Irland Eichen Spaziergang im Winter-Eichenwald

 

Schon wieder über Corona reden? In dieser nasskalten Februarwoche hat mich der Lockdown das erste Mal richtig hart getroffen. Ich musste schlucken, als ich am Mittwochmorgen las, was sich Irlands politische Führung für uns in den kommenden Wochen ausgedacht hat: Der strenge Lockdown, der dritte übrigens, der uns seit Jahresbeginn wieder daheim und in einem Freigehege von maximal fünf Kilometern Umkreis eingesperrt hält, soll nun nicht am 5. März enden, sondern bis Ende April oder sogar in den Mai hinein verlängert werden. Erstmals Mitte April könnte es leichte Lockerungen geben. Das ist bitter – für uns alle, vor allem aber für die jungen Menschen hier im Land. Wir leben nun seit fast einem Jahr unter der Fuchtel des Virus – oder zumindest unter der Corona-Politik.

Klar ist: Die Regierung hat es mit ihrer leichtfertigen Entscheidung, den Lockdown im Dezember auszusetzen, um den Menschen zur Belohnung schöne Weihnachtsfeiern zu bescheren, so richtig vermasselt. Sie gibt nun sogar selber zu, dass es keine gute Idee war, dem ausgeprägten Familienleben im Dezember wochenlang freien Lauf zu lassen.  Zehntausende Auslands-Iren, darunter viele junge Leute, die in England, Wales oder Schottland leben, kamen über die Feiertage nach Hause und brachten neben Geschenken auch das Virus mit – bevorzugt in der englischen Mutation, die als Kent-Variante B.1.1.7 traurige Berühmtheit erlangt hat. Nun kämpft Irland an vorderster Front gegen die englische Mutation, und wir dürfen weiter daheim bleiben – eine Ende ist nicht in Sicht.

 

Vom Improvisieren und Dilettieren

 

Die hierzulande gepflegte Improvisationskunst habe ich immer bewundert und auch wiederholt an dieser Stelle gerühmt. Aus wenig etwas zu machen, Kaputtes zu reparieren, eine Maschine, ein Auto, ein Elektrogerät zumindest provisorisch wieder zum Laufen zu bringen, obwohl das richtige Ersatzteil fehlt, das hat mir stets imponiert. Auch in der Coronakrise rühmten sich manche Einheimische der hohen Improvisationskunst, mit der man anfangs erfolgreich durch die Pandemie navigierte. Nun allerdings müssen wir erkennen, dass es doch einen gravierenden Unterschied gibt zwischen Improvisieren und Dilettieren.

Fintan O`Toole wies uns kürzlich in der Irish Times darauf hin, dass Improvisieren eigentlich nur kann, wer das Handwerk oder das Instrument wirklich beherrscht. Ja, es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen einer virtuosen Klavier-Improvisation von Keith Jarrett und der schrägen Guggemusik der Fasnachts-Kapellen, die zu dieser Jahreszeit üblicherweise auf den Fasnachtsumzügen meiner alten Heimat an der Schweizer Grenze gespielt würde.

So gesehen sind Irlands Krisen-Manager die Guggemusiker. Wo Gesetze allenfalls Richtlinien sind, quasi Empfehlungen, deren Nichtbefolgen keine Konsequenzen hat, da machen die Egoisten natürlich, was sie wollen. Und rücksichtslose Egoisten gibt es auch hier genügend. In den letzten Wochen fiel den Ordnungshütern im Land dann doch noch auf, dass täglich ein- bis zweitausend Mitbürger braun gebrannt den Fliegern entsteigen. Sie kommen aus den Ferien in wärmeren Regionen, während die meisten Menschen daheim artig damit kämpfen, ihre Fünf-Kilometer-Zone nicht zu verlassen. Was die Ego-Traveller wohl Neues mitbringen außer der Urlaubsbräune?

Nur nach und nach scheinen Gesetzgeber und Behörden eine für alle verbindliche Gangart anzuschlagen. Aktuell muss, wer ohne triftigen Grund außerhalb seines Fünf-Kilometer-Freigeheges unterwegs ist, 100 Euro in die Staatskasse spenden. Wer trotz der Verbote in die Ferien fliegt, ist mit 500 Euro dabei. Viele Urlauber zahlten den Aufschlag gerne – und mit einer gewissen neu-irischen Geste der Arroganz. Die Strafe soll deshalb auf 2000 Euro erhöht werden, und sogar Gefängnisstrafen werden jetzt erwogen.

 

Spaziergang am Meer

 

Superschlaue Egoisten fliegen zum Zahnarzt-Termin nach Teneriffa

Noch immer allerdings verabschieden sich Dutzende Superschlaue zum “dringenden” Zahnarzt-Termin auf die spanische Urlaubsinsel Teneriffa. Aus einer Zahnarztpraxis dort wird berichtet, dass die massenhaft eingehenden Terminanfragen aus Irland nun gar nicht mehr beantwortet würden: Es sei nämlich trotz über 50 Terminvergaben niemand zu den vereinbarten Behandlungen erschienen. Cute hoor on tour . . . 

Jetzt kann man natürlich stundenlang Dampf ablassen über das Treiben der Rücksichtslosen, das Versagen der Politik, über das Fehlen einer Strategie und die Inkonsistenz der politischen Entscheidungen. Das Wüten und Jammern wird den Lockdown nicht verkürzen. So unpolitisch es klingen mag: Es hilft, die Filme im eigenen Kopfkino sorgfältig auszuwählen und sich um eine positiven Einstellung im Alltag unter erschwerten Bedingungen zu bemühen. Vor allem: Man kann das selber tun, für sich. Man ist sein eigener Regisseur. Die Trauma-Forscherin Tanja Michael rät zu diesen drei einfachen Schritten aus dem Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins, hin zur Selbstwirksamkeit*:

 

Drei Schritte gegen die Corona-Ohnmacht

  1. Calm your mind: Beruhige dich, ordne deine Gedanken, und denke nicht zu viel.
  2. Log moments of joy: Protokolliere die guten Momente. Wir sollten auch weiter Verhaltensweisen nachgehen, die uns normalerweise guttun, diese registrieren und bewusst abspeichern. Statt mich zu grämen, was ich nicht machen kann, ist es günstiger, den Fokus dahin zu verlegen, was ich weiter tun kann. Dadurch erlebe ich mich als selbstwirksam und erlebe Kontrolle. Das sind Resilienzfaktoren. Wer sich so als handelnd erlebt, verlässt die Opferrolle.
  3. Make other people happy. Mach andere glücklich. Tue etwas für andere. Wer helfen kann, dem geht es häufig besser.

 

 

 

Wie bleibt man im Lockdown ausgeglichen, motiviert und kreativ?

Zum Thema passt, was mir die Night School gerade geschenkt hat. Vorgestern fand ich beim Aufwachen diese Idee in meiner mentalen Letterbox: Die neue kleine Irlandnews-Serie „How to hang on to lockdown without losing your mind“ – sinngemäß: Wie man im Lockdown bleibt, ohne den Verstand zu verlieren. Irlandnews-LeserInnen im Lockdown geben Antworten auf diese drei Fragen:

 

1. Schaffst Du es, im Dauer-Lockdown ausgeglichen, motiviert oder sogar kreativ zu bleiben – und wenn ja wie und womit?

2. Was vermisst Du im Lockdown am meisten? (Gibt es ein Rezept gegen dieses Fehlen und Vermissen?)

3. Welche Lockdown-Errungenschaft möchtest Du in eine Zeit danach – so es eine geben wird – hinüber retten?

 

Wer hat Lust, mit zu machen? Die Kommentar-Spalte weiter unten ist geöffnet. 

 

Winter Irland Eisbart

Fotos: Markus Bäuchle. Lichtstimmungen im Fünf-Kilometer-Freigehege. Ich lasse mich auf Spaziergängen von Lichtstimmungen inspirieren, versuche, sie intensiv zu erleben und erst danach zu fotografieren. So entstanden die heutigen Fotos.

* Quelle: Spiegel online vom 25. April 2020: Traumaforscherin zur Corona-Krise: Drei Dinge, die Ihre Seele stärken.