Manche Leser verstehen Irlandnews als Auswanderungs-Beratung, manche LeserInnen als Lebenshilfe. Wieder andere halten uns für ein virtuelles Tourismusbüro. Heute morgen erhielt ich die Anfrage eines Wohnmobilisten aus dem Herzen des Zürcher Oberlands, wie und wo auf Irland er seine Blechkutsche am besten steuern und parken könne. Er hatte in Irlandnews gestöbert und nicht tief genug gegründelt, um zu sehen, dass er es mit einem leidenschaftlichen Wohnmobil-Verächter zu tun hat. Hier aus gegebenem Anlass eine meiner Geschichten über den Wohnwannen-Piloten im Allgemeinen [edit 13. Mai 2025].
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Das Wohnmobil, der Campervan, ist das angesagte Ferienvehikel der Gegenwart. Es verspricht Sicherheit in unsicheren Zeiten. Seine Größe ist ein plastifiziertes Sinnbild für die monströse Maximierung unserer Bedürfnisse. Mehr Wohnmobile denn je rollen in diesem Sommer über Irlands Straßen – und verstopfen diese in ihrer ungelenken Art. Zeit also für die Betrachtung eines XXL-Phänomens.
Eigentlich sind Iren meist freundliche und duldsame Menschen, die so leicht nichts aus der Ruhe bringt und die ihre sozialen Kontakte gerne nach dem Motto „Leben und Leben lassen“ pflegen. Eigentlich. Was hat dem Mann dort vorne im Bauern-Toyota die Laune so gründlich verdorben, dass er wild schimpfend hinter der Windschutzscheibe herum fuchtelt? Es sind zwei fette Wohnmobile deutscher Herkunft, die sich durch das enge Sträßchen auf der Kilcatherine Halbinsel im County Cork schieben und jeden entgegenkommenden Autofahrer zu einem minutenlangen Ausweichmanöver zwingen.
Als wir nach mehreren Minuten eng am Straßengraben auch am Farmer vorbei fahren, ruft er das irische Äquivalent von „verda . . . Schei . . . .“ und „Wild Atlantic Way“ und es wird klar: Das Vermarktungskonzept rund um den „Wild Atlantic Way“ ist schrecklich erfolgreich. Die Werbekampagne für „eine der längsten Küstenstraßen der Welt“ entlang Irlands Westküste zieht eine ganz besondere Spezies Urlauber mächtig an: den Wohnmobil-Piloten und seine Frau.
Wir leben an einer der irischen Lieblingsstrecken der Womo-Fahrer, zwischen Kinsale und Killarney. Die sieben, acht und mehr Meter langen Lustkraftwagen der Freizeitgesellschaft begegnen uns in der Ferien-Saison tagtäglich – und während in einem ähnlich großen Bus 16 bis 24 Menschen Platz nehmen, rollen in den XXL-Wannen zumeist einsame ältere Ehepaare der Zielgruppe 55+ ihr Zweit-Wohnzimmer durch die Landschaft. Tendenz stark steigend, denn die Hotelzimmer in Irland sind in diesen Jahren der Flüchtlingskrise ein rares Gut, und das gute alte B&B stirbt langsam aus (Einen Beitrag zu dieser Entwicklung gibt es hier).
Die Marketingleute von Tourism Ireland sehnen sich zwar mehr Womo-Familien herbei und glauben seit den Zeiten von Corona einen demographischen Wandel hin zu Sicherheits-bewussten Eltern mit Kindern erkennen zu können. Genaue Zahlen allerdings gibt es nicht. Dafür ist das Segment der Wohnmobilisten – auch wenn sie viel Aufmerksamkeit und Raum für sich beanspruchen – noch zu unbedeutend. Weniger als zwei Prozent der Besucher aus dem europäischen Ausland fahren Kühlschrank, Klo und Bett am Atlantik spazieren oder wohnen im Zelt. Doch der Trend geht eindeutig zur Wohnwanne.
Der freiheitsliebende Womo-Fahrer: Ein egomaner Freiheitsräuber?
Unterwegs in unserer Wahlheimat, auf der Beara Peninsula. Gerade standen zwei fast identische Zwillings-Blechwannen mit den Ausmaßen 8,0 mal 2,3 mal 2,8 Meter am Aussichtspunkt. Sie ließen meinen VW-Bus, der neun Menschen transportiert, neben sich schmächtig wie einen Fiat 500 aussehen. Sie blockierten den Halteplatz und den Blick übers geliebte Wasser hinüber nach Kerry für alle nachfolgenden Fahrer. Einige Minuten davor — das Highlight der Woche — begegneten wir bei Eyeries einem unüberwindbaren Corso von zehn (!) rollenden gallischen Wohnzimmern. Bien sur, auch der Franzose reist gerne frei, sicher, individuell und dabei gesellig.
Der Wohnmobil-Pilot: Mein guter Freund Baumgartner nennt ihn „das Herrchen des blechernen Alphatiers der touristischen Biosphäre“. Er genießt seine grenzenlose Freiheit, indem er seinen vertrauten Kokon, einer Raupe gleich, nicht verlässt; indem er den halben Hausstand mit sich führt, in seiner rollenden Hülle wohnt, kocht, isst, trinkt, feiert, abführt, streitet, Sex hat, schläft — und sich bei all dem so herrlich frei fühlt. Und sicher und geborgen.
Es ist die Freiheit, die der Womo-Lenker meint. Die Freiheit zum raumgreifenden Komfort — die allerdings nicht dort endet, wo die Freiheit der Anderen beginnt. Den berühmten Satz von Immanuel Kant mag der zornige Farmer von der Beara Peninsula vielleicht nicht kennen, seinen Gehalt aber versteht er sehr wohl: Hier auf den engen, oft rumpeligen Sträßchen West Corks machen sich Urlauber raumgreifend auf Kosten Einheimischer und anderer Urlauber allzu breit. Wer nicht im „Campervan“ oder im „Motorhome“ (wie man hier sagt) sitzt, sondern in einem Auto dahinter oder davor, murmelt schon einmal das Wort von der „Freiheitsberaubung.“
Wohnmobil-Urlauber, so meint Baumgartner, seien oft egomane, meist egoistische und fast immer enorm sicherheitsbedürftige Zeitgenossen. Baumgartner ist bekennender Wohnmobil-Hasser, und er kann sich über die „Schnecken der Landstraße“ bis zur Hymer-Ventilation in Rage reden: „Sie geben dem besuchten Land nichts oder nicht viel, da sie ja fast alles Notwendige mit sich führen. Allenfalls ihren Müll und den Latrinen-Inhalt müssen sie dann und wann los werden. Sie beanspruchen über 30 Kubikmeter Raum für sich, meist 15 pro Person, und bis zu 80 Prozent der Straße.“
Baumgartner glaubt, im Wohnmobil-Piloten den legitimen Nachfolger des Jägerzaun- und Gartenzwerg-verliebten Sommer-Campers von Lido di Jesolo zu erkennen. Aber das ist nur Baumgartners miesepetrige Meinung; für ihn ist das Glas generell immer halb leer. Ich selber betrachte die Wohnmobilisten, und darunter ganz besonders die aus der alten Heimat, mit freundlicher Neugier. Die Deutschen sind ja bekanntlich nicht nur so etwas wie Vize-Weltmeister im Reisen, sondern auch Champions im Wohnen. Keine andere Nation wohnt so gerne und so hingebungsvoll wie wir Deutschen. Unser Wohndrang reicht bis weit in die Zweitküchen in den Wohngärten der Eigenheime hinein. Schon unser Philosoph Martin Heidegger sagte, das Wohnen sei der Grundzustand des Seins.
Die Engländer oder die Amerikaner leben in ihren Häusern und Apartments, die Deutschen wohnen. Weil sie auch noch gerne reisen, ist es nur folgerichtig, dass sie um den Ehrentitel der Europameister im reisenden Wohnen ganz vorne mit fahren. Unterwegs daheim, sicher, geschützt vor den Zumutungen der Fremde und der Fremden, geborgen in der eigenen, so vertraut nach dem bevorzugten Weichspüler duftende Bettwäsche. Gewohnte Zufriedenheit in den eigenen vier Wänden und gesegnet mit allen Annehmlichkeiten des gelingenden Alltags – selbst in den Ferien und 2000 Kilometer von zuhause entfernt. So geht Auszeit im perfekten, gebärmuttergleichen Kokon.
Dinosaurier der Mobilität, traurige Symbole des Untergangs?
Baumgartner spottet, dass die Wohnmobile die Dinosaurier der Mobilität seien, traurige Symbole der untergehenden Epoche des kollektiven Konsumwahns, ja, die Menetekel vom Ende der Ära des Wachstums, der Schneller-Größer-Besser-und-Alles Sofort-Jahrzehnte; Klimaschädlinge obendrein, schlimmer noch als die viel gescholtenen SUVs – und überhaupt: eine Marotte der Wohlhabenden. Welcher Durchschnittsverdiener könne schon 50- oder gar 100.000 Euro für ein Zweit- oder Drittgefährt hinblättern, das nur wenige Wochen im Jahr benutzt wird.
Wenn mein guter Freund derart in Fahrt gerät, wende ich ein, dass sich viele Menschen, und gerade die, die viel zu verlieren haben, eben vor einer zunehmend bedrohlichen Welt abschotten müssen. Sollen die nun immerfort daheim bleiben, nur weil sie sich etwas leisten können oder weil sie ängstlich sind?
Immerhin sind die mobilen Wohnzimmer ideale Filterblasen mit Abstandsgarantie, um sich nicht zu viel von der fremden Umgebung zumuten zu müssen. Zudem schützen diese dünnen Wände, wenn auch nicht vor Unfällen, so doch vor Aerosolen – geschwängerter Luft und hustenden Fremden. Das Womo, halte ich meinem Freund entgegen, ist das Mobil der Zukunft, denn die nächste Pandemie kommt bestimmt: Social Distancing auf Rädern, Abstand in Vollendung. Richtig geplant kann man sich den Nachschub strategisch pünktlich zu Packstationen schicken lassen und muss keinem Einheimischen mehr in die Atem-Aura treten.
Auf den engen und engsten Sträßchen an Irlands malerischer Atlantikküste haben die wilden Zeiten so um das Jahr 2015 begonnen. Viele dieser asphaltierten Feldwege, die Superlativ-hungrige Irland-Vermarkter zur „2500 Kilometer langen Küstenstraße“ aufaddiert und hoch gejazzt haben, sind nicht einmal für einen regelmäßigen Gegenverkehr mit beteiligten Kleinwagen geeignet, geschweige denn für die Raum konsumierenden Ferien-Trucks. Vielerorts sind deshalb, wie in unserem Dorf Glengarriff, wenig freundliche Schilder aufgetaucht, mit denen sich genervte Anwohner die invasiven Freizeitlaster vom Leib halten wollen: „No Campervans“. „No overnight parking“. Doch wen kümmert´s im fernen Dublin? Nun, immerhin ein bisschen was tut sich: An einigen besonders kleinen Straßen und engen Sackgassen wie dem Sheeps Head Drive stehen seit vergangenem Jahr Verbotsschilder, die den Womo-Piloten von der letzten Meile zur Kapspitze abhalten sollen.
In Dublin jedenfalls lachen sich die verantwortlichen Tourismus-Promoter ins Fäustchen, ist ihnen doch eine typisch irische Erfolgs-Story gelungen. Sie haben mit wenig Einsatz ganz schön viel erreicht. Sie haben sich dessen bedient, was bereits seit langem existiert: Küste, Landschaft, Himmel, Wolken, Meer, Dörfchen, Klippen, Strände, Straßen und Sträßchen. Sie haben ein paar tausend neue Schilder aufgestellt und ein aufmerksamkeitsstarkes Etikett drauf geklebt: „Wild Atlantic Way“. The Irish Way eben.
Wir browsen durch die Landschaft, als sei sie Google Maps
Der Wild Atlantic Way verändert das Reisen in Irland radikal, und trägt dem durch Internet und Smartphone veränderten Reisen konsequent Rechnung. Das Land wird nun völlig anders bereist als noch vor einem Jahrzehnt. Im Normalfall mieten sich Irlandgäste heute einen Mietwagen oder poltern eben mit einem Wohnmobil über die mäßig gepflegten Asphaltpisten (manche auch mit dem Motorrad). Sie wollen möglichst viele der 189 „Signature Points“, der mit einem rostigen Eisengalgen kenntlich gemachten, ganz besonders einzigartigen Aussichtspunkte, ansteuern. Gerne kaufen sie sich auf einem Postamt den Wild Atlantic Way Passport und sammeln entlang des Weges möglichst viele Stempel. Als beglaubigter Irland-Reisender hat man auf Facebook und Instagram immer etwas vorzuzeigen.
Ein Bekannter stoppte kürzlich am Aussichts-Galgen von Dooneen an der Spitze der Beara Halbinsel die Verweilzeit der Urlauber am Aussichtspunkt. Fürs Aussteigen, Foto knipsen, eventuell ein Selfie, Beine vertreten, eine Pinkelpause und Einsteigen benötigten die Gäste an jenem Tag zwei bis maximal vier Minuten. Dann ging die Jagd weiter. Zum nächsten Rost-Galgen. Zum nächsten Foto. Zum nächsten Stempel.
Waterville liegt als einzige Gemeinde des berühmten Ring of Kerry direkt am Atlantik. Das Städtchen ist bekannt für seine Strandpromenade und für seinen prominentesten Fan, Charlie Chaplin. Im Herbst traf ich dort Marnie. Sie betreibt ein bekanntes B&B in Waterville. Marnie sieht skeptisch in die touristische Zukunft. Sie sorgt sich wegen der Pläne, direkt auf der Promenade ein großes Tourismus-Zentrum zu bauen und den geräumigen Parkplatz massiv zu vergrößern.
Schon heute, sagt sie, kann man im Sommer in der Lunch-Zeit zwischen 12 und 15 Uhr wegen der parkenden Wohnmobile und Busse in Waterville das Meer nicht mehr sehen. Am Nachmittag kehrt dann Ruhe ein in der Stadt. Zu viel Ruhe. Die Restaurants und die Pubs klagen seit Jahren: Die Gäste werden weniger. Waterville ist zum Durchgangsort am Wild Atlantic Way geworden. Der Wohnmobilist isst am liebsten an Bord oder in der frischen Luft direkt neben der Bordküche. Was will er da noch in Watervilles eng gebautem Innenstädtchen?
Wir reisen wie wir leben: Urlauber begreifen die Landschaft heute gerne als eine Oberfläche, die sie wie das Internet zügig nach schnellen Eindrücken, Kicks und Highlights durchsuchen. Sie „browsen“ flüchtig durch Dörfer und Landschaften als bewegten sie sich mit dem Mauszeiger durch Google Maps. Die Wenigsten lassen sich noch auf einen Ort und seine Bewohner ein, oder bleiben zur Entschleunigung einmal eine ganze oder sogar zwei Wochen. Kontakte, gute Gespräche, gar neue Freundschaften zwischen Gastgebern und Gästen, sind eine Rarität geworden. Dies ist die Ära der Browser. Der Wild Atlantic Way, so klagt Marnie, bedient diese neue Reise-Mentalität perfekt. Und das Womo rollt weiter, dem nächsten Sonnenuntergang entgegen. Ein geschlossenes System. Sich selbst genug. Der Weg ist das Ziel.
Gestern bedeutete mir ein schlecht gelaunter Baumgartner, ich solle unbedingt schreiben, dass Irland für Wohnmobile eigentlich gar nicht geeignet sei. Das ging mir dann wirklich zu weit. Obwohl: Irland-Novizen staunen immer, wie abgeriegelt und mit zigtausenden Zäunen die vermeintlich offene Landschaft am Atlantik versperrt ist.
Wer außerhalb der Dörfer einmal versucht hat, zum Ausruhen an der Landstraße anzuhalten, wird schnell frustriert. Oft fährt man viele Kilometer am Zaun oder an den ewigen Mauern entlang, um eine einsame Einfahrt oder einen abgefahrenen Seitenstreifen zu finden. Parkplätze entlang der Landstraßen sind absolute Mangelware, und wer tatsächlich einen größeren Parkplatz findet, muss mit dem Wohnmobil meist draußen bleiben.
Im Dauerkampf mit der ungeliebten Minderheit der bis heute unterwegs lebenden Iren, die gemeinhin als „Traveller“ (Reisende) bekannt sind, verbarrikadieren die Lokalverwaltungen die meisten Parkplätze mit tief hängenden Durchfahrtschranken in zwei bis 2,20 Meter Höhe. Wo aus dem Wohnmobil ein Lebensprinzip wird, hört der Spaß auf: Die Mehrheitsgesellschaft bremst ihre fahrenden Mitbürger gnadenlos aus und zwingt sie zur Sesshaftigkeit.
Wildes Campieren und das Übernachten in der freien Landschaft sind auf der grünen Insel übrigens generell verboten – und doch machen es die Eingeweihten ohne zu zögern, da in Irlands wildem Westen das Gesetzespapier meist recht geduldig ist: Wer die abgelegenen Geheim-Tipps und die verschlungenen Wege kennt, kann sich in traumhafter Landschaft direkt am Meer, in der ersten Reihe für den Sonnenunter- und den Aufgang positionieren. Und dafür gibt es ja auch diese Insider-App . . .
„Auf keinen Fall“, meutert Baumgartner, „das verrätst Du jetzt nicht auch noch . . . “ Also gut, dann nur so viel: Irland hat etwa 85 registrierte Caravan-Parks mit 6400 Stellplätzen – und jede Menge Plätze ohne den offiziellen Stempel, und doch mit Strom und Wasser. Lasst rollen. Es lebe der Camperwahn!
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Ich unterscheide nicht, ob „guter“ oder „schlechter“ Wohnmobilist. Das kann ich als Beobachter auch gar nicht. Mich stören sie immer auf den Straßen und verschandeln das Ambiente. Ich finde sie einfach doof.
Lieber Markus
Was für eine leidenschaftliche Stellungnahme gegen ein Gefährt oder eher wohl gegen einen touristisch dummen Ausverkauf einer der schönsten Küstenlandschaften Europas… und zugleich mit so vielen zutreffenden Gedanken zum Miteinander Leben (die Natur eingeschlossen) Wenn die Bereisten zu stören beginnen, weil sie Lebensansprüche haben die normal sind dann, ja spätestens dann ist wieder einmal ein sogenannter Kipp- Punkt erreicht, ein Zuviel das beendet werden muss…
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„Weniger als zwei Prozent der Besucher aus dem europäischen Ausland fahren Kühlschrank, Klo und Bett am Atlantik spazieren oder wohnen im Zelt. Doch der Trend geht eindeutig zur Wohnwanne.“
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Es ist tröstlich, das jeder Trend eine mehr oder weniger schnelle Wende erfährt. Der Trend zur Wohnwanne gehört gerade dazu. Es ist wie mit den ungeheuer unmenschlich behandelten, leidtragenden „Corona – Hunden“ , die nur angeschafft wurden aus Gründen die ich hier nicht erörtern werde… auch das WoMo hat bei ganz vielen die es in der C-Zeit anschafften oder bestellten (ja, es gab bis zu 2 Jahre Wartelisten!) ausgedient und wurde schnell wieder abgestossen wie diese tausenden armen Hunde…
Wohnmobilverleiher gehen heutzutage reihenweise pleite, selbst schöne, in C Zeiten extra neu hergestellte WoMo-Plätze in Spanien und anderswo stehen fast die ganze Saison über leer… alle jene, die in den C-Zeiten den Boom auslösten, weil sie eine eigene Freiheit ohne Fremdatem (oder ohne Impfwahnsinn) wollten, kehren nun wieder zu ihren all inclusive Quartieren und -Reisen zurück und auf die Kreuzfahrtschiffe die nun schnell wieder aufgebaut werden oder zu anderen früheren Urlaubsgewohnheiten die nun wieder einfach wie früher möglich sind…
Und Andrea hat auch Recht wenn sie anmerkt, dass es auch mit WoMo ANDERS geht…
Wir selbst sind einst, nachdem wir – auch aus Entschleunigungsgründen und dem gewollten Erleben des Atlantiks – mit der Fähre über die Färöer nach Island reisten (und wieder zurück) viele Wochen mit einem gemieteten WoMo durch diese einzigartige Insel gerollt um einsam lebende Brieffreunde zu besuchen und mehr…
WoMo wegen des echt ständig wechselnden und absolut unberechenbaren Wetters selbst im Sommer und wegen der absoluten Unabhängigkeit genau dort sein und stehen zu können, wo es uns gefiel (da dann auch mal tagelang), man muß nur den Bauern fragen, dem das Land gehört, das muß man aber sowieso, wenn man in seinem Fluß (-abschnitt) angeln will fürs tägliche Mahl…
Für uns und die Jungs war es ein einzigartiges Abenteuer, einschließlich der Fluß-Furten, Geysir- und Solfatarenerfahrung und vielen einzigartigen Kontakten zu Einheimischen, die sich – obwohl man gut mit Englisch klar kommt immer unglaublich über meine damals noch ganz anständigen isländischen Sätze freuten… Es entstand sogar eine langjährige Freundschaft…
Nie wieder sind wir seitdem mit WoMo unterwegs gewesen aber diese Reise war damals wirklich einfach wunderschön… es war ein kleines WoMo aber für uns alle bis heute ebenso unvergesslich wie ich abends vor dem Schlafen in der Enge des Gefährts den Jungs und meinem Mann die „Nonni und Manni“ Bücher von Jon Svensson vorgelesen habe… überhaupt alles ist ganz lebendig sofort in der Erinnerung: die Vogelwelt, die Pflanzen, die Lavawüste, die unglaublichen Wasserfälle, die riesigen Sander, die Gletscher, die Stürme, das Tosen des Atlantiks, die Gerüche… dank eines kleinen WoMo’s…
Andrea hat in noch etwas sehr Recht: die Preise für Cottages in Irland sind für viele nicht mehr leistbar, die sich dann eben ein WoMo mieten… oder die Alten, die oft ihr Haus oder ihre Wohnung verkaufen, sich dafür ein rollendes Haus gönnen (und noch eine Heimatadresse bei den Kindern wegen der Steuern etc) um noch ein bisschen einfach die Welt erleben zu wollen… sie reisen meistens auch etwas anders als jene aus den Ländern wo das WoMo zum Lebensgefühl gehört wie u.a. NL…
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„….unbedingt schreiben, dass Irland für Wohnmobile eigentlich gar nicht geeignet sei. Das ging mir dann wirklich zu weit. Obwohl: Irland-Novizen staunen immer, wie abgeriegelt und mit zigtausenden Zäunen die vermeintlich offene Landschaft am Atlantik versperrt ist.
Wer außerhalb der Dörfer einmal versucht hat, zum Ausruhen an der Landstraße anzuhalten, wird schnell frustriert. Oft fährt man viele Kilometer am Zaun oder an den ewigen Mauern entlang, um eine einsame Einfahrt oder einen abgefahrenen Seitenstreifen zu finden. Parkplätze entlang der Landstraßen sind absolute Mangelware, und wer tatsächlich einen größeren Parkplatz findet, muss mit dem Wohnmobil meist draußen bleiben….“
Und das stimmt alles so genau… und ehrlich: diese kleinen Strassen Irlands sind absolut nicht WoMo tauglich, zumal diese Gefährte von heute ja schon fahrende Burgen darstellen…
Leider sollen aber nun – statt noch mehr Autobahnen – eine ganze Reihe von Strassen bestimmter Kategorien nach dem Ansinnen einer regierenden Partei besser ausgebaut werden… ich wünsche mir und allen und allem Bereisten dort, das dieser Stempel+ Knips- Wahnsinns – WAW nicht dazugehören möge… und das man aus anderen Tourismusregionen dieser Erde lernt das, was die Menschen wirklich erleben wollen nicht zu zerstören! Weder Natur, noch Kultur… schade um die B&B’s wie um so viele Pubs und so viel Erleben das verloren geht…
Herzliche Grüße aus einer fast komplett WoMo freien herrlichen Ecke Irlands …
Danke lieber Markus für diesen klarsichtigen Beitrag – und die Einladung, auch als Reisende über Wirkung und Verhalten nachzudenken.
Ich musste schmunzeln – leicht sarkastisch –, als ich las, dass die nächste Pandemie bestimmt kommen wird. Oder sind wir vielleicht längst mittendrin? In einer Pandemie der mobilen HäusleBauer, die sich mit rollendem RückzugsOrt vor allem schützen wollen: Vor Fremdem, vor Unvorhergesehenem – und manchmal wohl auch vor Mitmenschen. Was dabei oft vergessen geht: Jede «Pandemie» scheint nicht nur das ImmunSystem zu beschäftigen, sondern auch das Denken und den gesunden Menschenverstand kurzzeitig zu beeinträchtigen. O.K: Ist wieder mal alles «über einen Kamm geschert» – mir egal?
Je mehr ich Beiträge wie diesen lese – ob zum Reisen, zum Wohnen oder zum Miteinander –, desto klarer wird mir:Es kommt nicht nur darauf an, wo ich mich auf der Welt bewege, sondern wie ich sie verstehe (sofern ich das überhaupt kann) und wie ich mich darin verhalte. Was sind die Bedürfnisse der Menschen, die dort leben? Was heisst es, als Gast respektvoll zu sein – jenseits des eigenen Komforts? Ist es wirklich rechtens, ausschliesslich meinen Bedürfnissen und Ängsten zu frönen, wenn ich damit den Raum anderer eng mache – besonders den Raum derer, die sich nach Ruhe, Klarheit oder Frieden sehnen?
Das Reisen mit MobilHomes erinnert mich zunehmend an eine oft unreflektierte Beziehung: Man lernt ein Land – oder eine:n potenzielle:n Partner:in – kennen, verliebt sich nicht selten in die eigene Vorstellung davon, verwechselt Gefühl mit Verbindung und stellt irgendwann ernüchtert fest: Es hat eigentlich nie wirklich gepasst. Und das, nachdem man das fremde Leben mitgebrachten KonsumGütern und deren RückStänden überzogen hat – ähnlich einer Beziehung, die man nie ernst nahm, aber dennoch tiefgreifend prägte. OK. der Vergleich ist schräg. Aber vielleicht gar nicht so falsch.
Direkt nach der Pandemie trug ich mich mit dem Gedanken, einen Pickup mit grosser LadeFläche zu kaufen und darauf eine mobile WohnEinheit zu installieren – die ich, wenn nötig, einfach irgendwo hätte stehen lassen können. Ich besuchte mehrere Messen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Kolonnen von IVECOs, Mercedes Sprintern und MAN-Mobilen – ausgebaut zu rollenden Domizilen, die oft luxuriöser waren als manche Eigentumswohnung.
Da begann ich, mein Vorhaben ernsthaft zu hinterfragen: Will ich das wirklich? Oder bin ich gerade dabei, dem SicherheitsBedürfnis ein neues BlechKleid zu verpassen? Heute? Heute fahre ich mit meinem MotorRad durch die Schweizer Alpen und gelegentlich über die HügelLandschaften SüdDeutschlands – auch Irland. Und wenn mir eines dieser rollenden WohnImperien begegnet, dann bin ich es, der mit beinahe animalischer Lust an ihnen vorbeizieht.
Danke für die DenkAnstösse – sie sind wichtiger denn je.
Mit Wohnobilen konnte ich nie was anfangen. Mich erinnert das Gefährt an Bequemlichkeit und Sofamentalität. Im Urlaub möchte ich jedoch Gewohntes hinter mir lassen und mich auf den Urlaubsort, Land und Leute konzentrieren. Schlicht und einfach unterwegs sein.
Viele irische Straßen sind schmal und das ist gut so, mehr Natur und Landschaft, möglichst wenig Asphalt und Beton. Beim WOMO-Tourismus sehe ich die Gefahr, daß neue Campingplätze geschaffen (weil man darin eine lukrative Einnahmequelle sieht) und hierfür die Straßen verbreitert werden, man Irland immer mehr ausverkauft. So wie an vielen anderen Urlaubsorten der Welt auch, wird Land und Kultur dem Tourismus angepasst, das Ursprüngliche gehe dabei verloren.
Es geht auch anders. Wir sind jetzt zum zweiten mal mit unserem Wohnwagen für 6 Wochen auf der Insel, dreieinhalb Wochen auf einem Campingplatz in Kerry und eineinhalb Wochen in Waterford. Zur Zeit sind wir am Mannix Point und ich frage mich jeden Morgen wie es sein kann, dass man diesen traumhaften Ort nach einer, maximal zwei Nächten wieder verlässt um mit dem Wohnmobil weiterzuziehen. Wir sind zum 14. mal in Irland und unsere Art hier Urlaub zu machen hat sich nie geändert. Was früher ein Cottage war ist heute der Wohnwagen, weil man sich 6 Wochen sonst nicht mehr erlauben kann. Wir haben immer nette Kontakte zu Einheimischen. Unsere irischen „Nachbarn“ haben uns fresh caught fish geschenkt, und ich war gerührt von der Unterhaltung mit einer Irin aus Cork, die neben uns stand, und der das Herz aufgeht wenn sie hört, dass wir drei Wochen an einem Ort bleiben um das Land zu spüren. Genau das ist es was es für uns ausmacht. Wir erleben Irland intensiv, wir sind mit dem PKW fast immer abseits der touristischen Attraktionen unterwegs, das geht mit einem Wohnmobil nicht. Insoweit kann ich deinen Bericht sehr gut nachvollziehen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass man unter Camping auch ganz was anderes verstehen kann.