Heute ist Bank Holiday in Irland, der freie Montag des verlängerten Oktober-Wochenendes. Die Kinder und Studenten auf der Insel genießen eine Woche Schulferien – es ist Mid Term. Irland schläft aus, die Straßen liegen heute morgen einsam und verlassen. Ich bin zurück aus Irlands Norden – und die Fahrt von Nord nach Süd entlang der Westküste der Grünen Insel beanspruchte trotz flotter Fahrt fast einen Tag. Die 450 Kilometer lange Tour durch Städte und Dörfer fühlte sich an wie die Strecke München-Hamburg – nur schöner, gefälliger, vom Herbsthimmel besser beleuchtet.
I admit, I was in Carrickfergus. Nach 30 Jahren Träumen folgte der Wanderer am Freitag dem Ruf des alten Lieblingsliedes „Carrickfergus“ („I wish I was in Carrickfergus“). Er reiste in die Stadt im Norden der Bucht von Belfast, nur um festzustellen, dass das gerne gesungene Volkslied die Hymne der Yacht- und Ferienhausbesitzer im Norden der Grünen Insel sein muss: I wish I was in Carrickfergus – das weinen die Geschäftsleute von Belfast und Londonderry in sich hinein, wenn sie am Montagmorgen in Richtung Büro fahren und dem Wochenende in Carrickfergus nachtrauern.
Es stimmt. Carrick, wie die Leute ihre Stadt selber nennen, ist ein durch und durch langweiliges nordirisches Städtchen, mit etwa 30.000 Einwohnern, einer ansehnlichen mittelalterlichen Burg, einem eher trostlosen Stadtkern – und einem stattlichen Yachthafen. Eine Marina nennt man das auf der Insel – Seit an Seit ankern vielleicht 150 schwimmende Freizeitvehikel an den Liegeplätzen in der Bucht – nach Süden der Blick übers Wasser auf Belfast, im Rücken die mächtige Ferienhaussiedlung von Carrick. Die Waterfront scheint der ganze Stolz des Städtchens, nachts zieht sie – raffiniert beleuchtet – die Blicke von weit her an und stellt die mittelalterliche Burg daneben in den Schatten: Carick, das Blaue Wunder der Bucht von Belfast. Die Sehnsucht, die das alte Volkslied Carrickfergus so schön beschreibt – sie wird von diesem Anblick aufs Angenehmste aufgelöst. I would not swim over the deepest ocean, oh no. Dafür jetzt nicht.
Wahrscheinlich ging es um das Mädchen in Carrickfergus. Das Lied bleibt auch nach dem Besuch schön anzuhören, am schönsten ist ohnehin die Sehnsucht, die sich nicht bezieht. Ich sehe, Petra, Du hast Deine Marketinglektion verstanden.
Hätte ich dir gleich sagen können ;-).
Carrickfergus ist so ziemlich einer der ödesten Orte auf der Insel (ein Mitbewerber ist Elphin in Roscommon, gibt's nur kein Lied zu, gottlob). Aber die Städte up North sind generell ziemlich steril.
Selbst die Burg haben die vermanscht mit all dem historisch völlig zusammenhanglosen Kitsch (die verkleideten Schaufensterpuppen überall, da ist ja St. John's Castle in Limerick stimmungsvoller). Irgendwie Overkill. Puritanismus (Carrickfergus ist durch und durch protestantisch) hat nur selten was fürs Auge übrig, und im Norden tun sie sich ja ohnehin schwer mit sog. wertfreier Historiendarstellung.
Es gibt aber dort oben andere hübsche Städtchen und Dörfer, falls du mal wieder nach Norden fährst: Rostrevor, Portaferry, Greyabbey, Cushendun, Ballintoy und natürlich Derry. Vor allem Derry (das war mein Lied, aber ohne Enttäuschung).
Also ich verstehe schon, dass man einem Lied oder einem Gedicht folgt, das Bilder und Emotionen hervorruft. Aber ich meine ja, dass Carrickfergus nur ein Synomym für die Heimat war. Hätte genausogut auch Elphin (s. o.) sein können.
Ich frage mich, ob du das Lied jetzt ganz anders hörst? Eigentlich ist es ja eine schöne Melodie, die man auch gut mit einem völlig anderen Text unterlegen könnte. Es ist ja die Musik und die Sehnsucht in den Worten, die schön sind, nicht der Ort als solcher.
Wahrscheinlich passte Carrickfergus gut in den Melodierhythmus rein: Vier Silben, die melodiös klingen und mit Betonung auf der ersten und dritten Silbe… Hmm, Ballycotton, nee zu hart. Clonakilty, schon besser, aber zuviele Ls. Cliffs of Moher, nee kein Ort, Connemara würde passen, aber auch kein Ort, Courtmacsherry, nicht fließend genug.
Du siehst, es geht nicht um den Ort, sondern nur um gute Alliteration, gemischt mit viel Sehnsucht, Einsamkeit und weg von der heimatlichen Scholle, eingängige Melodie und gute Vermarktung – und schon erweckt man in den Menschen Sehnsüchte.
Freiburg-Breisgau fällt mir da ein. Oder Berlin-Kreuzberg…