In Irland dauern manche Dinge etwas länger. Zwölfeinhalb Jahre nach Antragstellung und mehr als zwölf Jahre nach Beginn unserer Proteste gegen eine Mega-Lachsfarm am Shot Head in der Bantry Bay hat der High Court in Dublin die Lizenz für das zerstörerische Projekt widerrufen und aufgehoben. Die auf 42 Hektar Wasserfläche bei Trafrask, Adrigole auf der Beara Peninsula geplante Anlage, die alle zwei Jahre 3,5 Millionen Kilogramm Zuchtlachs „produzieren“ sollte und eine halbe bis eine Million Lachse in Käfigen halten sollte, wird nicht kommen. Die Gerichtsentscheidung bedeutet das fast sichere Aus für die Zuchtlachs-Farm des weltgrößten Lachskonzerns Mowi (früher Marine Harvest) in der Bantry Bay. Der Richter begründete die Aufhebung der Lizenz mit der unzureichenden Umweltverträglichkeitsprüfung und Eignungsprüfung gemäß der Habitat-Richtlinie sowie mit Verstößen gegen die Wasserrahmenrichtlinie.
Anfang Februar 2012 hatten wir erfahren, dass Marine Harvest die Lizenz für eine gigantische Lachsfarm zwischen Sheeps Head und Beara Peninsula beantragt hat. Die öffentliche Bekanntmachung war in den Kleinanzeigen auf Seite 31 der Weihnachtsausgabe der Lokalzeitung Southern Star versteckt, die Einspruchsfrist sollte am 13. Februar auslaufen. Wir organisierten in wenigen Tagen den ersten Protest, nicht ahnend, wie lange diese Reise dauern würde. Über zwölf Jahre später hat sich Manches verändert: Viele Menschen wissen heute, wie dramatisch Lachsfarmen die Natur zerstören, zu welchen Mitteln die profitgierigen Betreiber greifen müssen, um Zuchtlachs zu produzieren, unter welchen Qualen die Tiere bis zur „Tellerreife“ vegetieren müssen – und auch, wie gesundheitsschädlich der mit Pharmazeutika und Chemie verunreinigte Zuchtlachs tatsächlich ist. Viele weitere schöne Meeresbuchten weltweit sind in diesen zwölf Jahren zerstört worden, der Widerstand gegen die schmutzige Lachsindustrie ist gewachsen, die Medien berichten darüber, der weltgrößte Zuchtlachs-Produzent Marine Harvest hat seinen befleckten Namen abgelegt und heißt nun Mowi. Die faszinierende Naturlandschaft am Shot Head (Foto) ist fürs Erste gerettet und bleibt verschont – und doch steigt der Käfiglachskonsum auch in Europa noch immer.
In Zeiten beschleunigter Naturzerstörung auf der manisch wachstumsfixierten grünen Insel ist die Entscheidung des High Courts gegen die Lachsfarm in der Bantry Bay eine gute Nachricht für die Natur – und auch für den Wildlachs. Sie ist einer kleinen, hartnäckig Widerstand leistenden Gruppe von Anwohnern zu verdanken, allen voran dem Arzt und Anwohner John Brendan O’Keeffe, dem lokalen Fischer Kieran O’Shea und seiner Familie, den passionierten Wildlachs-Anglern Alec O’Donovan und John Hunt, dem verstorbenen Schriftsteller Bodo Baginski, den Umwelt-Aktivisten Caroline Lewis und Tony Lowes von Friends of The Irish Envoironment, dem excellenten Umweltanwalt Peter Sweetman und mehreren engagierten Umweltverbänden.
Im folgenden ein Auszug aus meinem Irlandnews-Beitrag aus dem Jahr 2017 über den Widerstand gegen die Mega-Lachsfarm:
„Die Bantry Bay im Südwesten Irlands, unsere Wahlheimat am Atlantik, ist eine der schönsten Buchten der Insel, eine viel besungene dazu. Und eine umstrittene. Ging es früher um Landbesitz, Clan-Einflusszonen, Sardinen, um Öl und um weissen Sand, so zankt man sich neuerdings um Lachsfarmen.
Im Herbst 2015 hat der ehrgeizige damalige Landwirtschafts- und Fischerei-Minister Simon Coveney eine Lizenz für eine Riesen-Lachsfarm in der Bantry Bay erteilt. Am Shot Head soll der Mega-Umweltverschmutzer Marine Harvest, ein norwegischer Fischereimulti mit unrühmlicher Vergangenheit, eine geplante 42 Hektar große Lachsfarm installieren dürfen. Doch noch gibt es einen kleinen Funken Hoffnung, dass das zerstörerische Projekt verhindert werden kann.
Im Februar 2017 fand in Bantry eine zweitägige Anhörung der Widerspruchsführer im Kampf gegen die geplante Lachsfarm am Shot Head statt. Ein vom genehmigenden Minister ernanntes (!) sechsköpfiges Komitee namens ALAB hörte sich die Argumente der Farm-Gegner noch einmal an. Wir waren dabei, in diesem Experten-Universum, in dem Juristerei und Prozeduren die bunte Lebenswirklichkeit in die Zweidimensionalität formaler Verfahren mit eigener Logik und eigenen Gesetzen mutieren lassen. Hier wird der gesunde Menschenverstand am Eingang abgegeben – und doch sind die allgemein verständlichen Fakten eindeutig::: Die über eine Million Lachse würden Fäkalien (“Shit”) produzieren, die einer Stadt mit 60.000 Einwohnern entspräche. Der Gedanke ist skurril: 60.000 Menschen wird erlaubt, ihre tägliche Notdurft in die Meeresbucht zu verrichten – der Output gesellte sich dann zur Notdurft aus all den Anrainergemeinden, die bis heute keine Kläranlagen haben. Die Ausscheidungen der in unten offenen Containern gefangenen Lachse würden der doppelten Menge der Fäkalien aller Anrainer der Bantry Bay entsprechen. (Hier leben weniger als 30.000 Menschen und wenigstens einige Gemeinden haben inzwischen Kläranlagen.) Die Lachsfarm selber würde die ohnehin mäßige Wasserqualität und die Umweltbedingungen in der Bucht dramatisch verschlechtern. Zudem würde ein beachtlicher Teil das Lachsfutters, gepresste Pellets überwiegend aus Fischmehl, auf den Meeresboden sinken und unter den Käfigen in eine tote Mondlandschaft entstehen lassen.
:: Der produzierte atlantische Zuchtlachs ist ein minderwertiges bis gefährliches Nahrungsmittel, das der Gesundheit der Menschen aufgrund der pharmazeutischen Behandlung der Tiere nicht förderlich ist. Der vorbei ziehende gesunde Wildlachs aber wird durch die Lachsfarmen und die in ihnen ständig wütenden Krankheiten weiter dramatisch dezimiert. Eine große Gefahr für Wildlachse stellen die in Lachsfarmen gehäuft auftretenden parasitären Seeläuse dar. Auch der Produktionsaufwand für Lachs ist angesichts der ökologischen Krise unserer Welt geradezu obszön: Für die “Herstellung” von einem Kilogramm Zuchtlachs benötigt es fünf bis sieben Kilogramm Fisch.
:: Der Wildlachs ist in Irland in den vergangenen Jahrzehnten drastisch dezimiert worden: 93 der 147 Lachsflüsse im Land sind mittlerweile für Angler gesperrt, weil die Bestände sich erholen müssen, beziehungsweise bereits erschöpft sind. Der traditionelle Lachsangel-Tourismus sagt in Irland langsam und leise bye-bye. Überall dort, wo Lachsfarmen existieren, wird der Wildlachs dezimiert und schließlich ausgerottet. Die Krankheiten der gequälten Zuchtfische springen auf die Wildlachse über und töten diese.
:: Die Einheimischen in der Bantry Bay haben von dem Deal keine erkennbaren Vorteile. Die Handvoll Arbeitsplätze, die man ihnen verspricht, gehen auf der anderen Seite bei den kleinen Fischern, die ihre Fischgründe verlieren, und im Tourismus verloren. Alles, was den Menschen in der Bucht bleibt, sind Zerstörung, Umweltschäden, Lärm, zusätzlicher Verkehr und wohlmöglich Krankheiten. Die Profite streichen sich die Aktionäre des Fischerei-Multis ein und die Lachse werden nach China geliefert. Wer also profitiert in Irland von diesem Deal?
Dennoch könnte es sein, dass die Gegner zumindest einen deutlichen Aufschub des Projekts erreichen können. Sie argumentieren weder mit Gesundheitsgefahr noch mit Umweltschäden, ihre Waffen sind Verfahrenstechnik und spitzfindige juristische Argumentation. So könnte es sein, dass ein eher unansehnliches Kraut namens Schierlings-Wasserfenchel, der die Elbvertiefung bei Hamburg gerade ein Stück weiter in die Zukunft verbannt hat, seine irische Parallele findet. Die Hoffnung der Lachsfarm-Gegner in der Bantry Bay ist die Fluss-Perlmuschel.
Diese Süsswassermuschel, die älter als der Mensch werden kann, lebt noch immer in drei Flüssen, die in die Bantry Bay münden. Sie würde mit dem Wildlachs und der Seeforelle aussterben, weil sie von diesen abhängig ist. Und weil dies sein könnte, ist die Fluss-Perlmuschel laut Umweltrecht der EU nun die neue Heldin der Lachsfarmbekämpfer – zusammen mit dem ebenfalls schützenswerten Otter und mit dem Verfahrensfehlernachweis. Jener ist zwar kein Tier und keine Pflanze, dafür aber ein treuer Helfer der mutigen Kämpfer gegen die einseitigen Regierungsinteressen und zudem ein Freund der Gerichte. So versuchen die Zuchtlachs-Gegner der Regierung nun nachzuweisen, dass sie die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit unzulässig beschnitten hat, dass sie eine unzulängliche Umweltverträglichkeitsprüfung akzeptiert hat, dass sie aus parteiischen Gründen entschieden und missliebige Informationen bewusst unterdrückt hat.
Gekämpft wird im Saal. Kultiviert und mit sanfter Stimme. Und dabei doch unerbittlich. Schließlich geht es um Multimillionen-Profite für Wenige oder um unser aller Umwelt und Gesundheit.
Die Lizenzvergabe an Marine Harvest für die Bantry Bay könnte der Auftakt sein für eine ganze Sturmflut von Genehmigungen entlang der Atlantikküste. 46 Standorte für die Fischkäfige weist der irrwitzige Masterplan der irischen Regierung zur systematischen Ausbeutung der eigenen Meere aus. Die Konsequenzen des Big Deals, in dem Großaktionäre, Fischereikonzerne, die chinesische Regierung, einige nicht ganz selbstlose irische Politiker und eine manipulierte Öffentlichkeit die Hauptrollen spielen: Mehr billiger Zuchtlachs für die Welt. Auf dem Altar des Wachstums wird die Umwelt zerstört, werden Tiere gequält, wird minderwertige und gesundheitsgefährdende Nahrung produziert, wird der Wildlachs endgültig ausgerottet.Und ich bleibe doch dabei: In zehn Jahren wird kein halbwegs gesundheitsbewusster Mensch mehr Lachs aus Lachsfarmen essen.“
Sieben Jahre später, im Sommer 2024, bin ich nicht mehr so optimistisch. Das Komitee von Ministers Gnaden lehnte die Einsprüche und Bedenken der Gegner im Sommer 2021 schließlich ab und bezeichnete die vom Meeres-Ausbeutungsminister Simon Coveney erteilte Lizenz als rechtens. Der Fall ging vor Gericht. Nun hat der High Court in Person von Justice Holland zwar anders geurteilt und die Lizenz aufgehoben. Die Zahl der gut informierten Menschen hat seitdem stark zugenommen. Der Konsum von Zuchtlachs in Europa allerdings auch – und das drastisch. Norwegen ist der weltweit mit Abstand größte Produzent der grauen Ware, die mit Farbstoff auf lachsrosa umgefärbt wird. Aus Norwegen kommen pro Jahr jetzt 1,3 Millionen Tonnen Farmlachs in die globalen Märkte. Die Delikatesse ist zur Massenware geworden, das Leid der von Parasiten und Krankheiten geplagten und auf engstem Raum gehaltenen Raubtiere grenzenlos. In Deutschland war der Lachs im Jahr 2022 nach dem Alaska-Seelachs der zweitbeliebteste Fisch mit einem Marktanteil von 18,4 Prozent und einer Verbrauchsmenge von 224.344 Tonnen. Konsum-Tendenz: deutlich steigend.
Lachs scheint einfach zu lecker, um Fragen des Tierwohls, der Naturzerstörung und der eigenen Gesundheit ernst oder auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt kein Halten.
Hier gibt es zumindest einige Beiträge über die umstrittenen Lachsfarmen in Irland.
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Fotos [2]: Markus Bäuchle; Illustration: Wikipedia.
Die Ernährung der Menschheit wird schlußendlich nur mit Soylent Green möglich sein…
Du meinst wirklich Menschenfleisch-Cracker?
Mensch muss nur 1+1 zusammenzählen…
Neulich bin ich mit 2 Ereignissen konfrontiert worden….
Energierückgewinnung aus dem Abgas des Kieler Krematoriums (nicht sehr effizient)
KI-Präsentation eines Wirtschaftsstudenten: Ki-unterstützte Züchtung von Insekten als Tierfutter.
Warum dieser Umweg? Krematorien verbrauchen enorme Mengen an Energie. Insekten werden bei uns in einigen Restaurant schon angeboten. Mein Vorschlag an den Studenten war, die Insektenfarm dierekt hinter dem Friedhof. Das wäre am effizientesten.
Harry Harrison hat sich vielleicht im Jahr geirrt, aber sonst…
Diesem Dank an Euch und Eure Mitkämpfer schließe ich mich an !!!
Bleibt mutig und kämpferisch, wenn es darum geht die irische Landschaft und den Atlantik, sowie Flora und Fauna zu schützen.
Da sitzt man 2‘000 Kilometer weit weg, staunend Menschen zuhörend, wie unschlagbar „lecker“ der soeben erworbene Lachs aus dem SuperMarkt doch sei. Der drastische ThemenSchwenk ebenso unschlagbar „naiv“, wenn es um VitalstoffMangel, Schmerzen und andere WehWehchen geht, dessen Beseitigung dem Arzt seines Vertrauens aufgebürdet wird.
Ja – 2‘000 Kilometer Distanz, wenn kümmert‘s, was rund um in MeeresBuchten anderer Länder passiert? Bis uns die vermeintlichen Leckereien einer Bantry Bay und viele andere an den KüchenTisch getragen werden – im stillen Bewusstsein, welchen „Treibstoff“ wir für unsere Körper in Wahrheit konsumieren.
Danke an die unermüdlichen Bestrebungen einiger weniger mutigen und engagierten Menschen, Natur und Mensch vor Schlimmeren zu bewahren.