Hier im Irland-Blog kann jeder seine Meinung frei äußern und unsere Einträge kommentieren. Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Freiheit dort endet, wo sie die Freiheit anderer beeinträchtigt. Es ist in diesem Blog möglich, anonym zu kommentieren. Wir ermöglichen dies für all diejenigen, die es bislang zu kompliziert finden, sich eine Online-Identität zuzulegen. Wir bitten im Kommentarfeld darum, dass die “Anonymen” ihre Kommentare mit dem eigenen Namen unterzeichnen. Denn zur Freiheit der Meinung gehört untrennbar die Pflicht, dieser Meinung einen erkennbaren Absender zuzuordnen.
Die Wirklichkeit ist eine andere: Viele Nutzer lieben die dunklen Nischen der Internet-Existenz. Im Schutz der Anonymität bewegen sie sich sicher, selbstbewusst, oft großmäulig … meist aber so, wie sie Face-to-Face oder auf offener Straße niemals auftreten würden. Sie sondern wortstark “Meinung” ab, ohne sich dazu zu bekennen und ohne dafür Verantwortung zu übernehmen. Im wirklichen Leben nennt man das Feigheit.
Die Anonymen im Internet spielen gerne mit Identitäten, schlüpfen in phantasierte Rollen, verbergen sich hinter scheinidentitäts-stiftenden Kunstfiguren (Avataren) und nehmen Namen aus einstigen Lieblings-TV-Serien an. Kennt Ihr zum Beispiel Cosmo Kramer? Hinter der virtuellen Seinfeld-Figur, die im Irlandforum stets überlegen besserwisserisch “Rat-Schläge” austeilt, steckt ein Mensch, den man im wirklichen Leben in seinem kleinen deutsch-irischen Alltag im County Galway wohl nicht wiedererkennen würde. Immerhin hat sich “Cosmo” schon auf eine virtuelle Figur festgelegt, anstatt gänzlich anyonym zu agieren.
Die Parallelwelt des Internet wird gerne als Abbild der realen Welt bezeichnet. Tatsächlich aber unterschiedet sie sich in vielem und verändert die “reale Welt” nach ihren eigenen Regeln. Die Gier des ins Internet drängenden Kommerzkapitals hat beispielsweise den Schutz geistigen Eigentums fast komplett ausgehöhlt. Um möglichst viele Nutzer auf Webangebote zu ziehen, wurden ihnen die Inhalte 15 Jahre lang bereitwillig kostenlos zum Konsum vorgeworfen und damit grandios entwertet (Die Krise der Zeitungen spricht eine deutliche Sprache). Die gefräßigen Digitalscanner von Google beschädigen das Urheberrecht massiv und bedrohen die Existenz von Buchautoren und Verlagen weltweit. Millionen Menschen laden sich kostenlos und doch illegal Musik und Filme auf ihre Rechner und eignen sich damit auf Kosten der Kreativen an, was ihnen nicht zusteht.
Genauso hat das wilde Streben nach Online-Nutzern und Reichweite für weitgehende Akzeptanz der Anonymität in Online-Diskussionen gesorgt. Zumindest nehmen es selbst Qualitätsangbote von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen hin, dass Nutzer anonym und ohne Preisgabe des Namens in ihren Foren mitdiskutieren. Vor zehn Jahren, und zum Teil noch heute, verweigerten dieselben Verlage anonymen Leserbriefschreibern zu Recht den Weg in ihre Blätter.
Die Unkultur der Forums-Disussionen anonymer virtueller Existenzen folgt eigenen Gesetzen: Wie leicht es ist, selbst halbgare Gedanken abzusondern, wenn man nicht fürchten muss, beim Wort genommen zu werden; wie traumhaft einfach, einen anderen zu verunglimpfen, ein bisschen rufzumorden, hinterrücks zu mobben oder ihm mal eben ungestraft ans virtuelle Bein zu pinkeln – wenn man keine Konsequenzen fürchten muss. Nutzer, die sich offen zu erkennen geben, sind systematisch im Nachteil. Sie sind in der asymmetrischen Kommunikation mit den getarnten Anonymen leicht angreifbar und verletzbar.
Oft allerdings feuert die vermeintliche Freiheit zur Meinung ohne Pflicht zur Verantwortung voll auf die Online-Foren und ihre Mitglieder zurück. Die Debatten verkommen schnell zu zynischen Schaugefechten, aus denen sich wohlmeinende und offen diskursfreudige Mitglieder längst zurückgezogen haben. Das Feld gehört dann den Anonymen, die sich auf ihre virtuelle Lufthohheit im Forum etwas einbilden, in Wirklichkeit aber heimlichen Puffgängern oder lichtscheuen Darkroom-Kunden gleichen, bestenfalls Pubertierenden, die im Schutz der Nacht Wahlplakate mit Parolen beschmieren.
Diese “Feigheit 2.0” beschädigt unser Zusammenleben. Sie untergräbt den offenen Diskurs. Sie zerstört Vertrauen. Diese Feigheit zu bekämpfen, die Anonymität zu bannen und Offenheit und Vertrauen an ihre Stelle zu setzen, muss deshalb allen Inhalteanbietern im Internet zur Aufgabe gemacht werden. Auch wenn wir davon noch weit entfernt sind: Es könnte durchaus sein, dass gute und funktionierenden Diskussionforen der Zukunft die Anonymität als prägendes Strukturmerkmal nicht akzeptieren werden.
Fangen wir einfach selber damit an: Jeder kann sich seine eigene Meinung leisten und mit seinem Namen dazu stehen. Es ist gut, dass wir dieses Recht in Anspruch nehmen können und wir alle müssen es verteidigen, indem wir es ausüben: Denn eine Meinung ohne den Menschen dazu, der sie verantwortlich vertritt, ist nichts wert. Nichts. Und worüber man nicht reden will, darüber kann man schweigen.
Im Irland-Blog wird künftig jeder anonyme Kommentar gelöscht, der nicht wenigstens mit vollem Namen (Vor- und Nachnamen) unterzeichnet ist, oder der nicht mithilfe einer anderen nachweisbaren Identität eingestellt wurde. Den Missbrauch können wir damit natürlich nicht ausschließen. Überall dort, wo Zweifel bestehen, dass hinter einem realen Namen keine reale Person steht, wird aber künftig ebenso die Delete-Taste zum Einsatz kommen.

PS: Ja, es gibt einige Inhalte und Plattformen, die eine anonyme Diskussion nahelegen. In diesem Fall ist die Forumsleitung gefordert, eine zuverlässige Anonymisierung zum Schutz der Mitglieder zu organisieren.
Das Foto mit den Mützenmännern zeigt Teilnehmer einer Ku Klux Klan Parade im Jahr 1922 in Virginia, USA