Bantry West Cork

 

Francis Humphrys hat einen Traum. Er träumt diesen Traum seit vielen Jahren. In diesem Jahr wird Francis 80 Jahre alt. Die Menschen im äußersten Westen von West Cork kennen den Engländer als bescheidenen Mann. Sein Traum ist umso größer: Er will der kleinen Stadt Bantry einen Konzertsaal bescheren, einen Musentempel mit 250 Plätzen und einer Weltklasse-Akustik für Weltklasse-Musiker. Francis hat ein Oxford-Studium in Politik, Philosophie und Ökonomie und einen Doktortitel der London School of Economics. Er war geradlinig unterwegs auf dem Weg der englischen Elite, vor sich eine Karriere als Politiker, Diplomat, vielleicht Firmenchef – und bog dann ab. Seine Leidenschaft für Kultur war es wohl nicht, die ihn vor Jahrzehnten ins ländliche Irland führte und hier Bauer werden ließ. Statt Kunden oder Klienten molk Francis Kühe – und spielte diesen gerne klassische Musik auf seinem Klavier vor.

Wohl weil Rinder auf Dauer ein wenig responsives Publikum sind, begann der promovierte Laien-Farmer in den frühen 90er Jahren, klassische Konzerte in der Dunmanus Bay und der Bantry Bay zu organisieren. 1996 startete er  das West Cork Music Festival in Bantry. Drei Jahrzehnte später pilgert die Kulturszene Irlands jedes Jahr zu drei etablierten Festivals in das Städtchen am Atlantik, 80 Kilometer westlich von Cork City: das Chamber Music Festival, das West Cork Literary Festival and die Masters of Tradition. Für knapp sechs Wochen im Jahr ist Bantry so etwas wie die kleine Kulturhauptstadt Irlands. Das Kammermusik-, das Literatur- und das Festival für traditionelle irische Musik zählen zu den besten Kultur-Events im Land. Francis sei Dank.

 

Bantry Music Center

 

Genug ist nicht genug. Francis ist ein bescheidener Mann mit unbescheidenen Träumen. Sechs Wochen Festival im Jahr sind zu wenig. Das ganze Jahr soll ein Festival werden. Francis wird bald am Ziel sein. Das Genehmigungsverfahren für das Bantry Music Center ist seit einigen Wochen auf den Weg gebracht, die Architekten sind ausgesucht, die Spenden- und Marketing-Maschinerie läuft wie geschmiert. In wenigen Jahren soll unterhalb des gestalterisch eher auffälligen als gelungenen Bibliothek-Gebäudes, einem ikonischen Betonklotz aus den frühen 70-er Jahren, das Bantry Music Center entstehen: heute ein rumpeliger Parkplatz, morgen schon eine Konzerthalle mit Nebengebäuden – etwa Proberäumen für die Ausbildung junger Musiker. Das Gelände am alten Mühlrad soll dann zum Kulturviertel des Orts geadelt werden – was beweisen wird, dass man selbst Dörfer vierteln kann.

25 Millionen Euro soll der Bau des streng nachhaltigen Francis-Tempels nach ersten Berechnungen kosten. Das sollte gelingen. Der Staat wird großzügig zuschießen, wohlhabende Kultur-Connaiseure in der Region werden sich wohltätig zeigen. Der Alltag beginnt danach. Dauerbetrieb: Über 52 Wochen im Jahr wird man das Zentrum dann auslasten müssen, es ständig mit tollen Künstlern und einem noch tolleren Publikum „aus der Region und aller Welt“ füttern müssen. In Bantry leben weniger als 3000 Einwohner, im Umkreis von 15 Kilometern 12.500.

Francis Humphrys hat einen Traum. Einen schönen alten Traum, der so herrlich in die Aufbruchstimmung des letzten Jahrhunderts passte, als es um diesen Planeten noch besser stand. Als wir ungehemmt reisten und uns keine Gedanken machten um die fatalen Konsequenzen unserer frivolen Massenmobilität. Viele Menschen werden künftig Woche um Woche viele Meilen zurücklegen, um aus Spaß hierhin zu reisen, wo wenige Menschen leben – um im Denkmal für einen bescheidenen Mann in der äußersten Provinz der Insel Irland die schönen, aus der weiten Welt importierten Künste auf Weltklasse-Niveau zu feiern.

Für alle, die diesen Schluss zu negativ und zu pessimistisch finden: Alles gut. Das ist nicht Fitzcarraldo in West Cork, das ist breit akzeptierter Kultur-Konsum in der taumelnden Überflussgesellschaft. Es könnte wirklich schlimmer kommen für Bantry und Umgebung. Erspart bleiben uns (bis auf weiteres): Ein Motodrom für Tourenwagen-Helden, eine Conor McGregor gewidmete Event-Halle für Mixed Martial Arts-Kämpfe, ein Sortierzentrum von Amazon, ein  . . .


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Fotos: Modell des Bantry Music Center, erstellt vom Wettbewerbs-Gewinner McCullough Mulvin Architects, Dublin (unten). Bantry unweit des künftigen Kulturviertels: Markus Bäuchle