Gestern nacht im Pub zwei spannende Diskussionen: Der Wanderer will wissen, warum es in Irland – im Gegensatz zu Griechenland oder Island – keine Massenproteste gegen den finanziellen Ausverkauf des Landes und dagegen gibt, dass die Bürger die Schulden der Banken bezahlen sollen. Immerhin sind viele Iren stolz auf ihren anarchisch-rebellischen Ruf, dem sie derzeit so gar nicht gerecht werden.
Plausible Antwort: Die Mittelschicht hat erst mal gewählt und hofft, dass die neue Regierung vieles anders macht. Noch wichtiger: Bei den sozial Schwächeren im Land ist die Krise noch gar nicht angekommen: Die Sozialhilfe-Leistungen („the dole“) wurden bislang kaum gekürzt, Deflation und Preissenkungen haben mögliche Verluste mehr als ausgeglichen. Vor allem aber: Die Iren haben erstmals gelernt, Preise zu vergleichen und sparen dadurch viel Geld.
Überraschend, aber plausibel: Bis vor zehn Jahren gab es im irischen Dorf das Lebensmittelgeschäft, der Monopolist im Ort diktierte die Preise, man und frau hatte keine Wahl. Man kaufte, was da war zum Preis, der nachgefragt wurde. Dann kam der Keltentiger – und Paddy und Mary zahlten für Milch, Fleisch, für Autos und Häuser fast jeden Preis. Sie kauften, was direkt vor Ihrer Nase auftauchte. Preis egal. Das „One-Stop-Shopping“ hat nun ein Ende, es gibt Auswahl und es gibt Konkurrenz – und erstmals haben auch irische Konsumenten die Gelegenheit, sich als mündige preisbewußte Verbraucher zu verhalten und zu sparen.
Die Kehrseite der Medaille: In diesem Jahr wird die Wirtschafts-Krise auf weite Teile der Bevölkerung merkbar durchschlagen. Was dann?
Die zweite Diskussion des Abends: Viele Iren wollen unbedingt wissen: Haben die tausende Negatvischlagzeilen über Irland in den vergangenen zwei Jahren dem Land geschadet? Sind die Iren jetzt die hässlichen schwarzen Schafe der großen europäischen Famlie? Hat Irland es vermasselt? („Are we f***ed?“) Werden die Touristen die Grüne Insel in diesem Jahr meiden, weil Deutsche und Franzosen keine Lust haben, die Schulden der Iren zu bezahlen und diesen dann auch noch ihr Urlaubsgeld zu spendieren? Die professionellen Tourismuswerber Irlands sagen erwartungsgemäß: Der gute Ruf Irlands in der Welt hat nicht gelitten, im Gegenteil, es kommt nun noch ein Mitleids-Bonus obendrauf. Die Freunde im Pub sind da nicht so sicher: Sie haben Angst um den guten Ruf, Angst, nicht mehr die Darlings der Welt zu sein.
Was meint Ihr? Hat der Ruf Irlands gelitten? Hält die Wirtschaftskrise Menschen davon ab, auf die Insel zu fahren?
Nach ein paar wirklich ärgerlichen Erfahrungen mit der Gier-Mentalität irischer Bauern und dem prolligen Benehmen verwöhnter irischer Kiddies im vergangenen Jahr wollte ich eigentlich eine längere Irland-Pause einlegen. Zumal ich überhaupt keinen Bock darauf habe, wenn Deutsche als mitverantwortlich für den finanziellen Mega-Crash diskreditiert werden.
Das faire Angebot meiner Cottage-Vermieterin in Donegal hat mich nun allerdings motiviert, mir vor Ort einen Eindruck zu verschaffen, wie sich Stimmung und Mentalität seitdem verändert habe. Also: Im Juni bin ich wieder für 14 Tage auf der Insel.
„Man denke an eine Woche Hausboot am Shannon oder Erne für eine Familie mit 4 Kindern + Verpflegung + Flüge und Nebengeräusche. Da sind im Nu 4 Tausender weg. Darum hatten die auch in den letzten 3 jahren massivste Auslastungsprobleme. “
Das stimmt so nicht: Mietboote sind in Irland deutlich günstiger als vergleichbare Boote in anderen europäischen Bootsrevieren. Die „massiven Auslastungsprobleme“ sind nicht das Resultat hoher Preise, sondern eines Überangebotes, für das vor allem die großen Anbieter gesorgt haben. Jetzt, in der Saison 2011, gibt es rund 40 Prozent weniger Mietboote am Shannon als in 2007 – und die Auslastung sieht recht gut aus. Zum Vergleich: hier findet man unsere Mietpreise aus dem Jahr 2002 http://www.waveline.ie/ger/prices02.htm und hier die aktuellen http://www.waveline.ie/ger/prices.htm. Viel Spaß und beim Vergleichen – Überraschung garantiert, die Preissteigerung innerhalb von zehn Jahren ist deutlich niedriger als jede Inflation! Und nun fangen wir nochmal an, mit dem Thema der hohen Mietpreise bei Booten!
Ich glaube nicht, dass Irlands Ruf einen Schaden erlitten hat. Den meisten Mitteleuropäern ist das Land gleichgültig: Der Einbruch wird mit „ist eben ein kleines Land mit wenig Industrie“ abgetan, dem hat man eh nicht viel zugetraut. Eher hatte man sich über den Celtic Tiger gewundert.
Die Griechen hatten es als „schwarze Schafe“ sicher schwerer, weil sie die ersten waren, die den „Schirm“ brauchten.
Meine Urlaubspläne hat das nicht beeinflusst: ich habe weder das Gefühl, dass ich damit „den Iren“ die Schulden bezahle (das mache ich wohl eher mit meinen Steuergeldern), und aus Mitleid komme ich auch nicht. Das wäre wohl auch eine schlechte Basis für eine Urlaubs-Entscheidung, das geht ja so in Richtung Katastrophentourismus – nichts für mich.
„Nicht mehr die Darlings der Welt zu sein“ – ist das denn wichtig? Das passt zu dem hanebüchenen Wunsch nach einem Klischee-Irland („Alle Iren sind lustig, freundlich, trinkfest, und jeder mag sie“). Vielleicht ist die gegenwärtige Situation mal eine Gelegenheit zu schauen, wie man sich denn selbst so findet, und ob man da mal etwas dran drehen möchte. Ist doch so: wenn man sich selbst mag, wird man auch von anderen gemocht. Die Iren müssen sich selbst gut finden, und ich glaube, das tun viele gerade gar nicht, und wollen ihr angematschtes Selbstbewusstsein gern von außen wieder aufpäppeln lassen. Sowas funktioniert aber nie. Da muss schon eine echte interne Veränderung her, und zwar so, wie sie zum Land und zum Volk passt. Völlig wurscht, was das Ausland denkt.
klar haben „mary + paddy“ jeden Preis bezahlt, und zwar für alles; wäre bei uns genau so gewesen; Gier ist kein irisches Phenomen. Ich hoffe doch sehr dass ein neues Preisbewußtsein eintritt, und nicht für jede Unart, seien es überteuertes Essen im Restaurant, abenteuerliche B&B Preise oder sonstige Unarten die Hand aufgehalten wird.
Die Schönheit der Insel und die Freundlichkeit der Iren, das Licht und die Luft, wird diejenigen, die dem Land verfallen sind nicht abhalten es weiterhin zu besuchen. Und das ist auch gut so; und – by the way – wir (unsere german banks) haben einiges dazu beigetragen, dass der Crash so hart ist.
Liebe Iren! Lest auch, wieweit in vielen anderen europäischen Ländern die Politik massiv an Vertrauen verloren hat! Laut ganz aktuellen Umfragen in Österreich stehen die zwei Regierungsparteien bei etwa 20%, wobei neu dazu auch das Vertrauen in die Justiz extrem abgenommen hat (aufgrund verschleppter Fälle mit Korruptionshintergrund). In Finnland stehen am Sonntag Wahlen an und den Rechtspopulisten wird ein Erdrutschsieg vorausgesagt. Ihr seid also und sowieso mit euren Skandalen nicht allein. Leider würde zynisch klingen. Die Bürger Europas akzeptieren offenbar immer noch wie hypnotisiert, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden (irgendwie schon abgedroschen, aber wahr). Es geht uns wahrscheinlich noch nicht schlecht genug, um auf die Straße zu gehen. In Österreich geht´s noch nicht an die Wurschtsemmel, aber es wird massiv in der Bildung (vom Kindergarten bis zur Uni) und Forschung und etwa auch in der Pflege und im Gesundheitssystem eingespart. Fällt jetzt noch nicht so auf, hat aber weitreichende Folgen. Und auch bei uns haben die populistischen Rechtsparteien immer leichteres Spiel. Es gehört an sehr vielen Schrauben gedreht, aber wer macht das und wie?
Ich glaube halt, es geht um grundlegende Richtungsänderungen, nicht nur in Irland sondern überall.
Ich komme sicher auf die grüne Insel, solange es nur irgendwie geht, weil ich das Land und die Menschen liebe….
Schönes Wochenende
Elisabeth
Ich denke, dass die Menschen, die sich von populistischen Parolen dieser Art beeinflussen lassen, eher in All-inclusive-Bunkern in Dom-Rep oder Malle zu finden sind. Ich glaube, dass der klassische Irland-Urlauber / Interessent durchaus zwischen Politik und Volk differenzieren kann und das auch tut.
Klar, der Ruf hat gelitten und zwar massiv! Dazu kommt noch, dass Irland auch für Deutsche, Österreicher, Franzosen, etc. in den letzten Jahren immer teurer geworden ist. Man denke an eine Woche Hausboot am Shannon oder Erne für eine Familie mit 4 Kindern + Verpflegung + Flüge und Nebengeräusche. Da sind im Nu 4 Tausender weg. Darum hatten die auch in den letzten 3 jahren massivste Auslastungsprobleme. Das aber nur am Rande!
Irland ist teuer! Und zwar wesentlich teurer, wenn ich alles (tägliches Leben, Gastro(!), etc.) mit Österreich vergleiche. Aber, wer es sich bis jetzt leisten konnte und auf der Insel Urlaub machte, wird das auch künftig tun. Landschaft und Menschen sind der Grund warum Irland so beliebt ist. Der Grund, warum ich nach Irland fahre oder nicht, hat nichts mit schlechtem Wirtschaften, etc. zu tun.
Außerdem in welchen Urlaubsländern ist es anders? Griechenland, Portugal – die haben das gleiche Problem. Spanien kommt möglicherweise als Nächstes dran. Was in Italien alles vergraben ist, will momentan gar keiner wissen. Gleichzeitig hat Europa im südlichen Mittelmeer eine neue Front eröffnet. Skansinavien ist noch teurer, und, und, und ….
Irland ist 2011 zwar keine Insel der Seligen, hat aber trotzdem nichts von seiner Schönheit und der Gastfreundschaft seiner Bewohner verloren. Darum komme ich heuer wieder – nur diesmal besuche ich das keltische Kätzchen.