Covid Ireland

 

Ist es nicht schön, wie man sich über Kleinigkeiten freuen kann? Die Zoo-Direktion in Dublin¹ hat gestern beschlossen, dass es ab dem 12. April, also nach 101 Tagen im super-scharfen dritten Lockdown, mehr Freigang geben soll  (. . . aber nur, wenn wir nicht vorher kollektiv in die Monster-Inzidenz abstürzen und unter eine vierte Welle geraten). Das Fünf-Kilometer-Freigehege der letzten dreieinhalb Monate wird dann kontrolliert geöffnet und wir² dürfen uns im gesamten County bewegen. Im gesamten County! Ist das nur Freude oder schon Dankbarkeit?

Welch ein Glück, welch ein Segen, dass wir in der flächenmäßig größten Grafschaft der Republik wohnen, im County Cork. Alles richtig gemacht damals beim Umzug. Ans andere Ende im Osten von Cork sind es gut über 100 Kilometer. Freedom! Die City ruft. Cork City. So sieht Freiheit aus ­­­- zumindest wenn grad mal Pandemie ist.

Damit nicht genug: Da wir nahe an der Grenze zum nächsten County leben, dürfen wir dann auch noch 2o Kilometer tief ins County Kerry vorstoßen, fahren, wandern oder radeln. Unser neuer Leuchtturm der Freiheit heißt Kenmare, County Kerry. Kenmare, Neidin, wir kommen! Allerdings erst nach Ostern. Bis dahin wird noch einmal solidarisch eingesessen.

Wir werden uns später einmal viel verzeihen müssen, hat ein inzwischen verblasster Jungstar der deutschen Politik zum Anfang der Pandemie mal orakelt. Wahrscheinlich werden wir uns auch viel wundern müssen über unsere kollektiven Fehleinschätzungen, und mutmaßlich werden wir dereinst viel ablachen müssen, damit die Bad Feelings nicht in uns kleben bleiben und uns dauerhaft verseuchen.

 

Say no and go. Nein sagen und Ja machen

 

Der strenge irische Dauer-Lockdown, der im März 2020 begann und zweimal – im Sommer 2020 und fürs Weihnachtsdebakel – kurz unterbrochen wurde, wird also mit leichten Lockerungsübungen zunächst bis in den Mai oder Juni verlängert. Ab dem 12. April, nachdem die Osterbesuche alle nur inoffiziell und illegitim, (hmm, illegal?) absolviert sind, dürfen sich Mitglieder zweier Haushalte sogar wieder im Freien treffen. Unglaublich. Aus Sicherheitsgründen allerdings nicht im eigenen Garten. Auch die Spitzensportler:innen vom Gaelic Football dürfen ab Ende April wieder straffrei trainieren, und am 26. April öffnen die Zoos. Die Zoos? Das verwirrt mich jetzt . . .

Noch besser: Die Bauindustrie darf am 12. April 2021 wieder ran. War der nicht schon? Pat the Builder packt den Helm aus. Merkwürdig: Hier auf der grünen Insel wird seit Monaten gebuddelt und gebaut, als gäbe es keinen Lockdown. Aus grün wird braun und grau. Inoffiziell halt. So wie sich die Menschen hier nur ganz inoffiziell besuchen, Parties und Familienfeste feiern.

Das Kleeblatt-und-Harfen-Motto ist populärer denn je: Say no and go. Nein sagen und Ja machen. Wir treffen uns (nicht). Wir bauen (nicht). Wir bewegen uns (nicht) nur im Fünf-Kilometer-Freigehege­ und treffen dabei (nicht) nur fremde, sondern auf dem Parkplatz von Lidl (nicht ganz) zufällig auch verwandte und befreundete Menschen, mit denen wir dann nicht nur  . . .  Stopp!

 

 

Diese Pandemie-Bekämpfung, dieser Krieg, wie der kleine französische Sonnenkönig³ sie nannte, kann doch nur mit unserer schärfsten Waffe gewonnen werden:  Der SO-LI-DA-RI-TÄT. Wir alle stehen füreinander ein. Hier kommen wir nur gemeinsam durch. Die Vielen auf der Ruderbank des Existenzkampfs, die Auserwählten beim Zahnarzt auf Teneriffa.

Wenn die Zoo-Direktion an die Solidarität im Zweiklassen-Gesundheits-System appelliert, wird mir heiß ums Herz. 46 Prozent der Bevölkerung erkaufen sich mit Privatversicherungen Zeit und eine Vorzugsbehandlung im (Privat-) Krankenhaus.  Man nennt das Vordrängeln mit der Brieftasche. Die Märchen von der fairen medizinischen Versorgung für Alle oder vom Impfen in der Reihenfolge der Bedürftigkeit werden dennoch gerne, oft und variantenreich erzählt.

Nur ein Zufall deshalb, dass die erste und einzige Fach-Station zur Behandlung der Langversion der Krankheit (Long C) in einer Privatklinik in Dublin aufgemacht hat. Dort kommt nur rein, wer bei der Biopsie seines Geldbeutels positiv getestet wird (Danke, Fintan O`Toole für diesen feinfühlige Formulierung). Nur ein Zufall auch, dass die Leitung dieser Klinik den Lehrern einer Schule und den Erzieherinnen einer Kinderkrippe Impfdosen zugeschustert hat. Zufall, dass dort die eigenen Kinder beschult und betreut werden. Und ein derber Witz, dass die Klinik The Beacon heißt. Leuchtfeuer. Das Leuchtfeuer der Solidarität (der Anderen).

 

Das Grummeln im Land zwischen den Meeren hat sich zum Grundrauschen verdichtet. Der Unmut steigt, das Vertrauen in die Zoo-Direktion in Dublin schwindet. In God we Trust. Alle anderen zahlen bar. Oder nehmen im Unterdeck Platz.

 

 

PS: Da ist dann noch die Sache mit den Impfprivilegien. Ab sofort dürfen sich zwei geimpfte Menschen in geschlossenen Räumen (!) begegnen -­ ohne Maske und Abstandshalter,­ wenn sie die komplette Impfung mindestens zwei Wochen intus haben. Der Mitmensch als Marien-Erscheinung, zum Anfassen nah. Ob es die zwei Menschen hier auf der Insel schon gibt? Na klar. Aber ob sie sich auch kennen, sich aufgrund ihres hohen Alters noch bewegen können und sich auch begegnen wollen?

Zumindest ist nun die theoretische Grundlage für die neue Apartheit gelegt: Geimpfte dürfen früher Mehr. Die Impfschlacht hat begonnen. Wartet nur, bis der Impfpass kommt . . .

 

PSPS: Diese Text kommt wie geplant ohne das C-Wort aus. Noch mehr kleine Freude . . .

Anmerkungen:
1   Irlands Regierung
2  Die Menschen in Irland
3  Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

 

Fotos: Markus Bäuchle