Das irische B&B

Lesende Irland-Fans in Deutschland sind betroffen: Die Reisejournalistin Nicole Quint hat gerade in der Tageszeitung Die Welt wehmütig und tränensatt das Ende einer irischen Institution verkündet: Das Bed & Breakfast stirbt. Immer mehr der familiengeführten Beherbergungsbetriebe geben auf und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Seit den 90er-Jahren ist die Zahl der irischen B&Bs von über 4000 auf weniger als 650 geschrumpft. Vorbei das gemütliche Übernachten mit Familienanschluss und einem rustikalen Full Irish Breakfast zum kalorienstarken Start in den neuen Tag.

Vorbei die goldenen Zeiten, als man spontan vor einem Bed & Breakfast anhielt, um sich für ein paar Pfund, später Euro, eine Nacht lang dem Mikrokosmos eines irischen Familie anzuvertrauen. Vorbei die Gemütlichkeit im plüschigen Schlafzimmer und vor dem Kaminfeuer im Wohnzimmer der Familie. Vorbei die freundlichen Gespräche bei einem Scone und Tee. Noch nicht ganz, aber wohl bald schon.

Das Ende kommt schleichend. Schon vor 20 Jahren häuften sich die Anzeichen, dass das B&B langsam aus der Zeit fällt. Damals schossen neue Hotels wie Pilze aus dem Boden. Sie galten als modern, kosteten oft nicht viel mehr als ein B&B und boten den Vorzug, dass Gäste die Bar und das Restaurant in Sekunden zu Fuß erreichen konnten – und das Bett am Ende eines beschwingten Abends genauso. Die Irinnen und Iren bevorzugten bald die Übernachtung im Hotel, fingen an, das B&B als piefig, eng und provinziell zu diskreditieren – eine Entwicklung, die Deutschland eine paar Jahrzehnte früher erlebt hatte: Wer übernachtet schon gerne im Fremdenzimmer und in der Familienpension.

Der Lifestyle änderte sich, Privatsphäre wurde wichtiger, die Plastikästhetik der Weltläufigkeit übernahm. Gleichzeitig verschärften die irischen Behörden die gesetzlichen Anforderungen an das Führen eines B&B gewaltig. Qualitäts-, Preis- und Margen-Druck und schließlich die gästelose Zeit der Pandemie beschleunigten den Niedergang des Bed & Breakfasts – und von 16 guten Wochen mit ausländischen Gästen auf Nostalgie-Trip ins ach so ursprüngliche Irland lässt sich meist nicht gut leben.

Dies wird die Saison der fehlenden Betten

Dabei könnte Irlands Tourismus-Industrie die B&Bs jetzt besonders gut gebrauchen: Gerade beginnt eine Saison der fehlenden Betten: 35 Prozent der irischen Hotelkapazitäten außerhalb Dublins, also mehr als jedes dritte Hotelbett, sind derzeit von geflüchteten Menschen aus der Ukraine oder von Asylsuchenden belegt. Die Regierung fand keine bessere Lösung, als die Hotelgesellschaften des Landes mit multimillionen-schweren Verträgen zur Unterbringung von Geflüchteten auszustatten. So erweist sich der Krieg in der Ukraine für viele Hotels als ökonomischer Glücksfall: Viele Herbergen bevorzugen die ukrainischen Gäste und die mangels Optionen sehr spendablen Schecks der Regierung und haben deshalb in diesem Jahr wenig Platz für Touristen. Unausgesprochenes Kalkül: Der Krieg in Osteuropa wird andauern, die Gäste werden auch im Winter noch hier sein und für Einnahmen sorgen. Ein Dutzend Hotelgesellschaften hat nach Recherchen der Irish Times bereits jetzt mehr als zehn Millionen Euro von der Regierung überwiesen bekommen; eine einzige Gesellschaft, Tifco (Travelodge), hat schon über 80 Millionen Euro an der Unterbringung von Menschen aus der Ukraine vor allem im Großraum Dublin verdient.

An Irlands Westküste sind die Hotelbetten mittlerweile besonders knapp: In den stark touristisch geprägten Counties Donegal, Clare und Kerry schrillen die Alarmglocken. Eine Zahl, die Irlands Tourimus-Manager beharrlich öffentlich vorbeten, macht die Runde: Ein Tourist gibt zu jedem Euro, den er für die Übernachtung bezahlt, weitere 2,50 Euro für Essen, Drinks, Unterhaltung und Erlebnisse aus. Die Zahl des Schreckens vermittelt unausgesprochen zwei Botschaften: 1. Geflüchtete Menschen können diese Summen nicht ausgeben. 2. Die Hotels florieren, die übrigen Tourismusanbieter verlieren. Der Verband der irischen Tourismusindustrie ITIC hat gerade ein kurzes Video ins Internet gestellt, das am Beispiel des Burren-Städtchens Lisdoonvarna einen düsteren Ausblick auf die Tourismus-Saison gibt: Dort hat die Regierung Unterbringungsverträge mit allen Hotels am Ort abgeschlossen, die Zahl der Gäste aus der Ukraine ist mittlerweile größer als die Zahl der Einheimischen. Für Touristen gibt es da keinen Platz. (Hier mein Bericht aus Lisdoonvarna).

Auf den Straßen der Insel verdichten sich derweil die Anzeichen, welche Konsequenzen viele Irland-Urlauber aus der aktuellen Lage ziehen: Sie reisen mit dem rollenden Wohnzimmer an. Die Wohnmobil-Dichte hier in West Cork nimmt bereits jetzt im Mai bedrohliche Ausmaße an. Willkommen im Camperwannen-Stau . . .

[ . . . und warum das Reisen im großen Wohnmobil die egoistischste und bemitleidenswerteste Form des Reisen ist, beschreibe ich kommende Woche hier auf Irlandnews.]  


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Hier Nicole Quints Beitrag in der Welt: Klick
Das ITIC_Video zur Situation in Lisdoonvarna: Klick
Foto: Tourism Ireland; © James Fennell