Irland Schafe

Schafherde in Kerry

 

Das Schaf, Irlands flauschige Ikone. Das Schaf hat in Irland und Großbritannien mehr ökologischen Schaden angerichtet hat als alle Bautätigkeit der Menschen zusammen, sagt der Umweltjournalist George Monbiot. Das genügsame Wolltier hat die einst vielfältige Landschaft der Insel kahl gefressen und ausgeräumt, die Wildtiere weitgehend vertrieben. Aus artenreichen Wäldern und Landschaften wurden schön anzusehende Wüsten.

Heute stehen wir vor sommer-grünen Hügeln und freuen uns: Schön! Das ist Irland. Grüne Wiese vor blauem Atlantik. Einzigartig. Typisch. 50 Shades of Green. Wir vergessen, dass diese Landschaft in vielen Jahrhunderten vom Schaf geformt wurde und dass sie ohne das Schaf ganz anders aussehen würde. Eine Geschichte, die sich die Menschen in West Cork gerne erzählen, deutet auf den heute nicht mehr vorstellbaren Waldreichtum hin. Ein Eichhörnchen, heißt es, konnte damals vom Dursey Sound an der Spitze der Beara-Halbinsel bis zum Knock Bui, dem höchsten Berg im County Cork, gelangen, ohne einmal den Boden zu berühren. Es hüpfte die gut 70 Kilometer lange Strecke von Eiche zu Eiche.

Längst ist der Wald auf Beara fast komplett verschwunden. Wir erfreuen uns an einer ökologisch schwer angeschlagenen Landschaft, obwohl wir es besser wissen könnten, wenn sich die Generationen besser miteinander verständigen würden.. Ein aktuelles Beispiel: Die älteren Menschen kennen noch die üppig von Bäumen und Hecken gesäumten Sträßchen der Insel. Aus sogenannten Sicherheitsgründen werden die Baumreihen und die typischen Hecken in diesen Jahren immer mehr zurück gedrängt. Es wird gefällt, geschnitten und gehackt, als gäbe es kein Morgen. Den Kindern der obsessiven Baumschlächter-Generation wird das Fehlen der Botanik am Straßenrand schon gar nicht mehr auffallen. Sie kennen es nicht anders, werden die baumfreie Straße für die Normalität halten. Dieses Phänomen nennt die Wissenschaft das Shifting-Baseline-Syndrom*. Wir nehmen den Wandel verzerrt und nur eingeschränkt war. Irland ist nun eben das Land der grünen Wiesen, der Schafe und der offenen Landschaft (fehlenden Bäume). Die meisten Irland-Fans wollen es genau so und nicht anders.

 

Jedes Jahr werden in Irland über drei Millionen Schafe geschlachtet

 

In einem ist George Monbiot zu präzisieren: Das Schaf ist unschuldig, es kann nichts für die Schafhalter, nichts für Agrarzuschüsse und EU-Politik, nicht für Kopf-Prämien, Überweidung und menschliche Gier. Das Schaf schaut nur, dass es sich dort, wo der Mensch es hingebracht hat, am Leben hält. Und bezahlt am Ende immer mit dem frühen Tod. Das beliebte Bild und gefragte Foto-Motiv von den friedlich grasenden Wollknäueln hat eine unromantische Kehrseite.

Jedes Jahr werden in Irland drei Millionen Schafe** geschlachtet. Sie werden überwiegend ein bis zwei Jahre alt. Das Business heißt Lammfleisch, bringt pro Jahr eine Viertelmilliarde Euro und hält die meist knapp über dem Existenzminimum lebenden Schaffarmer nur im Spiel, weil sie beachtliche Zuschüsse aus Brüssel (EU) und Dublin (Irlands Regierung) bekommen.

Nur sieben Prozent des irischen Schaf-Fleischs wird in Irland gegessen. Irinnen und Iren mögen sehr viel lieber Rindfleisch. Der Großteil toter Schafe wird exportiert, vor allem nach Großbritannien und nach Frankreich. Irland ist der größte Schaf-Fleisch-Exporteur in Europa und der viertgrößte der Welt. Das Fleisch landet auf den Tellern von Engländern und Franzosen, die Umweltschäden bleiben auf der Insel. Lokale Märkte für Schafe und Schaf-Fleisch sind weitgehend verschwunden. Es ist deshalb nichts Ungewöhnliches, dass sich lokale Schaffarmer im Supermarkt eine Lammkeule aus Neuseeland gönnen.

 

Warum aber macht ein Wirtschaftszweig, der nicht mehr profitabel arbeiten kann, dessen Farmer nur durch Subventionen überleben, der zudem gigantische Umweltschäden verursacht, einfach immer weiter so? Dieser Frage gehen wir als nächstes nach in der Irlandnews-Woche des Schafes kurz vor Ostern . . .

 

Ganze Arbeit geleistet: Ganz schön kahl der Berg

 

Fotos: Markus Bäuchle

 

* “Das Shifting-Baseline-Syndrom bezeichnet ein Phänomen verzerrter und eingeschränkter Wahrnehmung von Wandel. Parallel zur Veränderung von Umweltbedingungen kommt es dabei zu Verschiebungen und Veränderungen der Referenzpunkte, die der menschlichen Wahrnehmung beim Bemessen von Wandel dienen. Wesentliche Charakteristika dieses von Daniel Pauly (1995) geprägten Begriffes wurden in einer generationenvergleichende Studie zur Umweltwahrnehmung bei Fischern im Golf von Kalifornien von Andrea Sáenz-Arroyo et al. (2005) veranschaulicht: Während ältere Befragte dort ein deutliches Bewusstsein über den Rückgang von Fischbeständen und das Verschwinden von Fanggründen zeigen, haben jüngere eine wesentlich geringere Vorstellung davon, dass die Bestände vor noch relativ kurzer Zeit erheblich größer und vielfältiger waren. Die Referenzpunkte ihrer Wahrnehmung reichen weniger weit zurück in die Vergangenheit und bleiben innerhalb ihres biographischen Horizonts.” (Quelle: Harald Welzer, Kulturwissenschafliches institut Essen)

** Das geht aus den offiziellen Statistiken des irischen Landwirtschafts-Ministeriums hervor. Im Jahr 2018 wurden 3,226 Millionen Schafe getötet.