieder … das Thema ist ihnen lästig, sie erkennen partout nicht die Notwendigkeit, weil’s ihnen noch nicht persönlich unter dem Hintern brennt, noch nicht weh tut. Man wird abgewiegelt, ist ihnen lästig, gilt als Störer ihres Friedens. Ich mache dennoch weiter, trotzdem ich es langsam leid bin, der Erde zuliebe.
Vielleicht ist es sinnvoller, sich denen zuzuwenden, die Sinn für echten Umweltschutz haben, um dort die eigene Lebensenergie zu investieren und um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Du hast über „We are the ark“ berichtet, das hat mich sehr begeistert, ein kleiner Lichtblick in dieser verkorksten Zeit. Ich überlege seitdem, wie ich diese Idee hier an den Mann / die Frau bringen kann. Zudem bin ich kürzlich in der Nähe meines Wohnortes fündig geworden, habe jemanden entdeckt, der professionell ein tolles Permakulturprojekt begonnen hat und weiter ausbauen will, ich werde dort mitarbeiten. Das ist ein Anfang aber dennoch eine Nummer zu klein, bei dieser riesigen Aufgabe.
Machen wir uns nichts vor, es ist bereits nach 12 Uhr und das ist keine Schwarzmalerei. Der radioaktive Müll, generell die Müllkippen, die kaputten Böden, das verschmutzte Trinkwasser, der giftige Klärschlamm auf den Feldern, die mit Plastik. Munition, radioaktiven Abfällen und Chemiekalien verseuchten Meere, die ausgebeuteten Wälder usw. werden uns gewaltig um die Ohren fliegen, es ist nur eine Frage der Zeit. Selbst im Schnee der Alpen sind bereits Plastik-Nanopartikel nachgewiesen, die man nicht mal so beseitigen kann. Die immer heißer werdenden Sommer sind auch dahingehend gefährlich, weil den Atomraktoren das Kühlwasser ausgeht. Unsere Generation wird evtl. noch einigermaßen mit einem blauen Auge davonkommen, die Kinder unserer Generation jedoch nicht. Und sollte es hier mitten in Europa zu einem Vulkanausbruch oder Erdbeben kommen (z. B. im Gebiet des Laacher Sees / Vulkaneifel), werden wir sowieso den absoluten Supergau mit den Atomkraftwerken und allem vergrabenen Zeugs in irgendwelchen Stollen erleben.
Es müßte ein Wunder passieren, um all die Umwelt- / Zivilisationsprobleme wirklich zu lösen. Wenige wissen was getan werden muß, doch durch die Uneinsichtigkeit dieser Menschheit – Gier, Hass und Verblendung – wird es verunmöglicht.
Wer dazu Bilder braucht, dem empfehle ich die britische Mini-Serie „Years and Years“, die jetzt auch im Free TV sehbar ist (lief letzte Woche auf One, ist jetzt in der ZDF-Mediathek aufzurufen). Sie spielt zwischen 2019 und 2034 und denkt in sechs Folgen nur das weiter, was wir auch jetzt schon erleben – allerdings ohne eine Pandemie, die war in 2019 so nicht zu ahnen. Natürlich habe ich keine Glaskugel, wie es wirklich wird, aber das Drehbuch wirkt ziemlich logisch. Es ist kein Spaß, sich das anzuschauen, aber hoffentlich einer der vielen Tritte, die nötig sind.
Vielen Dank für den Tipp, Nicola. Die werde ich ansehen.