Ausweg Irland

 

In diesem Jahr, dem zweiten Corona-Jahr, habe ich besonders viele Zuschriften von Menschen bekommen, die Deutschland (und Österreich) gerne verlassen wollen, weil sie das gesellschaftliche und politische Klima nicht mehr ertragen, weil sie Freiheit schwinden und den Zwang auf dem Vormarsch sehen. Sie nehmen Kontakt mit mir auf, weil ich doch auch Deutschland verlassen habe und nun weit weg am westlichen Rand Europas, in Irland, lebe. Im gelobten Land etwa? Ich hörte von Menschen, die in Glaubenskriegen über das Virus Familie und Freunde verloren haben, die auf gepackten Koffern sitzen, von 60-jährigen Paaren, die in einem anderen Land noch einmal von vorne anfangen wollen, von Eltern, die mit ihren Kindern seit Monaten mit dem Wohnmobil durch Europa streifen und nach einer neuen Heimat suchen. Bethlehem 2021. Die neuen Migranten kommen aus Deutschland. Das sind nicht mehr die Goodbye-Deutschland-Hedonisten. Das sind verzweifelte Menschen. Über sie liest man nichts in den deutschen Medien.

Ich bin mit Familie vor 21 Jahren von München an den Atlantik gezogen. Ich bin nicht ausgewandert,  habe Deutschland nicht hinter mir gelassen, besuche das Land weiterhin gerne (wenn ich darf), und bin mir nicht sicher, ob ich heute, in einer völlig anderen Welt, dieselbe Entscheidung, die vor 21 Jahren goldrichtig war und auch heute für uns stimmig ist, ob ich sie heute  wieder so treffen würde. Mehr denn je denke ich, wir müssen uns an dem Ort, an dem wir leben und arbeiten, engagieren, und ihn zu dem Ort machen, an dem wir das gerne tun. Ich tauge deshalb nicht sonderlich zum Auswanderungs-Berater – und dennoch habe ich zugehört und mich gefragt: Was ist da los in meiner alten Heimat?

Beim regelmäßigen Versuch, mich in den früher sehr geschätzten Leitmedien, von SZ, taz, FAZ und FR, über Tagesthemen und Heute Journal, bis zu Focus und Spiegel über die Verhältnisse in Deutschland auf dem Laufenden zu halten, wurde mir in den vergangenen Monaten überall dasselbe Bild vermittelt: Die Regierung (alt wie neu) kämpft gegen einen mächtigen Feind namens Corona für die Volksgesundheit und weiß die übergroße Mehrheit der Bürger hinter sich. Die Regierung wird beraten und geleitet von der einen und einzigen Wissenschaft. Auch die Menschen wissen, stündlich und minütlich versorgt mit immer denselben Informationen, Kennzahlen und Ausrufezeichen, warum sie seit zwei Jahren im permanenten Ausnahmezustand gehalten werden.  Nur eine kleine Gruppe von rechten bis rechtsextremistischen Spinnern, Spaltern und Wirrköpfen (inkl. Querdenkern, Aluhüten, Schwurblern, Antroposophen, Heilpraktikern und Esoterikern) widersetzt sich demnach dem großen Konsens, macht Randale auf den Straßen, gefährdet die Volksgesundheit und mischt die Gesellschaft auf. Gewaltbereit seien sie zudem.

 

 

Selber kenne ich nur einen einzigen gewaltbereiten Menschen, der auch noch den Corona-Maßnahmen oder den Impfungen kritisch gegenüber steht. Ich kenne allerdings zahlreiche friedlich-kritische, geimpfte und ungeimpfte Menschen. Diese Leute kommen in den Nachrichten nicht vor. Es sind überwiegend gut gebildete, überdurchschnittlich gut informierte und kluge Leute, die es sich mit ihrer Haltung nicht leicht machen und die nach meiner Auffassung ein verantwortungsvolles, solidarisches und rücksichtsvolles Leben führen. Vieler dieser Menschen trauen sich allerdings im aufgeheizten Klima dieser Monate nicht mehr, ihre Meinung öffentlich zu sagen, oder sie sind zumindest sehr vorsichtig damit.

Die große Mehrheit dagegen scheint sich total einig: Diese kleine renitente, egoistische und unsolidarische Minderheit ist schuld, dass die Pandemie nicht unter Kontrolle gebracht wird und muss diszipliniert werden. Zur Not mit härtesten Mitteln. Schon wird die Abstimmung über eine allgemeine Impfpflicht vorbereitet, die vor Wochen noch alle öffentlichen Lautsprecher unisono abgelehnt hatten. Ein verzweifelter Freund sagt mir, er hätte sich nie vorstellen können, dass ein FDP-Politiker namens Kubicki zum Hoffnungsträger für ihn werden würde. Jetzt ist es so weit. Das Projekt Our World in Data hält die traurige Wahrheit parat, dass Deutschland im Dezember 2021 das weltweit strengste Corona-Regime mit den gravierendsten Freiheits-Einschränkungen weltweit erdulden muss – vor China und Österreich. Die Zeiten sind schlecht.

 

Diversität und Meinungsvielfalt sind verschwunden

In meinem Leben habe ich keine vergleichbare Situation erlebt: Diversität und Meinungsvielfalt sind in der Corona-“Debatte” vollkommen verschwunden. Medien und Regierende sind sich weitgehend einig. Ein die alleinige Wahrheit beanspruchendes Mehrheits-Narrativ walzt alle abweichenden Meinungen platt. Dieser Mehrheitsglaube hat längst religiöse Züge angenommen, er entzieht sich der Argumentation und der Diskussion. Wer ihn nicht akzeptiert, ist ein Abtrünniger und wird entsprechend behandelt: Es wird gecancelt und gerufmordet. Jetzt gerade die Kabarettistin Lisa Fitz, weil sie die Zahl der Impftoten nicht korrekt angegeben hat. Fitz ist Querulantin, sie darf das nicht, wird abgestraft – während Mainstream-Politikfürsten wie Bayerns Markus Söder (CSU) und Hamburgs Peter Tschentscher (SPD) ungeahndet falsche Zahlen verbreiten, um Ungeimpfte schlecht aussehen zu lassen. Neben der politischen Lüge und dem Aufbau von Sündenböcken stößt mich eine dritte Machtstrategie massiv ab: Die Politik und die Medien arbeiten gezielt mit Angst und Einschüchterung. Angst sells, und mit Angst lässt sich gut regieren.

Im chaotischen Internet wachsen sich derweil Legionen von Verschwörungstheorien zu monströser Größe aus und machen die Lage gänzlich unübersichtlich. Algorithmen belohnen Hassrede, Aggression und Verleumdung. Der Hass, die Intoleranz und der ideologische Krieg in den sozialen Medien hat längst die reale Welt infiziert, hat sich in die Gespräche der Menschen gefressen und ruiniert die Kommunikation in Familien, in Freundeskreisen und bei der Arbeit. Einst intakte Beziehungen funktionieren nur noch, wenn das Thema C tabuisiert und gemieden wird.

 

 

Es gibt einige mutige Psychologen, die sich immer noch mit einer eigenen Haltung in die Öffentlichkeit trauen. Manche reden von einer Pandemie der Angst, andere von einer Massen-Psychose. Der belgische Professor für klinische Psychologie,  Matthias Desmet, sieht die Gesellschaft in einer Massen-Hypnose gefangen und unter dem Joch eines neuen Totalitarismus. Das große Narrativ eint die Mehrheit, schafft eine Glaubensgemeinschaft und definiert den einigenden Feind, so Desmet. Ob das Narrativ richtig oder falsch ist, spielt jetzt keine Rolle mehr. Denn es stiftet Sinn und bindet die diffuse Angst, die bereits vor Corona das Leben vieler Menschen bestimmt hatte. Man muss Desmets Auffassungen nicht zustimmen. Es ist aber enorm wichtig, dass wir sie hören können und dass wir darüber nachdenken und diskutieren können, um uns der Wirklichkeit anzunähern.

Ich habe vor unserem Umzug nach Irland im Süddeutschen Verlag gearbeitet. Bei allen Enttäuschungen und Ärgernissen dieser Jahre war ich damals ein wenig stolz, dass auch die Süddeutsche Zeitung in diesem Verlag erschien und dass ein aufrechter und redlicher Top-Journalist wie Heribert Prantl für dasselbe Haus schrieb. Heute mahnt Prantl als einsamer Rufer in der deutschen Medienwüste  zu einem kritischen Blick auf die Arbeit unserer Kollegen. „Die Pressefreiheit heißt Pressefreiheit, weil die Presse die Freiheit verteidigen soll“, sagte Prantl im September in Berlin. „Eine Demokratie kann an Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten sterben, so notwendig sie kurzfristig sein mögen“, warnte er. Es sei Aufgabe der Presse, „unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe anzuprangern und nicht als Beitrag zur Volksgesundheit schönzureden“. „Die Presse ist nicht dafür da, den Menschen den Mund zuzubinden. Sie ist dafür da, die Menschen ins Gespräch zu bringen“, sagte der Jurist Prantl, der mehr als drei Jahrzehnte lang der Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ angehörte.

 

Es geht längst nicht mehr nur um Corona

Als Journalist sage ich dies nur ungern: Die Presse kommt ihren Aufgaben nicht nach. Sie versagt systemisch und systematisch. Sie verteidigt nicht länger die Freiheit und sie unterbindet die Vielfalt. Sie spielt mit und führt sogar, wenn die Vielfalt zerstört und Minderheiten stigmatisiert werden. Dass Menschen in einem solchen Klima, das gefährlich und bedrohlich ist, nicht mehr leben wollen, dass sie einfach nur weg wollen, kann ich verstehen.

Und ich fürchte, es geht längst nicht mehr nur um Corona. Es geht ums Ganze: Um unser Bild vom Menschen. Wer wollen wir in Zukunft sein? Transzendente Wesen oder eindimensionale Halbkreaturen, die den digitalen Koitus mit der intelligenten Maschine vollziehen? Folgen wir den Humanisten oder den Transhumanisten? Finden wir unseren Platz auf diesem Planeten, oder flüchten einige Größenwahnsinnige nach der Zerstörung der Erde ins Orbit?  Wird es uns gelingen, uns mit einem neuen Wertekanon zu begrenzen? Werden wir die frei vagabundierenden Digital-Eliten und die entkoppelte Wirtschaft wieder integrieren können, Wall Street und das Silicon Valley in den Dienst der Mehrheit stellen? Oder werden wir nach deren Regeln spielen müssen und als williges, kontrolliertes Konsumentenvieh in die Zukunft geschleift?

Viele Menschen spüren diese Endspiel-Stimmung. Sie ist mit den Begriffen Pandemie oder Klimakrise nur unzureichend beschrieben. Nutzen wir doch die anstehenden Feiertage, diese Tage des Friedens und der Liebe, um Frieden zu leben, um Liebe zu fühlen und zu geben und um darüber nachzudenken, wie wir Menschen aus dieser hoffnungsarmen Lage wieder heraus kommen können. Damit beginnen können wir im eigenen Familien- und Freundeskreis, und der erste Schritt in eine bessere Zukunft könnte ein versöhnlicher Brief oder ein Anruf sein . . .

 

 

PS: Irland, so scheint mir, kann die neue Heimat für die oben beschriebenen Migranten aus Deutschland (und Österreich) kaum sein: Hier hat sich ein sehr gehorsames Volk bereits zweieinhalb mal komplett durchimpfen lassen. Die Impfquote rangiert in Europa auf dem Siegerpodest. 3G kennt man hier gar nicht, von Freiheitsrechten wurde allenfalls am Rande geredet. Die Angst regiert gut und die vermeintliche Sicherheit kommt weit vor der Freiheit. Der Impfpass ist hier seit langem die Regel und man stieg direkt mit 2G in den Impfpass ein. Wir erlebten die europaweit härtesten Lockdowns, wurden monatelang in 2km- und 5km-Zonen eingesperrt. Alleine die traditionelle Durchsetzungsschwäche irischer Politik kann als ein gewisser Vorteil gelten: Beschlossen wird viel, kontrolliert eher wenig. Ob das Hoffnung genug spendet?

Denkwürdige und friedliche Feiertage!

 

Meine wichtigsten Axiome für den Umgang mit Corona:

  • Corona ist eine gefährliche Krankheit vor allem für alte und vulnerable Menschen. Sie müssen so gut wie möglich (und besser als bislang) geschützt werden.
  • Der Einsatz von neuartigen gentherapeutischen Impfstoffen (mRNA) ist wichtig, aber nicht die Lösung für die Beendigung der Pandemie.
  • Risikoaufklärung, konsequente Hygiene, wirksame Prophylaxe und vor allem eine frühzeitige Behandlung der Infektion sind die Mittel dafür.
  • Ein durch Kommerzialisierung beschädigtes Gesundheitssystem ist einem der reichsten Länder der Erde unwürdig. Genügend qualifizierte Krankenhausbetten und gut bezahlte motivierte Pflegekräfte sollen an oberster Stelle stehen. Die Verantwortung für Bettenabbau und Geringschätzung von Pflegerinnen und Pflegern soll vor einen Untersuchungsausschuss kommen.
  • Aufklärung und Information soll an die Stelle der angst-induzierenden Propaganda (z.B. durch nichtssagende Inzidenzen) treten. Angst essen Seele auf, und die Immunabwehr dazu.
  • Eine allgemeine Impfpflicht widerspricht dem Kerngedanken freiheitlicher demokratischer Gesellschaften. Sie darf nicht kommen.
  • Echte konventionelle Totimpfstoffe sollen so schnell wie möglich zugelassen werden. Sie können viele Impf-Skeptiker überzeugen.
  • Die Diskreditierung und Ausgrenzung von Ungeimpften muss aufhören. Impfen ist Selbstschutz und kein Akt der Solidarität. (Omikron mag alle Parteien wieder gleicher machen.)
  • Das generelle Impfen von Kindern ist nicht gerechtfertigt, weil Kinder fast überhaupt nicht gefährdet sind.
  • Die schweren medizinischen, psychologischen und seelischen Beeinträchtigungen der Menschen durch die “Maßnahmen”, bis hin zu einem deutlich gesunkenen IQ der in der Pandemie geborenen Kinder, müssen stärker berücksichtigt werden, Corona deshalb endlich maßstäblicher gesehen werden.

 

Foto Credits
Titelfoto (Blick von Aghadoe auf Lough Leane) und ganz unten: Markus Bäuchle © 2021;  
2. Foto von oben by Hannah Busing on Unsplash ; 2. Foto von unten by Kelly Sikkema on Unsplash