Stille Orte

 

Wir alle kennen dieses Paradox: Wir haben ein wunderschönes einsames Plätzchen entdeckt, das wir eigentlich nur alleine genießen oder mit der Liebsten besuchen wollen. Andererseits wollen wir diesen Ort gerne auch all unseren Freunden zeigen, die Freude mit diesen teilen und uns vielleicht ein wenig im Lichte unserer Entdeckungskunst sonnen. Im schlimmsten Fall verwechseln wir Social-Media-Freunde mit wirklichen Freunden und geben den Platz unangemessen zeigfreudig öffentlich im Internet preis.

Irlandnews-Leserin Claudia Weikam-Graßhoff schrieb Ende Oktober diesen Kommentar zu unserer Serie “Die stillen Orte Irlands”:

“Ich finde es außerordentlich bedauernswert, dass hier auch die letzten noch ruhigen, oder stillen Orte der Öffentlichkeit preis gegeben werden.
Wer solch einen Ort noch erleben durfte, würde ihn auch gerne in der Zukunft noch so ruhig wissen. Menschen, die solche Plätze nicht selbst entdecken, müssen doch nicht unnötig darauf aufmerksam gemacht werden. Schade. Und dann auch noch der hype, da es ja ein Filmort war. Hier wird eine weitere Welle an Touristen, die nur an Selfies an eben solchen Orten interessiert sind, losgetreten. Davon gibt es schon genug. Lasst stille Orte still bleiben.”

Hat Claudia recht? Ich habe mir dieselbe Frage gestellt, bevor wir mit der Serie begannen, und ich verstehe, was sie sagt. Es gibt so viele zivilisierte, laute, verbaute, heimgesuchte, überbesuchte und zerstörte Plätze auf dieser Welt, die stillen werden täglich weniger. Sollen wir stille Orte also still sein lassen?

Wir lassen die stillen Orte still sein, ohne der elitären Vorstellung zu verfallen, dass nur wir das Recht hätten, sie zu besuchen. Die Serie ist eine Werbung für den Stillen Ort und lädt die Menschen ein, in die Stille zu gehen. Sie ist eine Werbung für die Stille selbst und will LeserInnen dazu ermuntern, sich selber an einem harmonischen Platz mit der Natur oder der Kulturlandschaft in der Ruhe zu verbinden. Wir stellen keine spektakulären oder sensationellen Orte vor. Mit diesen Orten kann man nicht prahlen. Sie eignen sich nicht für Spektakel. Aber man kann sie und dabei sich selbst erfahren. Wenn dies mehr und mehr Menschen tun, nähren wir die Hoffnung auf Umkehr. Die schönen Orte, die wir lieben, werden wir nicht zerstören. Wir wollen sie schützen und geschützt wissen.

Mein Bild von den Irlandnews-LeserInnen gibt mir zusätzliche Gewissheit: Sie werden die Orte mit Behutsamkeit und Respekt behandeln. Es gibt nichts zu befürchten. Und schließlich: Es gibt tatsächlich fragile Orte, die auf Diskretion und Verschwiegenheit angewiesen sind, damit sie nicht zerstört werden. Diese Orte werden wir niemals auf Irlandnews vorstellen.

Im Übrigen verstehe ich Claudias Anliegen und teile es, wie ich es vor einigen Monaten hier beschrieben habe: Heute die letzten Geheimnisse

Anderer Meinung?

PS: Ein Scherzbold hat den Serientitel kürzlich in “Die stillen Örtchen Irlands” umgetauft. Auch eine Idee. Immerhin hat hier auf der Insel fast jedes Dorf noch ein öffentliches stilles Örtchen – wobei das irische Wort Leithris (gesprochen: Led-her-isch ) ganz gut assoziiert: Wer eine Toilette sucht, findet oft eine Latrine.


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