Off the Beaten Track: Der Wild Atlantic Way hat auch seine Vorzüge. Das Marketingkonzept, das Irland den Weg in den Massentourismus bescherte, vermittelt Urlaubern mit magischer Hand, was sie zu tun haben. Jeder fährt dieselbe Route, jeder macht das Gleiche – und alle sind zufrieden: Die Gästezähler in Dublin, die neuen Pauschalurlauber und die Tourismusbetriebe entlang der irischen Atlantikküste. Der Vorteil: Die Urlauberströme konzentrieren sich zwar entlang der WAW-Rostgalgen, die jeweils einen Zwischenstopp mit Foto-Option ansagen – viele Orte abseits der Route werden dagegen vom Tourismus nicht oder nicht mehr berührt. Das mag die Menschen schmerzen, die sich im Abseits wähnen – der Natur und den nicht-menschlichen Lebewesen tut es gut.
Was mir das Recht gibt, gegen ein Tourismusprojekt zu sein, das 650 Menschen pro Stunde per Seilbahn auf die abgelegene Insel Dursey an der Spitze der Beara-Halbinsel befördern kann: Das wurde ich kürzlich mehrfach gefragt? Ob nicht jeder Mensch genau dasselbe Recht hätte wie ich, Dursey Island zu besuchen und die Schönheit der Insel zu genießen? Das ist natürlich so. Ich beanspruche keine Sonderrechte, es soll keinen privilegierten oder elitären Zugang für die Wenigen geben, der die Vielen ausschließt. Wenn für den Zugang nach Dursey eine ökologisch verträgliche Obergrenze für jährliche Besucher festgelegt wird, dann hat jeder Mensch erst einmal die gleiche Zugangschance.
Ökologen und Überlebensstrategen fordern, das wir Menschen unserem unersättlichen Expansionsdrang endlich selber Grenzen auferlegen und maximal die Hälfte der Landfläche dieses Planeten für uns beanspruchen. Die andere Hälfte soll für alle anderen, die nicht-menschlichen Lebewesen da sein, von uns bewahrt und verschont werden. Auch wenn die Umsetzung dieser Idee schwierig ist, sie besticht, weil sie einfach zu verstehen ist: Hunderttausende Arten auf unserer Erde bekommen die Hälfte, wir Menschen, die derzeit dominante Spezies, die andere Hälfte. Diese Rechnung ist im übrigen durchaus menschenfreundlich, denn wenn wir uns nicht selber beschränken und mit dem Ausrotten und Zerstören munter weiter machen, werden nicht nur die anderen Lebewesen auf der Strecke bleiben. Ich würde also darauf verzichten, Dursey Island wieder zu besuchen.
In Ruhe lassen: Aus diesem Verständnis ergibt sich, dass wir viele Landstriche und Landschaften in Ruhe lassen müssen. Dass dies vorzugsweise die Orte sind, an denen heute noch weitgehende Ruhe herrscht und die ökologisch noch einigermaßen intakt sind, liegt auf der Hand. Niemand wollte die Hälfte Manhattans zur Schutzzone für Nicht-Menschen erklären. Klar ist auch, dass Orte wie das landwirtschaftlich genutzte Dursey Island längst keine urtümlichen Naturlandschaften mehr sind, sondern von Menschenhand geschaffene Kulturlandschaften. Die Herausforderung liegt nun darin, ob wir als Gesellschaft die Kraft finden, uns selber zu beschränken und alle partikulare Profitinteressen hintenan zu stellen.
Hier in Irland gibt es noch viele Landschaften, die nicht unter dem Druck menschlicher Aktivität stehen. Ich habe selber bis vor drei Jahren Menschen in kleinen Gruppen auf möglichst behutsame Art an solche Orte geführt – und trotz „Minimal Impact “ und „Leave no Trace“ den Druck dort selber erhöht. Menschen kehren an Orte zurück, die Ihnen gefallen haben. Sie erzählen es weiter, bringen andere Menschen mit, werben für Landschaften, die gar nicht beworben werden wollen. Der Tourismus neigt systemisch dazu, seine eigenen Grundlagen zu ruinieren. Er präsentiert das Besondere, das Einzigartige, das Sehenswerte so lange und so oft, bis es im besten Fall gewöhnlich geworden, im schlechtesten Fall zerstört ist.
Eine der faszinierendsten Küstenlandschaften Irlands wurde vor Corona nur von den Wellen, dem Atlantikwind und ein paar Kühen besucht. In den zwei Jahren, in denen wir Inselmenschen fast nur im eigenen Land reisen durften, hat sich das grundlegend geändert. Die einzigartige Felsenküste avanvcierte in den sozialen Medien, vor allem auf Instagram, zum Renner. Seitdem stürmen täglich Besucherscharen das Naturwunder. Die verzweifelten Eigentümer werden das Gelände in diesem Sommer absperren müssen, weil sie für das durchaus gefährliche Terrain keinen Versicherungsschutz bekommen.
Auf Komoot und ähnlichen Navigations-Plattformen werden nun global die hintersten Winkel, Pfade, Täler oder Uferabschnitte im Internet öffentlich und leicht zugänglich gemacht. Das Smartphone weiß, wo es lang geht. Zeitschriften und Onlinemedien posaunen ihre „Geheimtipps“ heraus und machen aus stillen Orten Rummelplätze. Die Entzauberung der Welt ist längst in den Mikrokosmos der letzten Refugien vorgedrungen.
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Fotos: © 2022 Chris Bäuchle (oben); Markus Bäuchle
Lieber Markus, seit Du am 11. Mai von der „klügsten Spezies auf dem Planeten“ geschrieben hast, geht mir diese Formulierung nicht mehr aus dem Kopf. Du hast sie nicht erfunden, und sie stimmt in einiger Hinsicht ja auch. Aber diese kluge Spezies hat meiner Meinung nach ein ganz großes geistiges Manko: sie kann nicht nachhaltig für sich selbst und andere sorgen, sondern hat immer wieder etwas (Selbst-)Zerstörerisches.
Das fängt im Individuellen an. Wir wissen, wie man gesund lebt, aber wir setzen dieses Wissen oft nicht um. Wir bleiben in krankmachenden Lebenssituationen, obwohl wir wirklich Alternativen hätten. Wir treffen Entscheidungen, obwohl die persönlichen schädlichen Auswirkungen klar sind. Wir fühlen uns oft machtloser, als wir es wirklich sind, und treiben dahin. So leicht betrachten wir uns als die Ausnahme vom Zerstörerischen, obwohl wir daran beteiligt sind.
Auch auf der großen Ebene hat die Situation der vernunftbegabten Spezies nichts mit Vernunft zu tun. In den meisten Gesellschaften wird das Potenzial der Hälfte der Bevölkerung unter fadenscheinigen Vorwänden erstickt, anstatt es zu nutzen. Immer wieder werden wertvolle Ressourcen für flüchtige Modeerscheinungen vernichtet. Überall gibt es immer wieder Kriege, Völkermorde, Vertreibungen, obwohl klar ist, wie sehr auch die „Sieger“ unter den Folgen leiden, und dass friedliches Leben schlichtweg auch sehr viel billiger ist. Oder mächtige spirituelle Konstrukte, die die Menschen lähmen und spalten anstatt sie zur vollen gemeinsamen Entfaltung bringen.
Ich denke mittlerweile tatsächlich, dass der Spezies an entscheidenden Punkten ein geistiges Verbindungsstück zwischen logischem Denken und sinnvollem Verhalten fehlt. Da und dort ist es vorhanden und hat zu einer exorbitanten Entwicklung geführt, die viel Gutes gebracht hat. Auch in kleinen privaten und lokalen Zusammenhängen gelingt immer wieder nachhaltiges und ganzheitliches Leben. Aber aufs Ganze gesehen scheitert die geistige Leistung, mit Gewonnenem umfassend sinnvoll und ohne schädliche Folgen umzugehen, seit Jahrtausenden krachend.
Der Evolutionsstrang „Mensch“ erlebt eine tiefe Zäsur: er muss sein selbstherrliches Selbstbild revidieren. Er kann vieles, aber fürs Überleben kann er entscheidendes nicht. Letzten Endes hat er in seiner Gesamtheit bei aller Intelligenz ein sehr sehr enges Blickfeld.
Ich kann im Moment nicht erkennen, wie sich die für ein Herumreißen des Ruders weltweit erforderliche kritische Masse bilden kann. Die Voraussetzungen an Ideen, Informationen und Technologie sind vorhanden bzw. können entwickelt werden, aber es reicht gerade nicht. Es tut mir weh, dass so viele andere Spezies unter unserem Versagen leiden, die für all die Verschlechterungen nun wirklich nichts können. Ich halte mich an Fritz Bauers Wort „Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Wenigstens in der direkten Umgebung.
Lieber Markus,
was Du beschreibst, habe ich in Venedig erlebt. Wie kann man da nur regelmäßig hinfahren, wird so manche(r) denken und sich an die Stirn tippen, in solch ein Touristenkaff….
Venedig hatte immer viel Touristen, aber vor 30 Jahren war es auch noch sehr, sehr italienisch. Es sprühte vor Lebensfreude und Temperament, es war wie eine warme Umarmung.
Wir wohnten immer bei unseren Freunden Gudrun und Sergio, einem deutsch-venezianischem Ehepaar, im Wohnviertel Rialto und erlebten Venedig dadurch von einer ganz anderen Seite. Abseits der Trampelpfade, authenthisch, stolz und auch ein bisschen verschroben, La Bella Serenissima.
Mit den Jahren kamen die Kreuzfahrtschiffe und verdunkelten nicht nur die Sitzplätze an der Riva degli Schiavoni, wenn diese stinkenden Giganten sich langsam vorbeischoben und die Espressotassen auf den Tischen zum Vibrieren brachten.. Sie spuckten Horden von Tages-Touristen aus. Auch Investoren mit ihren dicken Geldbeuteln witterten ihr Geschäft.
Der alte Palazetto direkt am Canale Grande, in dem Gudrun und Sergio ihr Leben lang gewohnt und ihre Kinder groß gezogen hatten, wurde an einen Österreicher verkauft, der Eigentumswohnungen zu Wucherpreisen daraus machte.
Venedig hat es nie geschafft, dem Ausverkauf dieser Stadt einen Riegel vorzuschieben, die Leidtragenden sind die Venezianer selbst. Die meisten von ihnen mussten in noch bezahlbare Erdgeschoss-Wohnungen am Rande der Lagunenstadt ziehen oder gleich aufs Festland.
Die Stadt wurde förmlich von Touristen und Investoren überrollt und zum grotesken Disneyland, italienisch sind oft nur noch die Namen. Unser damaliges Lieblings-Restaurant und unsere Lieblings-Cafès gehören jetzt jedenfalls einem Chinesen, einem Österreicher und einem Amerikaner.
Ich drücke Irland die Daumen, dass ihm nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt.
Die Wahrheit will niemand hören. Aber Tourismus zerstört fast immer, mal mehr, mal weniger. Touristen sind natürlich immer nur die Anderen.
Hier in West-Cork verhalten sich die ‚Locals‘, ‚Blow-ins usw. an den Wochenenden und im Juli und August oft antizyklisch: Man versucht mit Off Peak und ‚geheimen‘ Orten den Horden aus dem Weg zu gehen. Das braucht man einfach.
Gleichzeitig will man natürlich dann an den Hot Sport mit den Touris auch gut Geld verdienen. Ich habe das in vielen Tourismusregionen der Welt so erlebt: Rückzug ins Private oder an abgelegene Ort und gezielte Vermarktung und Monetarisierung an anderen Orten.
Ich liebe Inchydoney und verbringe dort viel Zeit, aber ich weiss auch, wann ich da hingehen kann und wann nicht. Die anderen ‚geheimen‘ Orte behalte ich für mich, spreche auch nicht darüber und poste vor allem online nicht. Die Zeiten sind vorbei!
Im Kleinen wie im Großen, Stephan. Die größten Zerstörer sind die mit den meisten Gelegenheiten dazu: die mit den dicken Geldtaschen, die Super-Reichen. Viele von Ihnen zerstören mit Ihrem Business Tag für Tag die Erde im großen Stil ein Stück mehr, kaufen sich dann aber riesige Überlebens-Refugien für Luxus-Prepper in Neuseeland oder auf einer Privatinsel, um dort den Kollaps zu überleben.