Quo vadis?

Suffizienz lässt sich als Zurückweisung all dessen verstehen,
was die Schönheit dieser Welt verschüttet oder zerstört.
Niko Paech, Postwachstums-Ökonom

 

Dieser Sommer geht allmählich zu Ende. Er wird uns als der Sommer der Feuer und der Fluten in Erinnerung bleiben. Die Jahrhundert-Katastrophen kehren nun im Jahrestakt wieder. Was werden uns der kommende Herbst und Winter bringen? Eine Verschnaufpause? Und was der nächste Sommer? Mehr Gluthitze und Trockenheit, Monsterregen und zerstörerische Fluten? Und bald schon auch Durst und Hunger? Wir werden uns daran gewöhnen, dass wir diesen bislang nur als Fernseh-Bilder aus fernen Ländern bekannten Gefahren nun schmerzhaft mit dem eigenen Leib ausgesetzt sind. Auch die Zerstörungskraft der Klimakrise hat sich globalisiert.

Es ist alles geschrieben und alles gesagt über den menschengemachten Klimawandel, die Klimakrise, die neue anbrechende Heißzeit. Jetzt müsste nur noch gehandelt werden – und dazu auch noch richtig, schnell, konsequent und weltweit. Mit grüner Technologie, einer grünen Wirtschaft und natürlich mit grünem Wachstum könnte der Hebel umgelegt, die Klimawende geschafft werden. Wirklich?

Seit langem frage ich mich, wer angesichts der planetaren ökologischen Krise ein Interesse daran hat, alle Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zu fokussieren. Diese ökologische Krise ist so vielfältig wie lebensbedrohend und dramatisch. Die Vernichtung nicht-menschlichen Lebens durch Nutztier- und Agrar-Wirtschaft verursacht eine Massenausrottung der Tier- und Pflanzenarten. Die Wälder brennen. Die Meere sterben durch Plünderung, Sauerstoffarmut und Vermüllung. Dazu kommen Luftverschmutzung, Bodenverlust, Wasserknappheit, Wasserverunreinigung durch endokrine Disruptoren und das globale Plastikmüll-Desaster. (Ganz zu schweigen von der Gefahr durch chemische Altlasten, durch atomare Verseuchung und durch die Verwüstungen von zahlreichen Kriegen. Zumindest das Problem der Überbevölkerung wird sich in absehbarer Zeit lösen).

Der von Menschen verursachte ökologische Kollaps naht. Wir alle können es sehen: Hier verschwindet ein Wald für eine neue Fabrik, dort ein Feld für neue Häuser und ein anderes für noch eine lustige Freizeitbeschäftigung, und dort ein ganzer Landstrich für eine Straße, eine Stromtrasse, neuerdings für einen Windpark. Selbst die Gärten um unsere Häuser verschwinden zugunsten von Outdoor-Küchen, Swimmingpools, Parkplätzen, Hüttchen und Steinwüsten. Wir brauchen immer noch mehr Platz. Flächenfraß. Wir alle können ihn sehen  – und wir machen weiter so, als ob nichts wäre (wenn auch mit diesem sehr unguten Gefühl, dass gar nichts mehr in Ordnung ist).

 

 

Aber wir reden. Man müsste. Ja. Man müsste mal. Und die Politik müsste endlich. Diese egomanen Versager in Berlin, Paris, Washington, die nur an sich denken. Ja, die Politik redet nur. Sie macht Pläne, für eine ungewisse Zukunft. Planen ist einfach, einfacher als Handeln. Doch wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Die erste Partei, die unseren ökologischen Suizid wirklich stoppen wollte, würden wir sofort in die Bedeutungslosigkeit abwählen. Deshalb wagt heute keine einzige der relevanten politischen Parteien, uns reinen Wein einzuschenken.

Die Politiker fürchten uns Wahlzettel-Bürger: Denn von unserem Wohlstand, von unserer verantwortungs-freien Freiheit und unserem Lebensstandard wollen wir uns nichts nehmen lassen. So legen sich selbst die einst revolutionären Grünen nun krumm, erzählen uns die große Lebenslüge vom grünen Wachstum und vom Green New Deal, um bloß nicht als Verbotspartei vernichtend abgestraft zu werden. Sie predigen das Weiter so mit anderen Mitteln und wollen uns glauben machen, dass alles wie immer sein würde, wenn wir nur vom Benziner aufs E-Mobil umstiegen, und dass diejenigen, die diese Krise verursacht haben, sie nun auch lösen würden: Die frei vagabundierenden Kräfte des globalen kapitalistischen Wirtschaftens. Nur dann und wann fordern einige Demonstranten auf bunten Transparenten “Systemwandel statt Klimawandel”. Doch wer will das lesen?

 

Die Lage in Irland ist nicht wesentlich besser

Wenn ich hier am Meer sitze, am irischen Atlantik, die Augen schließe und den Augenblick genieße, dann könnte ich meinen, die Welt hier sei noch völlig in Ordnung. Immerhin gilt Irland im Angesicht globaler Großkrisen als eines der fünf sichersten Länder auf diesem Planeten. Doch auch in Irland steigen die jährlichen Regenmengen, die Temperaturen, und mit ihnen der Meeresspiegel: seit den frühen 90-er Jahren jeweils zwei bis drei Millimeter pro Jahr. So ist der Meeresspiegel um rund fünf Zentimeter gestiegen, seit wir an diese Küste zogen. Das Meer um Irland ist zunehmend leer gefischt, dafür steigt der Plastikmüllanteil – und statt wilder Lachse wachsen toxische Zuchtlachse in gigantischen Farmen heran.

Das Land, die Flüsse und das Meer sind mit künstlichem und natürlichem Dünger sowie mit Herbiziden und Fungiziden verseucht. Das Meer wird wärmer, saurer und sauerstoffärmer. In manchen Landesteilen sorgen die Flüsse nun zunehmend für Überflutungen, während sie in anderen phasenweise versiegen. Die kunstdüngergrüne Insel wird massiv überweidet von vierbeinigen Milchlieferanten und künftigem Irish Beef. Die Zersiedelung will niemand stoppen, im Gegenteil, es sollen mehr Wohnungen und Häuser denn je gebaut werden, angeblich um den völlig aus den Fugen geratenen Wohnungsmarkt zu beruhigen, der die Gesellschaft längst in Eigentümer und Mieter spaltet – und die von den Multinationals geliehene irische Wirtschaft kennt Nachhaltigkeit nur als billige Marketingfloskel: Sie ist eine der energiegefräßigsten Ökonomien weltweit.

Im Land der Datenzentren wurden in den vergangenen zehn Jahren sieben Milliarden Euro in neue Anlagen investiert, in den kommenden fünf Jahren sollten für weitere sieben Milliarden Euro weitere gigantische Datenverarbeitungsfabriken gebaut werden. In Ennis im County Clare wird gerade eines der weltweit größten Data Center angeschoben. Die 70 mächtigen Datenzentren auf der Insel verbrauchen Strom und Wasser in gigantischem Ausmaß. Selbst der nationale Netzbetreiber Eirgrid warnt vor dem Stromnotstand, den weitere Computerfabriken bald schon auslösen könnten. Wenn die Welt immer digitaler wird, lösen sich die Klima-Probleme dieser Welt in Wohlgefallen auf, meint man. Denn der Strom für die Datenzentren kommt ja ganz sauber aus der Steckdose? Das Gegenteil ist der Fall. Die in jeder Hinsicht gefräßige Digitalisierung ist eine der großen Treiber*innen der Klimakrise. Und die Regierung bastelt weiter an ihren Plänen zum Klimaschutz.

 

 

So nützt es nicht viel, die Augen zu schließen. Genauso wenig wie auf den Systemwandel zu warten und auf die Politik zu vertrauen. Denn ihr Opportunismus ist nur das Feedback auf unseren eigenen Opportunismus. Im ewigen Streit darum, wer nun endlich mit dem Verändern anfangen soll, der einzelne Mensch oder die Politik, hat sich der eingangs zitierte Wachstumskritiker Niko Paech eindeutig festgelegt. Ich bin es, und Du bist es, veränderungswillige einzelne Menschen, die in ihrem eigenen Leben einstehen wollen für eine Kultur des Genug, indem sie dem Wachstum entsagen und neue Verhaltensweisen einüben: Suffizienz, was nichts anderes heißt als: Sparen, Reduzieren, Selbstbegrenzen und Verzichten.

Paech sieht drei mögliche Instanzen für das anstehende “zivilisatorische Großvorhaben, für das keine historische Parallele existiert”: Die Politik, die Veränderungsdruck aufbauenden Krisen und Naturkatastrophen sowie das veränderungswillige Individuum. Solange die Krisen sich immer noch in Grenzen halten, werden die Mehrheit der Bevölkerung und damit die Politik einschneidende Veränderungen und grundsätzlichen Wandel nicht unterstützen. Also bleiben fürs Erste nur Wir. Du und ich und er, sie, es. Wenn es gut läuft, werden dem Vorbild der Pioniere immer mehr Menschen folgen und schließlich auch eine andere Politik und ein anderes Wirtschaften ermöglichen. Wieviel Zeit bis dahin verstreicht, um wieviele Zentimeter der Meeresspiegel bis dahin angestiegen sein wird, wieviel heißer es dann sein wird, wie viele Tier- und Pflanzenarten dann noch auf der Erde leben werden und wieviele Menschen ihre Heimat verloren haben werden – das alles hängt von uns allen ab.

 

Was wir tun können, Du und ich . . .

Wer anerkennt, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist, weiß auch, dass das Versprechen von grünem Wachstum ein Märchen, wenn nicht eine große Lebenslüge einer ganzen Generation ist. Es ist der zum Scheitern verurteilte Versuch, sich durch die größte Krise zu mogeln, die die Menschheit jemals zu meistern hatte. Das grüne Wachstum wird diese ökologische Krise nur weiter eskalieren und den Rest unserer natürlichen Welt zerstören. Die Sinnbilder dieses Holzwegs sind die gigantischen Windturbinen, die den kranken Wäldern vielerorts gerade den Rest geben und letzte zusammenhängende Lebensräume zerstören. Sogenannte Nachhaltigkeit bleibt Greenwashing, solange sie sich auf die Verbesserung von Effizienz und Konsistenz beschränkt, vor mehr Suffizienz aber zurück schreckt. Sparen und Verzichten, das schreckt ab.

 

 

Meine Erwartung ist – und sie ist nicht so bitter, wie sie scheint: Wir werden lernen zu sparen, zu reduzieren, uns selber Grenzen zu setzen und oft Nein zu sagen. Wir werden uns vom Wachstum verabschieden, um uns mit den anderen Lebewesen auf diesem Planeten zu arrangieren. Wir werden dies schon aus reinem Eigennutz tun: Um als Menschheit zu überleben. Wir werden es entweder freiwillig, selbstbestimmt und rechtzeitig tun oder wir werden in absehbarer Zeit von äußeren Faktoren dazu gezwungen werden (. . . und die Irrsten der globalen Zerstörer-Elite werden dann in eigenen Raumstationen zum Mars fliegen, um dort zu siedeln.)

Um aber ein Leben zu führen, das unsere Biosphäre Erde nicht mehr überfordert und in dem wir nur so viel Natur verbrauchen, wie wir es jedem anderen Erdenbewohner auch zugestehen: Dafür müssen wir nicht zurück auf die Bäume. Der Umweltwissenschaftler Vaclaf Smil hat die Frage aufgeworfen, was so schlimm daran wäre, wenn wir Mittel-Europäer wieder auf dem Wohlstands-Niveau der frühen 70-er Jahre leben würden? Wahrscheinlich nichts. Das würde reichen als unser Anteil für eine klimatisch und ökologisch gute Zukunft in einer gerechteren Welt. Wir würden mutmaßlich nur noch 20 Stunden in der Woche arbeiten. Wir hätten die ständige Überflutung und Überforderung materiell wie immateriell hinter uns gelassen, wir hätten Quantität gegen Qualität eingetauscht. Und wir hätten zumindest einen Teil der Schönheit dieser Welt gerettet.

 

 

Was kann ich selber tun, frage ich mich oft, wenn ich am Meer sitze und die Augen allenfalls zum Imaginieren schließe. Es ist nicht leicht, das Verhalten in grundlegenden Dingen zu ändern. Wir müssen es im Alltag üben und immer wieder üben, bis es zur Routine wird. Doch dafür sind wir als Menschen geboren. Der Mensch sei das Tier, das übt, hat der Philosoph Peter Sloterdijk einmal gesagt. In dieser Fähigkeit liegt unser Potenzial zur Veränderung. Unsere Möglichkeiten des Sparens, Reduzierens und Verzichtens sind schier unbegrenzt. Wir können unser gesamtes Leben ändern und werden dadurch unabhängiger, widerstandsfähiger, kompetenter und freier. Wir können zum Beispiel aus freier Entscheidung

  • Vom Ja-Modus auf den Nein-Modus umstellen, von Ja ich will auf Stop, brauch’ ich das wirklich?
  • Weniger kaufen und weniger konsumieren.
  • Verpackungen vermeiden statt weiter dem Selbstbetrug des Recyclings zu frönen.
  • Dinge selber herstellen, länger nutzen, reparieren und gemeinsam mit anderen nutzen.
  • Weniger essen, weniger oder kein Fleisch, weniger oder keinen Fisch, weniger oder keine Molkereiprodukte essen.
  • Weniger reisen, auf Flüge verzichten. (Kreuzfahrten werden ohnedies bald verboten.)
  • Das Privatauto mit anderen teilen. Zweit- und Drittautos abschaffen.
  • Mehr mit Fahrrad, zu Fuß und mit ÖPNV mobil sein.
  • In Rucksack oder Tasche immer die wichtigen Utensilien wie Wasserflasche, Becher, Teller, Besteck und Einkaufstasche dabei haben.
  • Weniger Wohnraum beanspruchen; vorhandenen Wohnraum mit anderen teilen.
  • Die Wohnraumtemperatur reduzieren und mit besserer Kleidung “heizen”.
  • Die Raumtemperatur im Sommer nicht durch Klimaanlagen herunter kühlen.
  • Das digitale Leben überdenken: Den Gerätepark auslichten. Nur einen Computer betreiben. Aufs Smartphone ganz verzichten?
  • Den Modetrends entsagen, wenig, jedoch hochwertige und langlebige Kleidung benutzen.
  • Auf Lifestyle-Kosmetik in Plastik und mit Plastikpartikeln verzichten. Mit wenigen Produkten auskommen lernen.
  • Politisch werden, die eigene gelebte Realität in die politische Arbeit glaubwürdig und authentisch einbringen.

 

Dies ist nur ein Ausschnitt unserer Möglichkeiten. In den kommenden Monaten möchte ich hier auf Irlandnews die Grundprinzipien einer Kultur des Genug beschreiben und über eigene Erfahrungen und Experimente im Degrowth-Alltag berichten. Die Überwindung des Wachstums ist möglich, und daran zu arbeiten, kann viel Spaß machen und das Leben bereichern. Bald mehr dazu an dieser Stelle.

 

Leseempfehlungen:
Manfred Folkers / Niko Paech: All You Need Is Less – eine Kultur des Genug aus ökonomischer uns buddhistischer Sicht (oekom 2020, 20€), beim lokalen Buchhändler oder hier bei Buch7.
Interessante Beiträge gibt es kostenlos auf der Website von Niko Paech zu lesen: www.postwachstumsoekonomie.de.

Irland-Fotos: Markus Bäuchle