Irland eircomHeute ist ein großer Tag in unserem kleinen Haus in Irland: Heute kommt vielleicht der Telefon-Techniker, der Heils- und Leitungs-Rückbringer, der Hüter des heiligen irischen Kommunikationsgrals. Heute kommt Dermot, der örtliche Eircom-Techniker, und vielleicht repariert er heute unsere drei Haupt-Telefonleitungen, die nun seit dem Monstersturm vor genau zwei Wochen (14 Tagen) in beide Richtungen beharrlich schweigen. Ja er kommt. Vielleicht. Zumindest stand ich gestern vor ihm, einem wirklichen Menschen mit Schnurrbart und breiten Schultern, einem gestandenen Mann aus Fleisch und Blut — und sein Mund sagte die Worte: “Ich komme morgen zu Dir.” Nur Liebeserklärungen könnten schöner klingen.

Ich habe Dermot gestern gesucht und gefunden. Er prüfte in der örtlichen Telefonzentrale im Dorf, einem unscheinbaren Häuschen gleich neben dem Polizeiposten, ein paar weitere Leitungen, die seit den wilden Winterstürmen im Januar und Februar nicht mehr funktionieren. Es sind Zehntausende im Land und hunderte in der Gegend. Vielleicht sollte er all die prüfen, die noch in Betrieb sind, das wäre ein leichterer Job, denke ich mir. Dermot zeigt mir unsere eigene Telefonschaltkarte in der Schaltstation, er prüft sie, der Spannungsanzeiger sinkt kraftlos Richtung “Null”: Dermot´s Urteil ist Fachjargon und doch eindeutig: “Voll geerdet”. Die Leitung ist tot.

Das bestätigt eindrucksvoll, was ich viel zu lange weiß: Drei umgestürzte Bäume und ein abgebrochener Ast haben unsere Telefonleitungen gleich an vier Stellen in die Knie gezwungen. Physisch. Sichtbar. Offensichtlich. Meine Tage seit dem 5. Februar wurden durch das Ritual bereichert, die widerlich freundliche Automatenstimme des Eircom-Kunden-Abwehrsystems möglichst schnell zum Schweigen zu bringen und mich mit einer echten Callcenter-Menschenstimme irgendwo in Limerick, Dublin oder Shanghai (?) zu verbinden.

Am anderen Ende der Leitung allerdings sitzen Menschen, die nichts zu entscheiden haben, die lediglich bestens geübt darin sind, eine hohle Form der Freundlichkeit als ihre einzige Waffe einzusetzen. Wenn sie mit ihren Schwurbel-Routinen nicht mehr weiter wissen, versuchen sie zumindest, Mut zu machen. Ihnen zufolge müssten die Reparatur-Trupps bereits seit fünf Tagen rund um die Uhr in unserer Gegend ackern. Gesehen hat sie niemand. Die Ermunterung der gnadenlos freundlichen Telefonstimme aus Limerick, Dublin oder Shanghai (?) klingt deshalb wie Hohn: “Wahrscheinlich wird Ihr Telefon am Samstagabend wieder funktionieren”. Am Sonntag, am Montag, und auch am Dienstag. Nicht. Natürlich nicht. Denn die drei Bäume und der große Ast liegen noch immer auf der Leitung.

Pünktlich zum Beginn der wilden Weihnachtsstürme hatte die einstige stolze irische Staats-Telekom Eircom, die nach der Privatisierung von gierigen Finanzinvestoren (Heuschrecken) ausgebeint und ausgeplündert wurde, noch einmal fast 1000 Mitarbeiter in Rente und Arbeitslosigkeit geschickt; so war sie bestens unvorbereitet auf das wüsteste Wetter und die schwersten Leitungsschäden seit Jahrzehnten; und während die allgegenwärtige Eircom-Werbung die offenbar so wunderbaren Produkte der Firma in Funk und Fernsehen anpreist, als wäre nichts gewesen, berichten die irischen Medien, dass sich Eircom-Kunden auf vier bis sechs Wochen Wartezeit einstellen müssen, bis ihr Telefon wieder funktioniert. Auch wenn es so scheint: Auf dem Land, fern von den Zentren, gibt es kaum funktionierende Alternativen zur Eircom, der kraftlosen Herrin des Kommunikationsdrahts auf der letzten Meile.

Heute kommt Dermot. Vielleicht — und wenn es ganz gut läuft für uns, hat er eine Rolle Draht dabei, um uns eine neue Leitung daraus zu drehen. Gestern wusste er noch nicht, ob er alleine kommt oder mit dem segensreichen Telefondraht im Gepäck. Doch immerhin hat er als Einziger erklärt, wie die Dinge auf der Insel wirklich stehen: Die Eircom-Reparatur-Trupps im ganzen Land stehen sprichwörtlich auf der Leitung, weil ihnen der Leitungsdraht ausgegangen ist. So schließen wir die Eircom in unser Morgengebet mit ein: Herr gib uns Draht — und danke für unseren täglichen Strom, der mittlerweile wieder fließt.

— >>> EDIT Donnerstag, 20. Februar: Ja, Dermot kam. Allerdings ohne Kabel. Das Warten geht weiter. Es soll jetzt Telefondraht aus Spanien importiert werden . . .

— >>> EDIT Freitag, 21. Februar: Dermot ist einer der Menschen, deretwegen man am Ende einer kompletten Drecksfirma wieder einmal fast verzeiht. Heute morgen stand er plötzlich vor der Tür. Er hatte zwar noch immer keinen neuen Draht dabei, aber er hatte uns und zwei Nachbarn eine provisorische Lösung mit der alten Leitung gebastelt. Sichtlich zufrieden demonstrierte er die wieder funktionierenden Telefone und sagte lakonisch: “Das hält erst mal vier, sechs Wochen. Vielleicht sogar, bis ich in Rente gehe.” Ein Teufelskerl. Meister der Improvisation. Ohne Leute wie ihn könnte Eircom den Laden längst dicht machen. Also Leute, hallo Welt: Ruft uns an. Danke, Dermot! (Im Glücksgefühl vergessen wir nicht, dass noch immer ganze Ortschaften in der Gegend ohne Telefon sind.)

 

Dies war ein weiterer Beitrag aus der Serie: Es ist wunderschön, in Irland auf dem Land zu wohnen — aber man zahlt seinen Preis dafür. 

PS: Das Foto des Eircom-Servicefahrzeugs stammt aus besseren Zeiten. Im Jahr 2000 war die damalige Staats-Telekom noch ein schlagkräftiges Unternehmen. Mittlerweile ist sie geschlagen, zerschlagen und ausgeblutet. Gäbe es da nicht noch einige der alten, engagierten und gegen alle Widrigkeiten gewappneten Mitarbeiter . . .