Irland Natur Retreat

Blick auf den Weißen Strand, rechts ‘Beiginis’, die kleinste Insel der Blasket-Gruppe

 

Great Blasket Island: Was macht diesen zeitlosen Ort, an dem die Seelen der Vergangenheit und der Gegenwart untrennbar miteinander verknüpft sind, so besonders? Was macht den Insel-Spirit heute aus? Wenn wir unseren gehetzten Alltag für einen Moment verlassen und uns darauf einlassen, die Natur um uns und in uns zu spüren und zu schätzen, erhalten wir Antworten. Wenn wir wahrnehmen, wie wichtig unsere Verantwortung ist, diese Natur zu erhalten, dann begreifen wir: Nur so können wir uns selbst erhalten.

Von Sandra Böttcher
Die Autorin verbrachte einige Sommertage vor der Küste von Dingle in der Stille der Great Blasket Insel. Hier schildert sie ihre Eindrücke.

* * *

“Drei Meilen vor der Küste der Grafschaft Kerry, am äußersten Westrand von Irland, liegt die Great Blasket Island, die Gemeinde, die Amerika am nächsten ist, wie die Einwohner damals sagten. In der Weltliteratur ist Great Blasket ein einzigartiger Fall. Einst lebten hier rund 150 irisch-sprachige Fischer und Bauern, die auf der oft nur schwer erreichbaren Insel ein überaus karges Dasein fristeten. Dennoch sind auf engstem Raum drei außergewöhnliche biografische Bücher von ebenso literarischem wie ethnografischem Wert entstanden, die zu den Klassikern der gälischen Literatur zählen und in viele Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt wurden:

„Die Boote fahren nicht mehr aus“ von Tomás O’Crohan, „Das Meer ist voll der schönsten Dinge“ von Maurice O’Sullivan und „So irisch wie ich“ von Peig Sayers, der „Königin der Geschichtenerzähler“.

 


Hier auf Great Blasket hatten sich die irische Sprache, die keltische Denk- und Ausdrucksweise und die erzählerische Tradition der Kerry-Gaeltacht beinahe unversehrt bewahrt. Die Inselbewohner waren eine verschworene Gemeinschaft, die den Elementen trotzte.

O’Crohan hat in seinen Aufzeichnungen den Charakter der Inselbewohner geschildert, „denn Leute wie uns wird es nie mehr geben“. Und es heißt, diese Menschen seien die glücklichsten der Welt gewesen…

Vielleicht, weil sie mit wenig Wohlstand und Reichtum ein schönes Leben gelebt haben, weil äußere Armut mit innerem Reichtum ausgeglichen wurde?

Heute ist die Insel unbewohnt, die letzten 22 Bewohner wurden im Jahr 1953 wegen der unwirtlichen Umstände umgesiedelt.

 

Blick auf das Dorf um 1920, in der Mitte (Ruine) wohnte Peig Sayers, als sie “in die Insel heiratete”.

Ich besuche die Insel und stehe am „Eingangstor“ einer älteren und einfacheren Welt. Für mich ist es kein alltäglicher Urlaubs-Zwischenstopp, sondern eine Reise in das Herz von etwas Außergewöhnlichem. Hier stehen zwar noch Ruinen, aber es sind keine leeren Plätze, es ist vielmehr eine Stätte der Vergangenheit, und diese ist auf unsichtbare Weise voll von Präsenz der Menschen, die einst hier beheimatet waren. Hier hat die Inselgemeinschaft zusammen gelebt, gelacht, gearbeitet, gefeiert, getrauert und geweint. Die Menschen redeten nicht davon, „auf“ die Insel zu fahren. Sie fuhren „in“ die Insel.

 

Das alte Dorf, “The Island Village”

Schönheit, Stille und einzigartige Natur. Ich wandere über die Insel, folge den Spuren der Schafe auf dem Grat und sehe in der Ferne die Bergkuppe der Great Blasket Island. Die Luft ist frisch und klar und es riecht nach Abenteuer. Das Gelände fällt auf beiden Seiten steil ab. Mehrfach halte ich an und blicke ehrfürchtig über die zerklüfteten, steilen, dunklen Klippen. Nichts liegt neben mir als die blaue Tiefe des Meeres, wo sich die Wellen brechen. Das Gras und das Moos geben unter den Schritten nach, der Boden ist weich und torfig. Alle Geräusche scheinen von der Insel geschluckt zu werden. Eine wunderbare Stille breitet sich aus, einzig Silbermöwen kreisen in der Ferne.

Die massive Nordflanke kommt zum Vorschein, und einige Kilometer entfernt in westlicher Richtung ragt eine außergewöhnliche Pyramide aus dem Meer, die kleine Insel ‚Tearacht’. Man kann sie leicht mit Skellig Michael verwechseln.

 

Unterwegs auf dem Schafspfad, im Hintergrund ‘Tearacht’, die westlichste der Blasket Inseln

Der höchste Punkt der Insel, der Gipfel Cró (290 Meter), erhebt sich vor mir. Dort angekommen setze ich mich auf ein Graspolster und genieße eine herrliche Aussicht. Der Himmel über mir spannt sich schier endlos aus – unbegrenzte Weite, unbegrenzte Freiheit. Es ist kaum zu benennen, aber greifbar zu spüren. Im Süden Skellig Michael, gen Südosten Iveragh im Sonnenschein, nach Osten die Dingle Bucht und Slea Head, ein Stück dahinter der Mount Brandon.

 

In der Ferne das Festland, die Dingle Bucht, Slea Head

Ich fühle mich fast wie am Ende der Welt und bekomme eine Ahnung von der Ursprünglichkeit und der Direktheit der mich umgebenden Landschaft. Es fühlt sich wild und rau an, gleichzeitig bewegt die Einsamkeit und Schönheit. Ein sattes Gefühl von Zufriedenheit durchströmt meinen Körper. Ich fühle mich lebendig und gestärkt. Ein wunderbarer Moment. Mein Herz wird weit, Gedanken kommen zur Ruhe. Ich spüre einen tiefen Frieden in mir und mit der Natur. Herz und Seele stehen in besonderer Beziehung zu diesem schönen Ort, hier ist alles echt und friedlich, direkt und ehrlich.

 

Im Hintergrund Inishvickillaune, Inis na Bró und Tearacht

Ich verweile an den Klippen und lasse die Gedanken schweifen. Gibt es heute noch eine „Wildnis“? Ist es ein Ort, den der Mensch (noch) nicht verändert, oder aber einer, an den er noch keinen Fuß gesetzt hat? Genau genommen gibt es heute vermutlich kaum ein Gebiet auf Erden, das von menschlicher Aktivität völlig unberührt wäre.

Gerade in Zeiten unserer katastrophalen ökologischen Versäumnisse empfinde ich diesen besonderen Platz, das heute verlassene Dorf mit charakteristischen Merkmalen, und die Schönheit der Natur als besonders wertvoll.

Wieder bewundere ich die Insulaner, die ein hartes und entbehrungsreiches Leben führten, ohne Strom, technische Hilfsmittel, Maschinen und Internet. Wie es wohl damals war, als es nur um Elementares ging, um Brot und Fische, um Kartoffeln und Torf, um Leben und Tod? Wenn die Männer, meist Nichtschwimmer, in ihren offenen Booten durch die schwere Brandung zu den Fels-Höhlen ruderten, um Robben zu fangen. Nur mit Knüppeln bewaffnet…


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Wie der Alltag aussah, wenn in kalten, nassen Wintermonaten draußen die See tobte, die Insulaner für Wochen von der Außenwelt abgeschnitten waren, kein Arzt oder Priester Beistand leisten konnte, das Essen knapp wurde und man noch enger zusammenrücken musste.

Diese Menschen mussten akzeptieren, dass sie von den Elementen abhängig waren – und sie hatten durch ihren stetigen Aufenthalt in der Natur ein Gefühl des Respekts und der Demut. Die See war für die Inselbewohner nicht nur eine Nahrungsquelle, sondern auch ein lebendiges Element des Schreckens und der Bewunderung.

 

„Der Wind tobte mit unermesslicher Stärke die ganze Nacht hindurch, und das winzige Kanu und der Mann wurden durch die Dingle Bay vor dem Wind dahin gefegt bis zur Melkzeit des folgenden Tages … er war ganz mutterseelenallein durch den Sturm gekommen, und man wunderte sich, dass er nicht vom nackten Schrecken gestorben war in dieser langen, endlosen Nacht“ (Tomás O’Crohan, “Die Boote fahren nicht mehr aus”).

Zwei Nächte auf der Insel, ohne Elektrizität und Internet, aber in einer einfachen, gemütlichen Unterkunft. Die Besinnung auf das Wesentliche, dem Abstreifen von allem Aufgesetzten und Äußerlichen, das hört sich radikal an. Ich bin hergekommen um nachzufühlen, wie es wohl damals war, und erlebe hier auf der Insel die materielle Reduktion als eine Art Entschlackung. Ich spüre Demut und Respekt vor der damaligen Lebensweise und empfinde gleichzeitig ein Schamgefühl für unseren verschwenderischen Umgang mit den natürlichen Ressourcen heute. Mal etwas spartanisch und „tief“ leben und intensiv die bewirtschafteten Gebiete meiden – das erdet ungemein.

Gänsehaut überkommt mich in der ersten Nacht. Der Wind zieht hinein durch das offene Fenster und jede Ritze im Mauerwerk. Ich werde aufgeweckt durch markerschütterndes, menschenähnliches Geschrei: Manx shearwaters. Diese Puffin-Vogelart kommt nur in der Dunkelheit an Land, um in Höhlen zu brüten. Es ist die viertgrößte Kolonie in Irland. Ihre schauerlichen Rufe dienen der Korrespondenz mit ihren Partnern „auf See“. Es wird gesagt, dass diese Rufe den Klagen und dem Jammern der Banshee zuzuordnen sei, einer Feenfrau in der irischen Mythologie, die den Tod eines Familienmitglieds ankündigt…

In den frühen Morgenstunden werde ich erneut geweckt: Das größte Treffen von Säugetieren in Irland findet am Weißen Strand (White Strand) statt, eine Kolonie von Robben gibt ein sonderbares Konzert, ein einziges Jaulen, Rufen und Heulen. Es zieht mich früh am Morgen zum Strand, ich bin ganz allein mit den ‚Grey Seals‘ und um mich herum das immerwährende Geräusch der Wellen und die silbrig glänzende See.

 

Die große Robben-Kolonie am frühen Morgen

Es ist nun „ihre“ Insel, und die Robben-Kolonie ist nur da, weil Menschen vor langer Zeit Great Blasket verlassen hatten. Nun liegen sie dort, bananenförmig gekrümmt, früher mehr als tausend Exemplare, heute noch ein paar hundert. Es ist eine Freude zuzusehen, wie sie um Platz mit ihrem Nachbarn buhlen, sich gegenseitig kratzen, mit Ebbe und Flut wandern. Für mich ist es ein Naturspektakel, eine tiefe emotionale Empfindung.

Wie lange werden sie wohl noch ihren Platz weitestgehend ungestört haben?

 

Magische Momente, Stille, Frieden.

„Ich setzte mich auf den Wall über dem Strand, von wo aus ich eine herrliche Aussicht rundherum hatte. Das Herz muss wirklich schon tot sein, wenn die balsamischen Seelüfte nicht mehr Kummer und Gram daraus vertreiben können“. (Peig Sayers, Peig)

 

Es ist meine Hoffnung, dass wir die Liebe zur Natur, die wir als naturgeschichtliches Erbe in uns tragen, verwandeln in verantwortungsbewusstes, gesellschaftliches Handeln – und unseren Lebensraum besser schützen. Handeln für eine Welt, in der nicht nur wir, sondern auch unsere Nachkommen leben wollen.

Schon Goethe sagte über die Natur: Sie ist alles.”

 

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Zwei berührende Videos über die Insulaner:

The Last Islandman returns to his birthplace, the Great Blasket (The Telegraph): Klick

The Island (Sherlock Music): Klick

Fotos: s/w, OPW, The Office of Public Works (5);  Sandra Boettcher (7)