Helga und Jerry

 

Im letzten Spätsommer rumorte es im Burren. Plötzlich stand der Tourismus am Pranger. Erstmals protestierten Einheimische gegen Irlands große Erfolgsgeschichte auf. Von Über-Tourismus war die Rede. Ich berichtete am 21. August 2023 hier auf Irlandnews:

“Einheimische begehren gegen den überbordenden Massentourismus auf. In der Burren-Gemeinde Ballyvaughan im County Clare machten frustrierte Bürger Anfang August ihrem Ärger über die Gästeflut Luft, die das Leben der Einheimischen nun vielerorts auch in Irland negativ beeinflusst. Wenn aus Besuchten Heimgesuchte werden, wenn sich die Einheimischen zuhause nicht mehr daheim fühlen, wenn zu viele Menschen, zu viel Verkehr, Unfälle, Lärm und Gestank den sommerlichen Alltag in einen andauernden Ausnahmezustand verwandeln, dann stehen die Tourismus-Entscheider in der Verantwortung: Overtourism, aus den Fugen geratener Massentourismus sorgt nun auch in den Hotspots der irischen Ferienlandschaften zu Konflikten zwischen Einheimischen und Besuchern.

In Ballyvaughan verlangten die aufgebrachten Menschen ihr Leben zurück, sie forderten Rücksicht, Beschränkungen und mehr Mitsprache im Tourismusgeschäft ein. Ihr Protest richtet sich vor allem gegen den überbordenden Tagestourismus der Buskolonnen aus Dublin. Dutzende Touristenbusse verstopfen tagtäglich auf gefährliche Weise die engen Straßen des Burren, verwandeln Hotspots wie Doolin, Kinvara, Liscannor oder Ballyvaughan in Rummelplätze. Die Tagestouristen geben vor Ort meist kaum Geld aus, sie bleiben nur für ein paar Foto-Shoots – und hinterlassen allenfalls ihren Müll. Die große Mehrheit der Besuchten profitiert wirtschaftlich in keiner Weise von den Touristenbussen aus Dublin, die wie Heuschreckenschwärme den landschaftlich faszinierenden Westen der Insel abgrasen.”

Helga Himmelsbach

Helga bei einer Gedenkaktion für Jerry an dem Ort, an dem er starb

Was ich damals nicht wusste: Der Tourismus hatte Wochen zuvor ein Menschenleben gefordert. Am 27. Juli starb Jerry O’Connor (71) auf der N67 in Ballyvaughan. Ein französischer Urlauber hatte Jerry, der auf einem Motorrad, einer kleinen 125er-Yamaha auf dem Weg zur Arbeit war, umgefahren. Der Urlauber, der erst kurz zuvor mit der Fähre aus Frankreich im Hafen von Cork angekommen war, soll auf der falschen Seite gefahren sein. Er steht deswegen vor Gericht. Der Ire Jerry O’Connor war der Mann von Helga Himmelsbach. Das Paar (Foto) war im irischen Westen weithin bekannt und beliebt, es betrieb das Burren Wellness Centre in Lisdoonvarna. Die Deutsche Helga lebte seit dem Jahr 1989 in Irland. Jerry traf sie im Jahr 2007 auf Hawaii. Sie verliebten sich und begannen ein gemeinsames Leben mit gemeinsamen Projekten: Das Wellnes Centre des Paares im Burren verschrieb sich ganz der Gesundheit, bot Physiotherapie und Kurse in Yoga, Meditation und Reiki an. Das kleine Unternehmen florierte.

Als ich mit Helga vor ein paar Wochen sprach, war sie verzweifelt, wusste nicht weiter. Sie hatte aus heiterem Himmel ihre Liebe, ihren Mann verloren. Ihr war zudem die zweite Säule ihres kleinen Betriebs genommen worden. Wie sollte sie das alles schaffen. Jerry fehlte an allen Ecken und Enden. In den Wochen nach seinem schockierenden Unfalltod hatte Helga auf Aktionismus geschaltet. Sie rief zu Gedenkveranstaltungen am Unfallort auf, sie berief das öffentliche Meeting in Ballyvaughan gegen die Auswüchse des Massentourismus ein, sie nahm Kontakt zu Politikern auf. Jerrys Tod sollte nicht umsonst gewesen sein. Helga hoffte, zusammen mit anderen Einheimischen etwas erreichen zu können: niedrigere Geschwindigkeiten auf den heimischen Straßen, weniger Busse mit Tagestouristen, Verkehrsberuhigung.

Zwar wird in politischen Kreisen in Dublin angesichts der erschreckenden Zunahme der Verkehrstoten auf Irlands Straßen eine allgemeine landesweite Reduzierung der Geschwindigkeit diskutiert – verändert hat sich im Burren allerdings noch gar nichts. Die neue Tourismus-Saison rollt bereits. Die örtlichen Politiker flüchten sich, um klare Stellungnahmen gebeten, in Allgemeinplätze. Helga Himmelsbach weiß indes nicht einmal, wie es in ihrem Leben weiter gehen soll. Kann sie mit dem Wellness Center aus eigener Kraft ohne Jerry weiter existieren? Wie soll sie finanziell über die Runden kommen? Zu allem Überfluss ist das Dach ihres Hauses nun schwer beschädigt, der geschickte Handwerker Jerry O’Connor fehlt auch hier. 32.000 Euro kostet das neue Dach. 20.000 kann sich Helga von der Credit Union leihen. In dieser Notlage wurde Brenda Byrne, eine alte Freundin von Jerry und Helga, aktiv. Sie setzte eine Spendenaktion bei GoFundMe auf und bat für Helga um Spenden. Spendenziel: 10.000 Euro.

Bis gestern Abend hatten Freunde, Bekannte und Hilfsbereite insgesamt 7.740 Euro gespendet, damit Helga Himmelsbach in ihrer Wahlheimat Lidsoonvarna weiterhin ein Dach über dem Kopf haben kann. Wer helfen will und kann, ist eingeladen. Die GoFundMe-Kampagne für Helga ist hier zu erreichen: KlicK

 

Fotos: privat